Intellektueller Träumer

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Sein Stammbaum geht zurück auf den Propheten Mohammed. Im Exklusivinterview formuliert Prinz Hassan bin Talal von Jordanien seine Zukunftsvisionen von einer globalen pluralistischen Weltordnung.

Die große Gefahr einer "Balkanisierung" des Mittleren Ostens sieht Jordaniens Prinz Hassan bin Talal, wenn die USA einen Krieg gegen den Irak beginnen. "Die gesamte Region könnte sich in ein Mosaik verwandeln und dann steht diesem Raum von Israel bis Indien eine extrem unsichere Zukunft bevor." In einem Exklusivinterview verbirgt der Prinz seine großen Ängste nicht: Ängste für sein Heimatland, das "in der Mitte einer Todeszone liegt", eingezwängt zwischen dem Krisenherd Israel-Palästina und dem Irak sowie den Ölfeldern am Persischen Golf; Ängste umden Nahen Osten, ja umden Weltfrieden insgesamt.

Mit dem Zusammenbruch der regionalen Ordnung erhöht sich nach Ansicht Hassans auch die Gefahr von erneuten "Aktionen katastrophalen Terrors". Der 55-jährige Prinz, dessen Stammbaum direkt zum Propheten Mohammed zurückführt, zählt zu den engagiertesten Humanisten der arabischen, der islamischen Welt.

Die jahrzehntelange bittere Erfahrung mit Krieg, Gewalt, Leid und Hoffnungslosigkeit machten den "intellektuellen Träumer" (so der ägyptische Soziologe Saadeddin Ibrahim über Hassan) zum Vorkämpfer einer "neuen humanitären Ordnung". Hassan: "Wir stehen heute an einer Kreuzung. Entweder entfernen wir uns noch mehr voneinander, stützen unser Selbstverständnis und unsere Eigeninteressen auf die Vorstellung eines uns bedrohenden Anderen; oder wir bewegen uns aufeinander zu und besinnen uns in unserem Streben nach einem organischen Ganzen auf unsere gemeinsame Humanität.

Der erste Weg "führt zu einer Art internationaler Apartheid - dem Fehlen jedes sinnvollen Dialogs zwischen Gruppen. Wir können natürlich eine Belagerungsmentalität kultivieren, Gewalt "als Mittel zur Lösung von Konflikten betrachten". Doch jede durch Gewalt geschaffene Lösung von Konflikten nährt Hass und führt zu neuen Konflikten und einen "niemals endenden Kreislauf der Zerstörung".

Deshalb "wünsche ich mir, dass der Präsident der USA, dass Führer der westlichen Hemisphäre weniger über eine Revolution auf dem Schlachtfeld sprechen als über die Schaffung eines Gesetzes des Friedens, das Standard, Normen und Moral des menschlichen Zusammenlebens verändert". Hassan beklagt, dass der Westen seine Beziehungen zum Mittleren Osten fast ausschließlich auf die reichen Ölschätze, und nicht auf die Menschen konzentriert habe. So steht er auch einer Pax Americana für die Region misstrauisch gegenüber. "Ich würde eine Pax Dei vorziehen, wiewohl manche unserer amerikanischen Freunde die beiden für Synonyme halten mögen."

Globalisierung von Werten

Hassan, der auch Präsident des "Club of Rome" ist, setzt sich gegen die "neue materielle Weltordnung" ein. "Wir müssen eine Globalisierung von Werten entwickeln und uns nicht auf die Globalisierung von Materiellem beschränken." Der Haschemitenprinz mit hervorragenden internationalen Beziehungen versteht sich als Mittler, als "Brückenbauer" zwischen den Kulturen. Und er ist für diese Aufgabe prädestiniert. Denn in seiner Persönlichkeit verschmelzen Abendland und Orient in beispielhafter Weise. Am 20. März 1947 als jüngster von drei Brüdern und einer jüngeren Schwester in Amman geboren, genoss Hassan die beste abendländische Ausbildung. Dem Abschluss der Grundschule in Jordanien folgte der Besuch der traditionsgebundenen britischen "Public School" Harrow und der Militärakademie von Sandhurst. In Oxford studierte Hassan schließlich orientalische Sprachen, Geschichte und Politologie.

Trotz seiner intensiven Studien in England, bewahrte sich der Prinz seine ausgeprägte arabische und islamische Identität, engagierte sich für national-arabische Konzepte und für einen "ehrenhaften Frieden" mit Israel. Hassan hegt keine Zweifel am "göttlichen Ursprung" des Islams, der für ihn das "Siegel" der drei klassischen monotheistischen Religionen ist. Er bekennt sich zu einem Islam, der nicht in engstirnigen, verknöcherten Konzepten und Ansichten erstarrt, sondern sich weiterentwickelt und den Gegebenheiten der Zeit anpasst.

Studium von Konfliktmustern

Schon früh erhob dieser tiefgläubige Muslim, der im Vorjahr von der Universität Tübingen das Ehrendoktorat für katholische Theologie erhielt, den Dialog zwischen den monotheistischen Religionen zu seinem zentralen Anliegen. Zu diesem Zweck gründete er 1994 das "Royal Institute for Interfaith Studies", das sich ursprünglich dem Studium christlicher und jüdischer Traditionen in der arabischen Welt widmete. In den vergangenen Jahren weitete das Institut unter Leitung des angesehenen Historikers und Bibelwissenschafters Kamal Salibi seinen Tätigkeitsbereich "auf weltweite kulturelle Interaktion" aus. Das in seiner Art international einzigartige Institut konzentriert sich laut Salibi heute "auf das Studium von Konfliktmustern" und internationaler Koexistenz, insbesondere in multikulturellen Gesellschaften.

Im Bemühen, Brücken zwischen christlichem Abendland und der islamischen Welt zu bauen, erlitt Salibi manche Enttäuschung. Ein hervorragend durchdachtes Projekt, nach dem das Institut kleine Gruppen amerikanischer Lehrer oder anderer Meinungsbildner in muslimische Familien nach Jordanien einlädt, um sie mit den religiösen Gepflogenheiten, den Lebenstraditionen und Denkweisen der Muslime eines arabischen Landes vertraut zu machen, scheiterte an mangelndem Interesse und fehlender Bereitschaft in den USA.

Trennung Staat und Moschee

Auch Hassan beklagt das Unverständnis für den Islam, ja eine wachsende "Islamophobie" im Westen. "Leider behaupten viele Kommentatoren, Wissenschafter, Politiker, Journalisten, dass der Islam dem Westen gegenüber feindlich eingestellt" und "mit Modernität unvereinbar" sei. "Wenn dieser säkuläre Fundamentalismus auf der einen und der islamische auf der anderen Seite die Oberhand gewinnen, dann werden wir einander nie verstehen können."

Seine Religion hat ihn geprägt. "Der Islam respektiert die Unterschiede zwischen den Menschen. Muslime dürfen ihren Glauben anderen auch nicht aufzwingen. Islam billigt keinen Zwang in der Religion." Der islamische Staat, so Hassan, wie ihn einst Mohammed gegründet hat, habe "auf Prinzipien beruht, die die gesamte Menschheit teile": "Achtung und Schutz der Andersartigkeit, Pluralismus, ein Gefühl der Ethik in allen Bereichen des Lebens", Freiheit von Zwang. So setzt sich Hassan auch für eine klare Trennung von Staat und Moschee ein. "Wir müssen zwischen einer durchaus akzeptablen religiösen Regierung unterscheiden, die das Wohl aller Bürger, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit, erstrebt, und Regierungen (Theokratien), die einen bestimmte religiöse oder säkulare Standpunkte ihren Untertanen aufzwingen".

Entscheidend sei eine Neudefinition des Begriffes "Sicherheit", der nicht mehr nur nach militärischen Kriterien definiert sein dürfe. "Soziale und ökonomische Sicherheit zählen auch zu den Voraussetzungen für Stabilität. Alle Menschen haben ein Recht auf ein würdevolles Leben, frei von Terror und Verzweiflung."

An die Gefahr eines "Krieges der Kulturen", wie ihn der Amerikaner Samuel Huntington an die Wand malt, glaubt Hassan nicht. Für ihn, der sich stolz "Pluralist" nennt, gibt es "nur eine Welt, mit zehntausend Kulturen." Es habe immer Konfrontationen innerhalb von Kulturen gegeben, innerhalb von Gesellschaften, doch stets im Kontext einer gemeinsamen Zivilisation. Hassan bemüht sich eine "Plattform des Zentrums" aufzubauen, der sich alle, "die sich gemäßigt nennen, gleichgültig welcher Nationalität oder welcher Überzeugung, anschließen sollten, bevor es für uns alle zu spät ist."

Ein Parlament der Kulturen

Als wichtiges Instrument für den Abbau internationaler Konflikte sieht der Prinz die Idee seines verstorbenen Freundes, des Geigenspielers Yehudi Menuhin, die Hassan nun in die Tat umzusetzen begann: ein Parlament der Kulturen. In Istanbul wurde im Juli gemeinsam mit Ihsan Dogramaci, dem Präsidenten der Haceteppe University Foundation, als erster Schritt zu diesem Ziel die "International Cultures Foundation" gegründet. Im geplanten Parlament sollen Intellektuelle aus aller Welt einen intensiven und tiefgreifenden Dialog "innerhalb der Grenzen einer einzigen Weltzivilisation" führen, um Konflikte abzubauen.

Hassans Vision: "Alle Völker haben einen Beitrag zu einer globalen Ethik zu leisten", in der humanitäre Faktoren einen höheren Stellenwert einnehmen als politische oder rein ökonomische. Auf diesem Wege werde eines Tages "der Andere sich vom Feind oder Barbaren zum Schicksalsgenossen" wandeln, und die Menschheit werde endlich ihre von alters her geführten "Kriege gegen sich selbst" beenden können.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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