irak - © Pixabay

Irak-Krieg: "Starke Kampagnen, die den Irak dämonisieren"

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Neun Jahre lang dauern die Sanktionen gegen den Irak bereits, als ein UNO-Beamter tritt aus Protest zurücktritt. Im Gespräch mit der FURCHE erklärt er die Hintergründe.

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Neun Jahre lang dauern die Sanktionen gegen den Irak bereits, als ein UNO-Beamter tritt aus Protest zurücktritt. Im Gespräch mit der FURCHE erklärt er die Hintergründe.

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Neun Jahre Sanktionen gegen den Irak. Ihr Ziel war der Sturz von Saddam Hussein. Das hat man zwar nicht erreicht, dafür aber die Bevölkerung des Landes in unsagbares Elend gestürzt, so die Diagnose von Hans von Sponek. Er trat aus Protest gegen diese Politik heuer im Februar als Leiter des UNO-Hilfsprogramms im Irak zurück und erläutert im FURCHE-Gespräch die Gründe für seinen Schritt.

DIE FURCHE: Warum sind Sie Anfang des Jahres von Ihrem Posten als Leiter des UNO-Hilfsprogramms im Irak zurück getreten?

Hans von Sponeck: Es war die wachsende Erkenntnis, dass das Leben durch die nun mehr neun Jahre andauernden Sanktionen für die irakische Bevölkerung untragbar geworden ist. Als wir einen Bericht für den Sicherheitsrat über die Lage im Irak anfertigten, stellten wir fest, wie sehr es den Menschen dort am Notwendigsten mangelt und unter welchen großen Einschränkungen sie zu leiden haben.

DIE FURCHE: Kritische Stimmen meinen, Sie würden Saddam Hussein und seinen Leuten das Wort reden...

von Sponeck: Meine Betroffenheit über die Auswirkungen der Sanktionen fußt auf persönlichen Erfahrungen und muss daher subjektiv sein. Das hat aber nichts mit meiner Arbeit als UNO-Beamter zu tun. Die Forderung des US-Außenamtes, ich müsse mich mehr um die Bevölkerung als um die Regierung kümmern, war unsachgemäß. Der einzige Weg, der Bevölkerung zu helfen, führt über die Regierung. Konfrontation hätte meinen Einsatz wirkungslos gemacht. Das heißt aber nicht, ich hätte mich in die Rolle des nützlichen Idioten der Regierung drängen lassen.

DIE FURCHE: Wie schlimm ist die Lage im Irak wirklich?

von Sponeck: Die größten Leittragenden sind die Kinder. Man nimmt ihnen jede Chance, sich normal zu entwickeln. Sie haben keine Vorbilder und kennen keine ethische oder moralische Ausrichtung. Man zwingt sie dazu, mit allen Mittel, manchmal auch mit kriminellen, um das nackte Überleben zu kämpfen. Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden wir in zehn oder 15 Jahren einen Irak sehen, der uns überhaupt nicht gefällt. Dann werden wir zugeben müssen, dass wir diesen Irak mitgeschaffen haben.

DIE FURCHE: Verstoßen die Vereinten Nationen somit im Bereich der Menschenrechte gegen ihr eigene Verfassung?

von Sponeck: Die Menschenrechtsdiskussion der UNO hat zwei Seiten. Die kürzlich in Genf verabschiedete Resolution der Menschenrechtskommission verurteilt zu Recht die nach internationalem Standard vorhandenen Missstände im Irak. Zugleich muss man aber fairer Weise sagen, dass auch die Auswirkungen der Sanktionen zu Menschenrechtsverletzungen geführt haben.

DIE FURCHE: Was wäre Ihr Vorschlag?

von Sponeck: Die Wirtschaftssanktionen sollten aufgehoben und die Kontrollbedingungen verschärft werden. Zur Zeit sind die Grenzen voller Löcher, fast alles lässt sich ins Land schmuggeln. In den Geschäften in Mosul, in Basra, in Kirku und besonders in Bagdad ist fast alles zu haben. Diese Dinge kommen aber nur wenigen zugute, die restlichen 99 Prozent können davon nur träumen.

DIE FURCHE: Zweifeln Sie grundsätzlich an der Wirksamkeit von Sanktionen gegen einzelne Länder?

von Sponeck: Ohne Frage. Neueste Berichte des britischen Unterhauses und die Studien des kanadischen Außenministeriums zeigen, dass Wirtschaftssanktionen fast immer die falsche Partei treffen und daher selten das bewirken, was sie eigentlich erreichen wollen. Im Irak geht es vor allem um handfeste machtpolitische Einfluss-Sphären und wirtschaftliches Interesse am Öl.

DIE FURCHE: Eines der Ziele des Golfkrieges war, Saddam Hussein zu stürzen. Warum ist er immer noch im Amt?

von Sponeck: Heute gibt es viele Gründe dafür, den Status quo beizubehalten. Saddam behält sein Stückchen Macht, die Amerikaner und Engländer bewahren ihre Interessensphären im Golf und sind in der Lage ihre Waffenprogramme weiterhin zu stärken. Nach fast einem Jahrzehnt ist kaum jemand an Veränderungen dieses Kräftespiels interessiert.

DIE FURCHE: Wie hat Saddam Hussein auf Ihren Rücktritt reagiert?

von Sponeck: Die Dämonisierungskampagne gegen den Irak ist enorm angestiegen. Bevor ich in den Irak kam, dachte auch ich, in diesem Land lebten 23 Millionen Saddam Husseins. In Wahrheit entspricht die Bevölkerung diesem Vorurteil nicht. Es scheint dem Präsidenten aufgefallen zu sein, dass ich versucht habe, mich für eine bessere Behandlung der Bevölkerung einzusetzen.

DIE FURCHE: Gibt es im Land keinen ernst zu nehmenden Widerstand gegen Saddams Willkürherrschaft?

von Sponeck: Ein Wort gegen Sanktionen, ist keinesfalls ein Wort für Saddam Hussein. Sicher ist der irakische Diktator der Hauptschuldige. Aber mit ihm sitzen auch andere auf der Anklagebank. Über sie spricht man zur Zeit nicht, sie haben ihn aber mitgeschaffen. Zum Beispiel die Amerikaner und andere westliche Mächte: In den achtziger Jahren hat der Westen Saddam gegen den Feind Iran aufgebaut. Das will man jetzt nicht mehr wahrheben, weil es peinlich ist.

DIE FURCHE: Ist der Westen in der Lage die arabische Mentalität zu Verstehen?

von Sponeck: Wir haben viel zu wenig unternommen, um die arabische, besonders die irakische Psyche zu verstehen. Besonders das Gefühl der Würde, des Respekts ist im Irak und im ganzen Mittleren Osten so wichtig. Wenn man das in den Dialogen berücksichtigt, kann man viel erreichen.

DIE FURCHE: Ursprünglich hatten die Flugverbotszonen den Sinn, die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden vor irakischen Luftangriffen zu schützen...

von Sponeck: Obwohl das ein Verstoß gegen internationale Spiegelregeln war, schien es doch relativ harmlos zu sein und man tat es, um den Minoritäten zu zeigen, dass man sie nicht vergessen hatte. Diese Entscheidung basierte nicht auf einer UNO-Resolution, sondern wurde eigenmächtig von der amerikanischen und der englischen Regierung getroffen. Nach der Konfrontation mit dem Irak 1998 ist es den Piloten erlaubt, mit viel größerer Freiheit auf Attacken zu reagieren. Im letzten Jahr sind 144 Zivilisten in den schiitischen Gebieten des Norden und des Süden umgekommen und 446 wurden verletzt. Viele Gebäude sind zerstört worden.

DIE FURCHE: Gibt es für Ihren Gesinnungswandel ein Schlüsselerlebnis oder war es ein langsamer Prozess?

von Sponeck: Beides. Zum Beispiel die Tatsache, dass in meiner unmittelbaren Umgebung Menschen lebten, für die es überhaupt nichts zu tun gab. Unter normalen Umständen hätten sie eine gute Arbeit gefunden, mussten nun aber als Gelegensarbeiter ihr Leben fristen. Manche hatten Universitäten besucht, konnten ihr Wissen aber nicht anwenden. Das dramatischeste Erlebnis, das ich gehabt habe, war dieser kleine neunjährige Junge, der jeden Tag vor meiner Hoteltüre bettelte. Er fiel mir auf, weil er so vif und aktiv war. Dieser Junge gehörte einfach in eine Schule und nicht auf die Straße. Mein Versuch, ihm einen Schulbesuch zu ermöglichen, scheiterte zwar kläglich, zeigte aber, wie sehr im heutigen Irak das Überleben einer Familie vom Betteln der Kinder abhängt. Die Existenzberechtigung dieses jungen Menschen hing also allein davon ab, dass er jeden Tag den Gegenwert von einem erbettelten Dollar nach Hause brachte. Seine Mutter war nicht bereit, das aufzugeben, um das Kind auf meine Kosten in die Schule zu schicken.

DIE FURCHE: Sie sagten anfangs, Sie würden auch noch andere Zeichen setzen. Woran haben Sie da gedacht?

von Sponeck: Ich möchte zu einer Änderung einer Politik beitragen, die von einem menschenrechtlichen Standpunkt nicht länger zu akzeptieren ist. Es müssen Strategien entwickelt werden, wie man den Irak sozial und wirtschaftlich neu gestalten kann. Wenn morgen die Sanktionen aufgehoben werden, kommen übermorgen alle, die Forderungen an den Irak haben. Der Schuldenberg ist auf über 150 Milliarden Dollar angewachsen. Man muss sich darüber klar werden, dass man die Isolierung eines unabhängigen Staates nicht weiter führen kann. Man muß die Iraker selbst in die Diskussionen einbeziehen.

DIE FURCHE: Welche Iraker?

von Sponeck: Es gibt eine kleine Gruppe irakischer Intellektueller, mit denen man ein Gespräch anfangen kann. Man kommt auch um das Gespräch mit der Führung nicht herum. Eine Vogel-Strauß-Politik hilft uns nicht weiter. Ich selbst habe mich oft mit Ministern getroffen. Mit Machtargumenten wird man wenig erreichen. Mit Gesprächen kann man Dinge verbessern, durch unseren Dialog haben wir einiges erreichen können. Heute gibt es in einigen Ländern große Lobbygruppen, die sich gegen die derzeitige Behandlung des Iraks aussprechen. Besonders in der USA. Leider ist in Zentraleuropa der Einsatz gegen Sanktionen relativ gering.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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