Irak: Von den Inseln ins "Indianergebiet"

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Fünf Jahre nach Kriegsbeginn hat sich die Voraussage des früheren irakischen Vizepremiers Tariq Aziz bewahrheitet: Der Irak ist ein undurchdringlicher Kriegsdschungel geblieben.

Am 7. März 2003 fordert UN-Waffeninspekteur Hans Blix weitere Zeit, um die Suche nach irakischen Massenvernichtungswaffen fortzusetzen. Ein Monat vorher hat US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat angebliche Beweise für deren Existenz vorgelegt - Powell wird einige Jahre später diese Rede als "Schandfleck" seiner Karriere bezeichnen. 2003 dient sie als Rechtfertigung, Blix' Forderung nach weiteren Untersuchungen abzulehnen und am 20. März um 5.35 Uhr Bagdader Ortszeit mit einer Rakete auf Saddam Husseins vermutetes Versteck den Dritten Irakkrieg zu beginnen.

Fünf Jahre später antwortet Jamal Al-Rawi im Telefoninterview mit der Furche auf die Frage nach der Sicherheitssituation in Bagdad: "Es war viel schlimmer, es ist besser geworden - aber man kann nie sicher sein, ob man vom Einkaufen heil nach Hause zurück kommt." Al-Rawi ist ein sunnitischer Iraker, Pensionist und lebt im Osten der Hauptstadt. Die miserable Telefonverbindung zwischen Wien und Bagdad bestätigt unbeabsichtigt Al-Rawis Schilderungen über die dortigen Lebensbedingungen: Strom gibt es oft nur eine Stunde am Tag, der Müll türmt sich auf den Straßen, weil sich niemand traut, ihn wegzuräumen und kaum glaubt man selbst an die US- und Regierungspropaganda, dass es aufwärts gehe, zerstört die nächste Bombe wieder jede Zuversicht.

Amerika in der Sackgasse?

Jamal Al-Rawi lebt in "Injun country", im Indianergebiet - so nennen die US-Soldaten ihren Einsatzort außerhalb der "Grünen Zone" in Bagdad. "Im Irak gibt es keine Sicherheit - außer auf, Inseln' wie den Camps und in der Internationalen Zone", schreibt Dietmar Herz in seinem Buch "Die Amerikaner im Krieg". Der deutsche Politikwissenschafter hat US-Soldaten bei ihren Einsätzen im "Indianergebiet" begleitet - sein Fazit: "Die amerikanische Strategie scheint mir in einer Sackgasse zu sein." Die US-Militärs sind zwar beim Vertreiben ihrer Gegner erfolgreich, aber sie können ihre Erfolge nicht dauerhaft absichern und mit dem Wiederaufbau beginnen. "Aber der Schlüssel zur Verbesserung der Situation kann nur im Wiederaufbau liegen", ist Herz überzeugt.

Daban Shadala, irakischer Kurde und Vertreter der Patriotischen Union Kurdistans in Österreich (siehe auch Interview rechts), bestätigt die zentrale Bedeutung des Wiederaufbaus für die Befriedung des Irak. Im Gegensatz zu Herz sieht er die derzeitige US-Strategie aber auf dem richtigen Weg: "Die Amerikaner vermitteln Aufträge, geben Arbeit und Geld - dann fangen die Leute erst gar nicht an, darüber nachzudenken, ob sie mit den Terroristen gemeinsame Sache machen sollen." Auch die kürzlich vorgenommene Rehabilitierung der früheren kleinen und mittleren Funktionäre von Saddams Baath-Partei findet Shadala richtig: "Das hätten die Amerikaner schon früher machen müssen - die meisten von denen sind Mitläufer gewesen, die mussten in der Partei sein, um einen Job zu bekommen." Sorge bereitet Shadala vielmehr, dass die mit Hilfe der US-Truppen gebildeten sunnitischen Bürgerwehren, die im letzten Jahr die großen Erfolge im Kampf gegen Al-Kaida-Verbände ermöglicht haben, sich selbst zu einer korrupten und gefährlichen Miliz entwickeln könnten. Dann würde nämlich ein Übel von einem noch größeren abgelöst.

Vor fünf Jahren, als Colin Powell gelogen und Hans Blix vergeblich versucht hat, den Krieg abzuwenden, hat der iraische Vizepremier Tariq Aziz gesagt: "Einige Leute sagen zu mir, ihr Iraker seid keine Vietnamesen, ihr habt keine Dschungel und Sümpfe, um euch darin zu verstecken. Ich antworte, lasst unsere Städte unsere Sümpfe und unsere Gebäude unsere Dschungel sein." Er sollte Recht behalten: Laut "Iraq body count" sind bis dato 89.103 zivile Opfer im irakischen Kriegsdschungel umgekommen - und 3973 US-Soldaten.

Buchtipp:

Die Amerikaner im Krieg

Bericht aus dem Irak im vierten Kriegsjahr. Von Dietmar Herz C.H. Beck Verlag, München 2007 156 Seiten, geb., € 17,95

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