Irakisch-Kurdistan bleibt positiver Sonderfall

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Mit dem US-Schutzschild über dem Nordirak nach dem Golfkrieg 1991 gegen Saddam Hussein hat der Sonderweg für die irakischen Kurden begonnen. Seither konnte sich der erste kurdische De-facto-(Teil-)Staat etablieren. Und mit einer erstarkten Opposition kommt nach den jüngsten Wahlen auch ein demokratischer Normalisierungsprozess in Gang.

Wie fair die letztwöchigen Wahlen in Irakisch-Kurdistan wirklich waren, ist noch Gegenstand reger Debatten. Nur wenige unabhängige internationale Beobachter waren vor Ort. Oppositionskandidaten sprachen von Wahlbetrug. In der aufgeheizten Atmosphäre vor den Wahlen kam es zu Ausschreitungen und Einschüchterungsversuchen. Die Fernsehsender brachten permanent Propagandashows für die Kandidaten der regierenden Parteien. Und Hamida al-Husseini, Präsident der unabhängigen irakischen Wahlkommission, erklärte, dass noch 651 Beschwerden zu untersuchen wären.

Zu dieser Atmosphäre der Einschüchterung hat sicher beigetragen, dass die zwei größten Parteien PDK und PUK auf einer gemeinsamen „Listi Kurdistani“ kandidierten. Die beiden Großparteien teilen sich de facto seit der Befreiung Irakisch-Kurdistans von der Herrschaft Saddam Husseins 1991 das Autonomiegebiet auf, nachdem sie sich nach einem innerkurdischen Bürgerkrieg in den 1990er Jahren wieder zusammengefunden haben. Während Listenführer Barham Saleh zum innersten Kreis um den PUK-Parteichef und Staatspräsidenten Jalal Talabani gehört, unterstützte die Listi Kurdistani den derzeit amtierenden kurdischen Präsidenten und PDK-Parteichef Masud Barzani als Kandidaten für eine weitere Präsidentschaft. Barzani gewann mit 69,5 Prozent der Stimmen auch souverän die Präsidentschaftswahlen, sein wichtigster Herausforderer, der seit 25 Jahren im Exil lebende parteiunabhängige Schriftsteller Kamal Marawdeli erreichte aber immerhin 25 Prozent.

Atmosphäre der Einschüchterung

In der Listi Kurdistani war damit der Großteil des politischen Establishments Irakisch-Kurdistans vertreten. Mit 57,3 Prozent wurde es zwar grundsätzlich bestätigt, allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß für die beiden Parteien. Während die Listi Kurdistani und Masud Barzani als Präsidentschaftskandidat in den von der PDK beherrschten Gebieten überdurchschnittlich gut abschnitt, brach die Anhängerschaft der PUK ein. Hingegen gelang einer Abspaltung der PUK, die unter dem Namen „Gorran“ (Change) antrat und gegen Korruption und Machtmissbrauch wetterte, in den Hochburgen der PUK ein Wahlsieg.

Vor den Wahlen traten Gruppen von PUK-Funktionären Gorran bei. In der PUK-Hochburg Suleymaniya kam es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen PUK- und Gorran-Anhängern. Am 12. Juli rückte der kurdische Verteidigungsminister Sheikh Jaffar Mustafa mit Leibwächtern an, um auf eine Versammlung von Gorran-Anhängern loszugehen. Die Schläger des Ministers prügelten auf die Menge ein und es soll zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den Schlägern gekommen sein. Doch die Gorran-Anhänger ließen sich nicht einschüchtern. In Suleymaniya gewann die Liste mit rund der Hälfte der Stimmen. Insgesamt konnte sich Gorran mit 23,5 Prozent als starke Opposition etablieren.

Als weitere Oppositionskraft konnte sich mit 12,8 Prozent ein Parteienbündnis etablieren, zu dem sich Parteien des politischen Islam mit linksnationalistischen Gruppen unter dem Namen „Service und Reform Liste“ zusammengeschlossen hatten. Die Islamische Union unter Salahaddin Bahaaddin Sadiq gilt als kurdischer Ableger der ursprünglich aus Ägypten stammenden Muslim-Bruderschaft. Die von Ali Bapir geführte Islamische Gruppe Kurdistans stellt eine Abspaltung der radikaleren „Islamischen Bewegung Kurdistans“ dar, der in Kurdistan eine Nähe zur Islamischen Republik Iran nachgesagt wird. Von Seiten der US-amerikanischen Truppen wurde Bapir wiederum vorgeworfen, mit den im Gegensatz zum Iran stehenden sunnitisch-salafitischen „Ansar al-Islam“ zusammenzuarbeiten. Von 2003 bis 2005 befand er sich deshalb in Gewahrsam der US-Armee.

Gegen die Korruption gestimmt

Neben diesen Allianzen kandidierten eine Reihe von Abspaltungen von PUK und PDK, die die Korruption und den Machtmissbrauch innerhalb ihrer Herkunftsparteien anprangerten. Von der PDK hatte sich mit Abdul Musawwar al-Barzani ein prominenter Verwandter Masud Barzanis abgespalten. Seine Reformbewegung Kurdistans klagte im Wahlkampf über massive Einschüchterungen von Seiten der Herkunftspartei PDK.

Von der PUK wiederum hat sich neben Gorran auch noch die Fortschrittsliste eines weiteren früheren Kadermitglieds losgesagt. Die Abspaltung von gleich zwei prominenten Politikern macht die innere Zerrissenheit der PUK deutlich. Während die PDK als vom Barzani-Clan beherrschte Feudalpartei stärker auf die Loyalität ihrer Mitglieder zur jeweiligen Familie bauen kann, leidet die PUK nun gerade unter ihrem etwas moderneren politischen Charakter, der ideologische Auseinandersetzungen und Abspaltungen erst möglich macht.

Im insgesamt 111 Sitze zählenden Parlament sind elf Mandate für die nichtkurdischen Minderheiten reserviert. Um die je fünf turkmenischen und christlich-aramäischen Sitze bemühten sich acht turkmenische und christliche Listen. Ein Mandat steht für die armenische Minderheit zur Verfügung.

Das neue kurdische Parlament wird durch den Einzug von zwei oppositionellen Listen mit Sicherheit lebendiger sein als bisher. Während die PDK und Barzani gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, stellt dieser Urnengang aber für die PUK ein existenzgefährdendes Debakel dar. Für die Demokratie, die immer auch eine Opposition benötigt, könnten sich diese Wahlen jedoch als wichtiger Meilenstein erweisen, sollte sich daraus eine wirkliche parlamentarische Kontrolle der Verwaltung ergeben.

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