Israel hat den Frieden gewählt

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Die Wahlen in Israel sind geschlagen. Und das Ergebnis zeigt, dass die israelische Öffentlichkeit ein Ende des Palästinenser-Konfliktes will und nach einer Lösung sucht. Aber die, die Wahlsieger Ehud Olmert anbietet, ist keine.

Die dramatischste und die langweiligste Wahlkampagne unserer Geschichte ist glücklicherweise zu Ende gegangen. Israel schaut in den Spiegel und fragt sich selbst: Was zum Teufel ist geschehen?

Auf dem Weg zur Wahlurne mitten in Tel Aviv konnte ich nicht das leiseste Anzeichen dafür erkennen, dass Wahltag ist. Im Allgemeinen sind Wahlen in Israel eine leidenschaftliche Angelegenheit. Überall Poster, viel Lärm, tausende von Wagen, die voller Slogans sind und Wähler zu den Wahllokalen bringen.

Dieses Mal - nichts. Eine unheimliche Stille. Weniger als zwei Drittel der registrierten Bürger nahmen tatsächlich die Mühe der Wahl auf sich. Politiker aller Richtungen werden gehasst, Demokratie wird unter den jungen Leuten verachtet, ganze Gesellschaftsgruppen haben sich entfremdet. Diejenigen, die sich entschieden hatten, nicht zu wählen, sich dann aber im letzten Augenblick besannen, stimmten für die "Liste der Pensionisten", die es aus dem Nichts zu sieben Sitzen brachte.

"Schweinische" Politik

Es war eine richtige Protestwahl. Selbst junge Leute sagten sich: "Statt unsere Stimme wegzuwerfen, wollen wir etwas zu Gunsten anderer tun." Die alten Leute, die Kranken (auch die unheilbar Kranken), die Behinderten und das ganze Gesundheits-und Erziehungssystem waren Opfer der thatcheristischen Wirtschaftspolitik von Benjamin Netanyahu, die von Ariel Sharon unterstützt wurde und die sogar von Shimon Peres "schweinisch" genannt wurde. Diese Wahl für die Pensionisten war eine Kuriosität. Aber was geschah im Zentrum der Arena?

Zu Beginn der Wahlkampagne schrieb ich, dass sich das ganze politische System nach links bewegt. Viele dachten, dass dies Wunschdenken sei, das mit der Realität nichts zu tun habe. Nun ist genau dies geschehen. Das Hauptergebnis dieser Wahlen ist, dass der Einfluss des national-religiösen Blockes, der länger als eine Generation in Israel vorgeherrscht hat, gebrochen worden ist. All diejenigen, die glaubten, die Linke sei tot und Israel dazu verurteilt, lange Zeit vom rechten Flügel regiert zu werden, sind jetzt widerlegt worden. Alle rechten Parteien zusammen gewannen nur 32 Sitze, die religiösen 18. Mit 50 von 120 Sitzen in der Knesset kann der rechts-religiöse Flügel nicht mehr jede Maßnahme in Richtung Frieden blockieren.

"Großisrael": ausgeträumt

Das ist ein Wendepunkt. Der Traum von Großisrael, vom Mittelmeer bis zum Jordan, ist ausgeträumt. Bezeichnenderweise hat die "Nationalunion", die Partei, die sich vollkommen mit den Siedlern identifizierte, nur neun Sitze erlangt - etwa so viele wie beim letzten Mal. Nach dem herzzerreißenden Drama der Zerstörung der Gaza-Siedlungen bleiben die Siedler weiterhin unbeliebt. Sie haben die entscheidende Schlacht um die öffentliche Meinung verloren.

Netanyahu erklärte vor den Wahlen, dass sie ein "nationales Referendum" über den Rückzug aus den besetzten Gebieten seien. Das waren sie dann auch - die Allgemeinheit hat überwältigend mit "Ja" gestimmt. Das Hauptopfer ist Netanyahu selbst. Der Likud brach zusammen. Seit seiner Gründung durch Ariel Sharon im Jahr 1973 ist er zu keiner Zeit derartig gedemütigt worden, er wurde nur die viertstärkste Partei in der neuen Knesset (Likud bekam 17.117 Stimmen weniger als die Shas-Partei, beide haben die gleiche Anzahl an Sitzen in der Knesset.)

Die aufrichtige Freude über diese Niederlage der Rechten wird durch eine sehr gefährliche Entwicklung gedämpft: der Aufstieg von Avigdor Liebermans Partei "Unser Haus Israel", eine Mutation der Rechten mit offen faschistischer Tendenz. Lieberman, ein Einwanderer aus der früheren Sowjetunion und selbst ein Siedler, holt sich den Rückhalt hauptsächlich aus der "russischen" Gemeinde, die fast einstimmig extrem nationalistisch ist. Er ruft zur Vertreibung der Araber auf (also einem Fünftel der Bevölkerung Israels) - angeblich durch einen Landaustausch; aber die Botschaft ist klar. Da gibt es auch die üblichen Merkmale solch einer Partei: den Führerkult, den Ruf nach "Gesetz und Ordnung", intensiver Hass gegenüber "dem inneren wie äußeren Feind". Dieser Mann erhielt elf Sitze und hat Netanyahu überholt. Sein Hauptslogan auf russisch : "Da Lieberman!" ("Ja Lieberman!" auf Deutsch) erinnert an ähnliche historische Grüße.

Die freudigen Szenen im Labour-Hauptquartier mögen manchem auf den ersten Blick übertrieben scheinen. Schließlich hat die Partei nur 20 Sitze gewonnen - gegenüber 19 beim letzten Mal. (Hinzugefügt werden müssen die drei Sitze der kleinen, damals von Amir Peretz angeführten Partei). Aber diese Zahlen erzählen nicht die ganze Geschichte.

Hass überwunden

Zunächst ist die politische Konsequenz weitreichend. Im Parlament spielen nicht nur die reinen Zahlen eine Rolle, sondern auch ihr Platz auf der politischen Karte. In der nächsten Knesset wird jede Koalition ohne Labour eher eine theoretische Option sein, wenn nicht vollkommen unmöglich. Amir Peretz wird nach Ehud Olmert die wichtigste Person im nächsten Kabinett sein.

Noch wichtiger: Peretz, der erste "orientalisch" jüdische Führer einer größeren israelischen Partei, hat den historischen Hass gegenüber den Einwanderern aus muslimischen Ländern und ihren Nachkommen gegen Labour überwunden. Er tauschte die übliche Gleichung: Orientalisch = arm = rechts gegen: aschkenasisch = wohlhabend = links.

Keine lebende Leiche mehr

Das hat seinen vollen Ausdruck noch nicht bei dieser Wahl gefunden. Der Zuwachs durch orientalische Juden ist nur mäßig. Aber keiner, der gesehen hat, wie Peretz auf den offenen Marktplätzen empfangen wurde, die bisher Festungen der Likud gewesen waren, kann bezweifeln, dass sich etwas Grundsätzliches geändert hat.

Und was noch wichtiger ist: Als Peretz vor kaum drei Monaten auf der Bildfläche erschien, war Labour eine wandelnde Leiche. Nun aber lebt sie, vibriert und ist aktionshungrig. Das ist Führung und nun ist sie da. Peretz könnte sehr wohl als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten bei den nächsten Wahlen aufgestellt werden. Bis dahin wird er sicher auch einen großen Einfluss auf die sozialen Belange und den Friedensprozess haben.

Das ist natürlich die Hauptfrage: Kann uns die nächste Regierung dem Frieden näher bringen? Kadima hat die Wahlen gewonnen, ist aber nicht glücklich. Als sie von Sharon gegründet wurde, erwartete man 45 Sitze - und nach oben waren keine Grenzen gesetzt. Nun muss sie sich mit schäbigen 29 Sitzen zufrieden geben, gerade genug, um die Regierung zu führen, aber nicht genug, um die Politik zu diktieren.

In seiner Siegesrede rief Olmert Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas auf, Frieden zu machen. Aber das ist eine leere Geste. Kein Palästinenser kann die Bedingungen akzeptieren, die Olmert im Sinn hat. Wenn die Palästinenser also nicht zeigen, dass sie "Partner" sind, will Olmert "Israels permanente Grenzen einseitig festlegen", das heißt, dass er zwischen 15 und 55 Prozent der Westbank annektieren will.

Es ist zweifelhaft, ob Peretz der Regierung eine andere Politik aufzwingen kann. Möglich ist, dass die ganze Frage aufgeschoben wird - unter dem Vorwand, dass man sich erst einmal mit der sozialen Krise befassen muss. In der Zwischenzeit geht der Kampf gegen die Palästinenser weiter: mit Mauer-und Siedlungsbau.

Olmerts Friede ist kein Friede

Es liegt nun an der Friedensbewegung, dies zu ändern. Die Wahlen zeigen, dass die israelische Öffentlichkeit ein Ende des Konfliktes wünscht, dass sie die Träume der Siedler und ihrer Anhänger zurückweist, dass sie eine Lösung sucht. Wir haben dazu beigetragen. Nun ist es unser Job, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Olmerts einseitiger Friede gar kein Friede ist und zu keiner Lösung führt.

An unserem Wahltag bestätigte das palästinensische Parlament die neue palästinensische Regierung. Mit dieser Regierung können und müssen wir verhandeln. Im Augenblick ist die Mehrheit in Israel noch nicht dazu bereit. Aber die Wahlen zeigen, dass wir auf dem Weg sind.

Der Autor ist israelischer Friedensaktivist und Publizist.

Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs.

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