Israel in einer bedrohlichen Klemme

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Der Gefangenenaustausch und die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Schalit ist nicht unbedingt ein Entspannungs-Signal, meint das "Handelsblatt“.

Auf den ersten Blick erscheint es wie ein Entspannungssignal: Israel und die Palästinenser haben sich auf einen Gefangenenaustausch verständigt - und setzen ihn auch um. Das hat es lange nicht mehr gegeben. 1000 in israelischen Gefängnissen inhaftierte Palästinenser gegen einen israelischen Soldaten. Das ist ein großes politisches Zugeständnis Israels.

Möglich, dass die Regierung dafür eines Tages noch bitter büßen muss. Mit einer Terrororgani- sation wollte Israel niemals verhandeln. Jetzt hat sie es doch getan. Obwohl die Hamas, die im Gaza-Streifen die Macht innehat, keinen Hehl daraus macht, dass sie diese Geste keinesfalls als Friedenszeichen interpretiert. Sie schwört vielmehr, den bewaffneten Kampf gegen Israel fortzusetzen - und hat zugleich durch den Austausch im innerpalästinensischen Machtkampf an Gewicht gewonnen. Angesichts der bevorstehenden Wahlen in den Palästinensergebieten für das Präsidentenamt und das Parlament im kommenden Jahr ist das eher ein beunruhigendes Zeichen: Die gemäßigte Fatah ist geschwächt, die Hamas gestärkt. Warum also jetzt ein Austausch, den die Regierung auch vor Jahren schon hätte einfädeln können? Ein Motiv ergibt sich aus den innenpolitischen Spannungen in Israel. Netanjahu stand in den letzten Wochen unter erheblichem Druck, denn im eigenen Land verschaffte sich eine Protestbewegung Luft, die nur mit großen politischen und finanziellen Zugeständnissen im Zaum gehalten werden konnte.

Das gespaltene Land

Die Protestbewegung hat Israel tief gespalten. Der Premier brauchte eine politische Versöhnungsgeste, die ihm in der Auseinandersetzung nach innen ein wenig Spielraum verschafft. Die Befreiung des Soldaten Schalit kommt ihm daher jetzt als Erfolg gelegen.

Doch dieser Erfolg dürfte teuer erkauft sein. Israel hat viel Zeit verstreichen lassen. Vor allem hat es die Umwälzungen des arabischen Frühlings nicht genutzt, um einen Durchbruch zu einem tragfähigen Frieden mit den Palästinensern zu erreichen. Im Gegenteil: Der harte Widerstand der Regierung Netanjahu gegen die Bestrebungen von Präsident Abbas, einen eigenen Staat zu gründen, hat Israel isoliert.

Gewalt als einzige Sprache

Der Machtwechsel in Kairo drohte zudem die Beziehungen zum strategischen Partner Ägypten nachhaltig zu belasten. Umso wichtiger war daher für Israel, dass auch die Ägypter sich als Vermittler eingeschaltet haben. Dass die anstehenden Friedensgespräche nun einen Durchbruch im jahrzehntelangen Tauziehen um eine Zwei-Staaten-Lösung bringen werden, ist allerdings wenig wahrscheinlich.

Zu verhärtet sind die Fronten bei den Themen Siedlungsbau oder Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge. Immer deutlicher wird zugleich, dass sich Israel nach diesem Tag nicht nur mit dem gemäßigten Abbas auseinandersetzen, sondern den Machtfaktor Hamas endgültig anerkennen muss. Und die betrachtet Gewalt als einzige Sprache, die Israel versteht.

Es mag eine zynische Kalkulation sein: Eine neue Eskalation der Gewalt könnte Israel innenpolitisch wieder zusammenschweißen. Netanjahu braucht dieses Band der nationalen Einheit, da er eine viel gefährlichere Auseinandersetzung mehr als alle Konflikte mit den Palästinensern fürchtet: mit dem Iran. Das Atomprogramm Teherans und die Unberechenbarkeit der Führung stellen für Israel die eigentliche Bedrohung dar. Die Beziehungen zwischen Hamas und Iran heizen den Konflikt noch an. Insofern steckt Israel mehr denn je in einer bedrohlichen Klemme.

* Handelsblatt, 19. Oktober 2011 |

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