Werbung
Werbung
Werbung

Der junge Autor Sayed Kashua konfrontiert schonungslos mit der Situation in Israel.

Wie leben Menschen in einem Land, das sie nicht als ihr Land ansehen (können)? Wie leben israelische Araber in Israel? Welches Selbstverständnis haben sie, welche persönlichen und gesellschaftlichen Konflikte haben sie zu ertragen? Sayed Kashua kennt die Situation und hat sie in all ihrer schrecklichen Aussichtslosigkeit in seinem Roman "Tanzende Araber" dokumentiert. Kashua wurde 1975 geboren, lebt im palästinensischen Teil des Dorfes Beit Safa bei Jerusalem, das bis zum Sechstagekrieg zwischen dem israelischen und dem jordanischen Jerusalem zweigeteilt war, und arbeitet als Kolumnist und Filmkritiker in Tel Aviv. Obgleich die Verfassung des Landes die Gleichstellung mit den jüdischen Staatsbürgern garantiert, beherrschen Ungleichbehandlung und Diskriminierung den Alltag der Araber in Israel. Diesen Umstand macht Kashua zum Leitmotiv seines Romans.

"Tanzende Araber" ist ein Buch ohne Illusionen, ein Buch, das den Fahrplan für einen Frieden in Nahost im Nebel praktizierten Hasses verschwimmen und selbst den Weg zu einem friedlichen Nebeneinander als Utopie erscheinen lässt. "Mein Vater sagt, für unsere Verwandten in Tulkarm, Ramallah, Nablus und Bakat el-Chatb sei es am besten, wenn sie, wie er, einen blauen Ausweis bekämen. Dass sie siebtklassige Bürger in einem zionistischen Staat würden. Er sagt, das sei besser, als ein erstklassiger Bürger in einem arabischen Staat zu sein. Mein Vater hasst Araber, er sagt, es ist besser, Sklave bei einem Feind zu sein statt Sklave eines Führers aus dem eigenen Volk." Diese Verbitterung steht am Ende des Lebens jenes Vaters, der als Freiheitskämpfer im israelischen Gefängnis saß, weil er eine Bombe in einem Kaffeehaus gezündet hatte. Dies ist nicht die einzige Desillusionierung, die der Leser miterleben darf.

Kashua erzählt aus der Perspektive eines Jungen, der im Schrankkoffer der Großmutter einen Teil der Geschichte seines Vaters findet, ausgesprochen wird nichts, langsam muss er sich seine Identität erobern und erst nach 70 Seiten wird auch dem Leser klar, dass hier die Geschichte eines Arabers in Israel erzählt wird. "Am Tag, als ich zum ersten Mal Juden aus der Nähe sah, pinkelte ich mir in die Hose." Die Arbeitskollegen des Vaters kommen und die arabischen Schüler werden von jüdischen Schülern eingeladen, zaghafte Brücken, die gebaut werden.

In einem Interview mit der Zeitschrift "Das Parlament" hat Kashua über die Entstehung des Romans erklärt: "Ich habe ihn aus mehreren Gründen auf Hebräisch verfasst. Erstens gibt es kaum arabische Verlage in Israel. Zweitens wollte ich mich an die Mehrheit der Israelis wenden und Teil dieser Gruppe sein. Alles, was ich tue, entstammt meinem Minderwertigkeitskomplex. Ich wollte die israelische Elite beeindrucken. Um in Israel Einfluss auszuüben, muss man auf Hebräisch schreiben."

Das Anderssein wird dem begabten Helden schnell vor Augen geführt, als er eine weiterführende Schule für Hochbegabte besuchen darf. Er weiß nicht nur nicht, wer die Beatles sind, weiss nicht, was er mit dem Tablett im Speissaal tun soll und wie man mit Messer und Gabel isst. Bei der Heimfahrt wird er von den israelischen Schülern verspottet. "Sie fangen an zu singen, ein Lied, das mir bekannt vorkommt, aber so wie wir immer singen Der Jude ist tot', singen sie Mohammed ist tot'."

Die Lehre, die der Held aus diesen Erfahrungen zieht, ist Anpassung und er versucht in Zukunft israelischer auszusehen als jeder Israeli. Nach außen ist dieser Anpassungsprozess erfolgreich, doch letztlich zerbricht er daran. Die Liebe zu seiner Schulfreundin Noemi kann nur bis zur Matura reichen, denn die Mutter zieht eine "lesbische Tochter einer Tochter vor, die mit einem Araber gehe". Das Scheitern ist vorprogrammiert und so schonungslos wie auch die Schilderung der innerfamiliären Freude über jeden toten Israeli während der Intifada. "Wenn ein Jude umgebracht wird, backt auch unsere Hauswirtin ,basbousa' und bringt uns etwas auf einem kleinen Teller. Sie nimmt ihr Kopftuch ab und hält sich damit den Mund zu, damit man nicht hört, wenn sie kleine, unterdrückte Freudensschreie ausstößt." Dass trotz dieser Schonungslosigkeit in der Schilderung der Konflikte und Gegensätze zwischen Arabern und Israeli keineswegs Stimmung für eine der beiden Gruppen gemacht wird und so die Kluft nicht weiter vertieft wird, gibt ebenso zur Hoffnung Anlass wie die positiven Kritiken, die dieses Buch durch israelische Kritiker erfuhr. Vielleicht ist der Friede doch keine Illusion. Der Weg dorthin führt sicherlich nur über eine Offenheit, wie sie Kashua vorgezeigt hat, die die Probleme anspricht und die Identität und die Geschichte des anderen dennoch achtet.

Tanzende Araber

Roman von Sayed Kashua

Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler

Berlin Verlag, Berlin 2002

278 Seiten, geb., e 19,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung