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Ist Chancengleichheit gleich Pflichtmitgliedschan?

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Eine Analyse der derzeit laufenden Mitgliederbefragung über die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern.

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Eine Analyse der derzeit laufenden Mitgliederbefragung über die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern.

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Das System der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft bei öffentlich-rechtlich organisierten Verbänden in Österreich wird zur Zeit von mehreren Seiten kritisiert. Daß dabei sehr oft Polemik, griffige und kämpferisch klingende Parolen, gebildet aus unvollständigen Informationen, die veröffentlichte Meinung darstellen, erschwert eine objektive Analyse ungemein. Oft werden entscheidende Aspekte übersehen.

Dies gilt besonders für die Wirt-schaftskammern, die allerdings wegen der starken Differenziertheit ihrer Mitgliederschaft und Aufgaben auch besonders komplex und daher wohl auch schwer zu verstehen sind.

Grundsätzlich bedeutet Pflichtmitgliedschaft die einzige Möglichkeit aller - also auch und vor allem der Kleinen - sich in großen Verbänden zu oganisieren, ohne daß die oft begründeten Anliegen der Kleinen durch die mächtigen Großen unterdrückt, beeinflußt oder sogar einfach ignoriert werden. Das System der Pflichtmitgliedschaft kommt, so paradox dies auf den ersten Blick erscheinen mag, dem demokratischen Grundgedanken unserer Gesellschaft viel mehr entgegen als man glaubt.

Was wäre die Alternative? Untersucht man die Möglichkeit der Selbstorganisationsfähigkeit verschiedener Gruppen, so kommt man unweigerlich zum Schluß, daß nur die kleinen Gruppen von Großen diese Fähigkeit besitzen. Sie sind selbstorganisations-fähig. Industriellenverband, Bankenverband, Versicherungsverband, Handelsverband et cetera sind einige der gängigsten Beispiele.

Mit Sicherheit aber nicht selbstorga-nisationsfähig sind große Gruppen von Kleinen. Diese sind ohne externe Hilfe nicht in der Lage, einen eigenen Verband zu gründen, der ihre Interessen gegenüber den (öffentlichen) Großen durchsetzt. Externe Hilfe bedeutet aber auch Einflußnahme und Einflußnahme bedeutet oftmals Interessenkonflikt und damit ein Verwässern der eigenen Anliegen. Friedrich von Hayek hat es auf einen Nenner gebracht: „Mehrheiten, die schweigend leiden”. Das wäre - zugegebenermaßen nicht immer - aber im Großteil der Fälle das Ergebnis der Selbstorganisation von Kleinen auf freiwilliger Basis. Die Beispiele der freiwilligen Verbände wie ÖAMTC (Motiv: primär technische Pannenhilfe und nicht Interessenvertretung), ÖGB (leider oft Bedingung für den Job), politische Parteien (Privilegien für Mitglieder) et cetera sind gar so „freiwillig” auch wieder nicht. Dies soll nicht die Verdienste dieser Organisationen schmälern, aber den Begriff „freiwillig” etwas ins rechte

Licht rücken. Sogar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mußte der Amerikanische Kongreß die bis dahin begrenzten Möglichkeiten der Kleinen durch die Gründung der „Small Business Administration” als Gegenpart der Lobbyisten korrigieren. Allerdings nach dem Motto: „Alles für und nichts durch das Volk”. Es gibt keine demokratischen Strukturen, die SBA-Leitung wird durch den Kongreß bestellt.

Das Ergebnis ist ernüchternd. Fast überall, wo der Staat direkt eingreift - und ein Beistellen von Ersatzmechanismen für die Pflichtmitgliedschaft durch den Staat stellt so ein Eingreifen dar - wird das ursprüngliche Ziel entweder nicht erreicht, oder die Verbände verfolgen andere Aufgaben als jene, welche der österreichische Gesetzgeber für Kammern vorgesehen hat.

Nach wie vor spricht daher mehr für als gegen die Pflichtmitgliedschaft, vor allem, wenn man erkennt, daß letztendlich die Pflichtmitgliedschaft die demokratischere Lösung ist und damit einen klaren Weg zur Chancengleichheit darstellt.

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