„Janukowitsch ist der leichtere Partner für die EU“

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Ivan Krastev bürstet das Wahlergebnis und die politischen Entwicklungen in der Ukraine gegen den Strich: Der erste Fehler in den gängigen Interpretationen der jüngsten politischen Ereignisse in der Ukraine besteht für ihn darin, Viktor Janukowitsch, den Verlierer von 2004 und Gewinner 2010, damals wie heute als ein und dieselbe Person darzustellen: „Der Janukowitsch von heute ist ein völlig anderer als der vor fünf Jahren.“

Der bulgarische Politologe Krastev leitet in Sofia die politische Denkfabrik „Zentrum für liberale Strategien“. Derzeit forscht er am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM). Den Unterschied zwischen dem damaligen und heutigen Janukowitsch vergleicht er mit dem Identitätswechsel, den Aleksander Kwasniewski 1988/89 durchgemacht und der aus dem Kommunisten einen Sozialdemokraten und schließlich den Nachfolger Lech Wa/lÛesas im polnischen Präsidentenamt gemacht hat.

Janukowitsch heute noch als eine Marionette Moskaus darzustellen, greift für Krastev deswegen viel zu kurz. Im Gegenteil, der Politologe sieht im neuen ukrainischen Präsidenten sogar „den leichteren und besseren Partner für die EU“, als es seine unterlegene Kontrahentin Julia Timoschenko gewesen wäre. Janukowitsch werde sich vor einer zu kremlnahen Politik hüten, ist Krastev überzeugt, denn damit würde er nur die gegen ihn gehegten Vorurteile bestätigen. Der neue Präsident werde vielmehr, so der bulgarische Analytiker, die Nähe zur Europäischen Union suchen – mehr als das Timoschenko getan hätte, die umgekehrt zu Janukowitsch ihre Russlandfreundlichkeit hätte beweisen müssen.

Ukrainische Oligarchen wollen keine Konkurrenz

Als entscheidenden Grund für keine übermäßig russophile Politik bei Janukowitsch sieht Krastev jedoch einen wirtschaftlichen Grund: Der ukrainische Präsident hat mächtige Oligarchen im Rücken, die den Kohle- und Stahlsektor im ostukrainischen Donbass kontrollieren. Diese haben kein Interesse daran, russischen Unternehmern, die ein Auge auf diese Wirtschaftsregion geworfen haben, das Feld zu überlassen. Bei Timoschenko, die nur zu gerne die Machtbasis ihres ewigen Kontrahenten geschwächt hätte, wäre das – ukrainische Interessen hin oder her – sehr leicht der Fall gewesen. Und überhaupt: Angeblich hätte Russlands Premier Putin gerne Timoschenko im Präsidentenpalast des Brudervolkes gesehen, während Janukowitsch als Vorzugskandidat des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew gilt.

In ihrem Demokratieverständnis sind sich Janukowitsch und Timoschenko sowieso nicht so unähnlich, wie es die unterlegene Kandidatin dargestellt hat, sagt Krastev, der den Umbruch von 2004 auch nicht als völlig gescheitert darstellen möchte: „Die Orange Revolution hat den Staat nicht effektiver, nicht weniger korrupt gemacht. Aber die Ukraine ist ein demokratisches Land geworden, es gibt eine Alternative und das Volk hat die Wahl.“ (wm)

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