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Es ist elf Uhr vormittags und Said schon etwas nervös. Endlich entdeckt er am Straßenrand einen Händler, der unscheinbare grüne Zweige verkauft. Said nimmt gleich ein ganzes Bündel. Für 300 Rial (etwa 30 Schilling), im Jemen fast ein Tagesverdienst. Zufrieden bricht er die zarten jungen Triebe ab und fängt genüsslich zu kauen an. Ein nicht ganz ungefährliches Vergnügen, schließlich handelt es sich bei dem vegetarischen Leckerbissen um Qat, ein leichtes Rauschmittel, und bei Said um den Fahrer unseres Wagens.

Said ist deshalb auch gut "drauf". Mit voller Backe - Qat wird nicht geschluckt, sondern im Mund zu einer immer größer werdenden Kugel gedreht - summt und trommelt er und vergisst fast, dass er uns sicher über die schwindelerregend hohen leitschienenlosen Pässe des Bergjemen bringen soll. Gefährlich ist deshalb auch weniger die leicht aufputschende Wirkung durch Amphetamin, sondern die Ablenkung: Wenn Said die frischen Blätter prüft, einzelne Triebe abbricht, sie auf dem Lenkrad weichklopft, in den Backen dreht und wendet und dann zur Wasserflasche greift, um die Wirkung des Katinon zu verstärken, kann er sich auch noch auf den Straßenverkehr konzentrieren?

Ohne Qat geht im Jemen gar nichts. Keine Besprechung, keine Geschäfte, schon gar keine Feiern oder Hochzeiten. 80 Prozent der Männer, aber auch überraschend viele Frauen sind der milden grünen Droge verfallen. Ein gutes Drittel (!) der landwirtschaftlichen Fläche und die Hälfte der knappen Wasserressourcen dienen nur dem Qatanbau. Am Nachmittag erliegt praktisch das ganze gesellschaftliche Leben: In den Suks, im Mafraj, dem Versammlungsraum der Männer, in der Medrese, der Koranschule, überall wird hingebungsvoll gekaut, bis sich die Backen tennisballgroß dehnen. Ein Jemenite, so meinen die Gegner des übermäßigen Qatkonsums, verbringt mehr Zeit beim Qat als bei der Arbeit. Verbote der Imame, der geistlichen Führer, oder der britischen Besatzer haben daran ebensowenig geändert, wie die Ächtung durch das frühere sozialistische Regime im Süden. Was nicht wundert. Schließlich soll selbst im Präsidentenpalast immer noch dem Qat gefrönt werden. Wer zu den erlauchten Kaurunden mit Staatspräsident Ali Abdal Salih nicht geladen ist, kann seine Karriere in der demokratischen Autokratur (Jemens Staatsoberhaupt wird seit 22 Jahren immer wieder gewählt) wohl abschreiben. Neben dem Gewürzsuk von Sana'a, der 2.200 Meter hoch gelegenen Hauptstadt, ist ein eigener Qatsuk entstanden. In ganzen Büschen wird das saftige Grün angeboten. Ein Arm voll ist etwa eine Tagesration.

Die Altstadt von Sana'a besticht durch ihr einzigartiges mittelalterliches Stadtbild. Die märchenhaften, wie Lebkuchenhäuser mit reichem weißen Zuckerguss verzierten Stein- und Lehmhäuser sind ein Weltkulturerbe der UNESCO. Manche verfallen zwar schon, andere dienen als Hotel, wie das wunderschön mit Kalk dekorierte Arabia Felix, das in einem alten Stadtpalast adaptiert worden ist. Ein idealer Ausgangspunkt für die Altstadt, in das lärmende arabische Markttreiben.

Zwischen dem Bab al-Yemen und der Talha Moschee wird gehandelt und gefeilscht, Datteln werden verkauft und Kaffee geröstet, übermäßig gezuckerter Tee, der Schaij, getrunken und zum Qat die Wasserpfeife geraucht. Im Silbermarkt verkauft man den Touristen silberne Maria-Theresien-Taler, 600 Rial (etwa 60 Schilling) das Stück. Sie sind bis 1962 ein offizielles Zahlungsmittel gewesen.

Nur 25 Kilometer nordwestlich von Sana'a besichtigen wir das - neben der Lehmhäuser-Skyline von Shibam - meistfotografierte Gebäude, die Sommerresidenz des Imam Yachys. Imposant und bizarr thront der Palast auf einem 50 Meter hohen Felsen. Imam Yachy war der vorletzte geistliche Herrscher des Jemen. Eine Woche nach dem Tod seines Sohnes Ahmad Yachy übernahm 1962 das Militär die Herrschaft. Der siebenjährige Bürgerkrieg endete mit der Teilung in den konservativen Nordjemen (Sana'a) und die Volksrepublik Südjemen (Aden). Nach Grenzkriegen, Militärputschen und Umstürzen kam es 1990 zur Vereinigung der beiden Jemen, an der auch ein Sezessionsversuch des Süden 1994 nichts ändern konnte.

Der Jemen ist ein streng konservatives islamisches Land mit einer besonders starken Stellung der Stämme. Das merken auch Touristen sofort. Während unsere Auto-Karawane an den Ortseinfahrten vom Militär kontrolliert wird, müssen wir in den Bergregionen immer wieder an den Straßensperren der Stammeskrieger anhalten. In ihrem Räuberzivil, die unvermeidliche Kalaschnikow im Anschlag, sehen sie ziemlich martialisch aus. Entführungen hat es zwar gegeben, bis auf eine einzige sind sie aber alle friedlich verlaufen. Dem Tourismus hat es trotzdem geschadet: Statt früher bis zu 80.000 besuchen nun nur noch 20.000 Touristen, meist Europäer und einige Asiaten, den Jemen.

Nach Hajjarah im Haraz-Gebirge, einem einzigartig gelegenen trutzigen Bergdorf, führt nur eine steinige Piste. Die halbstündige Fahrt lohnt sich. Aus der kargen Landschaft hebt sich plötzlich ein kleines wehrhaftes Manhatten. Die Fronten der schmalen hohen Häuser bilden eine gemeinsame Mauer, die untere Stockwerke haben keine Fenster und sind leicht zu verteidigen. Uns haben aber bereits die Dorfkinder "erobert", die uns für ein "sora", ein Foto, und "baqschisch", ein paar Rial, ihre Felsenheimat zeigen. Beeindruckend ist der bunte Wochenmarkt von Manakhah: Neben Obst, Gemüse und Gewürzen werden auch Kalaschnikows samt Munition angeboten.

Von den Bergen fahren wir in die Tihama, die afrikanisch geprägte tropische Küstenebene am Roten Meer. Obwohl schon Spätherbst - die beste Reisezeit ist Oktober bis April - hat es weit über 30 Grad. Ferienressorts und Badekultur darf man aber nicht erwarten. Der Sandstrand bis al-Mukha, dem alten Hafen Mokka, ist zwar traumhaft naturbelassen, Duschen und Möglichkeiten zum Erfrischen sucht man aber vergeblich.

Über Ta'izz mit einer Moschee aus der Zeit Mohammeds kehren wir nach Sana'a zurück. Im Suk müssen wir natürlich noch Kaffee, die Jemeniten bevorzugen Qishr, den schwachen Kaffee aus Kaffeeschalen, Weihrauch und Myrrhe kaufen. Nicht vergessen sollte Mann aber eine Djambiya. Der - von fast allen Jemeniten - vor dem Bauch getragene scharfe Krummdolch ist das jemenitische Macho-Symbol ...

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