Jenseits des Schweigens

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Zwei Jahrzehnte ist es her, dass der Bolschewismus zusammengebrochen ist, und es könnte sein, dass genügend Distanz besteht, sich mit den Verbrechen dieser Ära auseinanderzusetzen. Josef Haslinger hat mit seinem Buch über Jachymov ein Tabu durchbrochen, und es scheint, dass er dafür nicht mehr gesteinigt wird - was noch vor Kurzem nicht so sicher gewesen wäre.

Trotz des Iwan Denissowitsch war in den progressiven Kreisen des Westens die Neigung verbreitet, den Nazismus als ungeheuerliches Verbrechen, den Stalinismus als peinliche Verirrung anzusehen, als Entartung eines im Grunde guten Vorhabens. Auch nach dem Zusammenbruch gab es Unterschiede: Das deutsche Volk sei eines der Täter, die östlichen Völker seien Opfer. Der Nazismus sei immer ein Atavismus gewesen, der Realsozialismus dagegen wäre im Grunde mit der Geschichte im Einklang gestanden.

Viele wollten nie die erstaunlichen Ähnlichkeiten der Systeme wahrnehmen, wie sie die Totalitarismustheorie längst herausgearbeitet hat: die umfassende Ideologie, die Heilslehre, die Erziehung zum "neuen Menschen“, die hierarchische Einheitspartei und das Nachrichtenmonopol der Staatsführung, die Führerideologie, das Terrorsystem gegen feindliche Klassen oder Rassen, der Verfolgungswahn; selbst die Inszenierung von Feierlichkeiten, der Stil offiziell approbierter Kunst.

Haslinger ist der Richtige, der Unverdächtige, den realsozialistischen Terror, seine Menschenverachtung und Heuchelei herauszuarbeiten, schließlich hat er sich schon hinlänglich über die Verbrechen des "konkurrierenden“ Systems geäußert. Es gibt nicht nur westliche, sondern auch östliche "Verdrängung“ der eigenen Geschichte. Es wäre also schön, könnte ein "politischer Toter“ als "politischer Toter“ eingeschätzt werden - egal, aus welchem "höheren Grunde“ sein Leben geopfert wurde.

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