„Jetzt haben wir einen Fußboden“

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Dass die Bundesregierung zu wenig und zu wenig grundlegend gegen Armut vorgehe, wie etwa die Grünen meinen, will Sozialminister Rudolf Hundstorfer nicht nachvollziehen. Er verteidigt die Mindestsicherung, die am 1. September des Jahres in Kraft treten soll.

Die Furche: Herr Sozialminister, wenn man mit Menschen über das Thema Armut spricht, hört man oft das gleiche Argument: Für die Banken wurde binnen kurzer Zeit viel Geld aufgetrieben, bei Maßnahmen gegen Armut wird lange herumgestritten. Was würden Sie da einwerfen?

Rudolf Hundstorfer: Zunächst muss man sagen, das Bankenpaket ist nicht umsonst. Die Banken müssen zahlen und nicht so wenig. Zudem: Wir haben rasch reagiert und Maßnahmen für den Arbeitsmarkt gesetzt. Weiters sind wir in der Umsetzung eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der letzten 15 Jahre: der Mindestsicherung. Wir sind das einzige Land, in dem an einem Ausbau der Sozialhilfe gearbeitet wird und nicht am Abbau. Wir wissen, dass jeder Betroffene eine individuelle Betroffenheit hat, aber wir haben Antworten; wir können sagen: Das ist geschehen und das geschieht noch. Im letzten Jahr haben wir 580.000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit wieder in die Beschäftigung gebracht. Es ist also dokumentiert, dass wir Menschen nicht alleine lassen.

Die Furche: Sind Sie wirklich mit dieser Mindestsicherung zufrieden?

Hundstorfer: Ja, ich bin zufrieden. Zwischen den Theorien gibt es eben eine Realpolitik, und realpolitisch ist das Projekt so umsetzbar. Immerhin sind damit ein paar Veränderungen verbunden, die ganz neu sind: Bei der Notstandshilfe gibt es eine neue Berechnungsgrundlage; jene Menschen, deren einzige Einkommensquelle die Sozialhilfe ist, werden krankenversichert, das sind immerhin 17.000 Menschen. Wir haben nun einen einheitlichen Begriff von Vermögen und Regress. Die mit der Mindestsicherung verbundenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden zurzeit gerade in einem Testlauf in einem Teil von Wien erprobt.

Die Furche: Was gibt es für Erfahrungen?

Hundstorfer: Es beruht zurzeit auf Freiwilligkeit. Aber 50 Prozent machen mit, bei den anderen muss man schauen, warum nicht. Bei denen, die kommen, sind auch welche dabei, die Qualifikationsdefizite aufweisen, wo man glaubt, die gibt es nicht. Die aber trotzdem die Barriere überwinden und etwa sagen, ich möchte lesen und schreiben lernen.

Die Furche: Noch nicht erprobt ist das finanzielle Auskommen. Kritiker monieren, dass die Mindestsicherung mit 744 Euro zu niedrig sei. Die Armutsrisikoschwelle der Statistik Austria liegt bei 951 Euro.

Hundstorfer: Diese Kritik ist nicht nachvollziehbar. Zu den 744 Euro kommt noch die Familienbeihilfe dazu, die wird bei den 951 Euro schon mitgerechnet. Diejenigen, die nur Sozialhilfe als Einnahmequelle haben und heute 14-mal im Jahr Sozialhilfe beziehen, kriegen das auch morgen.

Die Furche: Das heißt, die Länder zahlen das, was über die festgelegten zwölfmal im Jahr hinausgeht?

Hundstorfer: Keine Frage. Es gibt Bundesländer, die zahlen die Sozialhilfe zwölfmal, andere 14-mal, andere das 13. und 14. Mal als Bekleidungs- und Heizkostenzuschuss.

Die Furche: Dann gibt es wieder keine bundesweit einheitliche Regelung?

Hundstorfer: Doch. Zwölfmal der Ausgleichszulagenrichtsatz sind nun die Basis für die Sozialhilfe. Das ist eine wirkliche Sensation. Jetzt haben wir einen Fußboden.

Die Furche: Können Sie mit gutem Gewissen zu einem von Armut Betroffenen sagen: Mit dem Geld wirst du auskommen?

Hundstorfer: Ich kann sagen: Das ist die Basis, dazu kommen Familienbeihilfe, Hilfe für das Wohnen – wir schauen hin.

Die Furche: Die Grünen kritisieren, die Regierung würde die Chancen des EU-Jahrs gegen Armut vertun und keine grundlegenden Reformen einleiten?

Hundstorfer: Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Mindestsicherung kostet allein mein Haus über 100 Millionen Euro. Die Länder wenden noch zusätzlich Geld auf.

Die Furche: Arbeiten alle Ministerien bei der Armutsbekämpfung zusammen, etwa im Bereich Bildung? Sie haben Jobsuchende erwähnt, die lesen und schreiben lernen müssen.

Hundstorfer: Ja, sicher. Der Schlüssel beginnt im Kindergarten. Da haben wir mit dem verpflichtenden letzten Kindergartenjahr einen wesentlichen Schritt gesetzt.

Die Furche: Wird die Armut und Armutsgefährdung in diesem Jahr weiter steigen?

Hundstorfer: Ich glaube nicht, dass die Armutsgefährdung weiter steigen wird. Wir bleiben aber auf einem kritischen Niveau. Es hängt damit zusammen, wie sich der Arbeitsmarkt weiter entwickelt.

Die Furche: Wie ist hier Ihre Prognose?

Hundstorfer: Es gibt noch keine Entspannung am Arbeitsmarkt. Wir werden weiterhin auf einem schwierigen Niveau sein. Die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik wurden nochmals erhöht: für noch mehr und exaktere Schulungsangebote.

Die Furche: Mit einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes kommen Sie bei der ÖVP nicht durch. Nun haben Sie eine Erhöhung des Kinderzuschlags beim Arbeitslosengeld vorgeschlagen. Was soll das bringen?

Hundstorfer: Es geht darum, jenen, die Kinder haben, besser entgegenzukommen. Man muss auch bedenken, dass hier jeder Euro sofort in den Konsum geht. Aber ich möchte noch etwas zum Arbeitslosengeld sagen: Die durchschnittliche Auszahlungsrate beträgt 61 Prozent (des früheren Einkommens, Anm.). Wenn man schon immer Länder mit höheren Nettoersatzraten hernimmt, muss man schon hinter die Kulissen schauen. In Dänemark, Schweden oder Norwegen muss das Arbeitslosengeld versteuert und der Krankenversicherungsbeitrag abgerechnet werden. Das ist bei uns nicht der Fall. Ab 1. Jänner gibt es den Qualifizierungsbonus für langfristige Qualifizierungsmaßnahmen. Ab dem dritten Monat Qualifizierung bekommt der Arbeitslose zusätzlich 100 Euro, ab dem sechsten 200 Euro. Das ist nicht wenig.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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