"Jetzt herrscht ein ziemliches Chaos"

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Haben Österreichs Familien vom Kinderbetreuungsgeld profitiert - oder Besseres verdient? Und: Warum ist die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen noch immer nicht geschlossen? Die VP-Abgeordnete Christine Marek und SP-Familiensprecherin Andrea Kuntzl im Streitgespräch.

Die Furche: Vergangenen Freitag ist das umstrittene Buch der deutschen Fernseh-Moderatorin Eva Herman - "Das Eva-Prinzip" - auch in Österreich erschienen. Herman plädiert darin gleichsam für eine "Rückkehr der Frauen an den Herd" und fordert: "Legen wir die Waffen nieder!" Wie nachvollziehbar - oder empörend - ist für Sie diese Meinung?

Christine Marek: Ich finde es schon befremdend, dass so etwas vertreten wird. Dass aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung ist, ist unbestritten. Die Hauptfrage ist: "Was ist weiblich?" Es ist eben eine individuelle Entscheidung jeder Frau, welche Rolle sie leben will und wo sie Schwerpunkte setzt.

Andrea Kuntzl: Angesichts dessen, wie Herman selbst gelebt hat, kommt mir das eher als ehrgeiziger Versuch vor, einen Aufreger zu poduzieren. Beim Frauenbild sehe ich das Problem eher darin, wie die meisten Frauen leben wollen - und wie sie tatsächlich leben. Die Frauenerwerbsquote steigt, zugleich will man Beruf und Kind vereinen. Aber die politischen Weichen wurden so gestellt, dass Frauen wieder aus dem Erwerbsleben gedrängt werden. Das beginnt mit dem Kindergeld: Die Berufsausstiege sind länger geworden, die Mittel für Wiedereinstiegsmaßnahmen sind gekürzt und die Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen sind auf Bundesebene gestrichen worden - mit dem Ergebnis, dass Frauen nach der Babypause schwerer einen Job finden.

Marek: Die Möglichkeit, das Kinderbetreuungsgeld zweieinhalb Jahre in Anspruch zu nehmen, ist keine Zurückdrängung an den Herd. Es geht eher um die Bewusstseinsbildung: "Frauen bedenkt, welche Konsequenzen das für euren Lebensverlauf hat." Hier braucht es sicher mehr Maßnahmen in den Betrieben. Außerdem haben wir gleichzeitig die Zuverdienstgrenze massiv ausgebaut.

Kuntzl: Das Problem ist, dass das Kindergeldsystem sehr starr ist: Wer kürzer in Karenz geht, verliert Geld. Es sollte dahingehend verbessert werden, dass die Familie bzw. die Frau aus mehreren Möglichkeiten ein maßgeschneidertes Modell wählen kann. Sie soll etwa bei kürzerer Bezugszeit mehr Geld pro Monat bekommen. Wir wollen ja nicht das Signal aussenden, dass diejenigen, die schneller in den Beruf zurückkehren wollen, die Verliererinnen sind. Auf der Bewusstseinsebene wird dadurch noch immer signalisiert, dass eine gute Mutter lange zu Hause bleiben soll. Und das ist unfair, besonders gegenüber Alleinerzieherinnen.

Marek: Ich selbst bin Alleinerzieherin und lebe permanent mit einem schlechten Gewissen, das teilweise von mir selbst kommt, teilweise von anderen. Deshalb kann ich auch Ihr Bild der "guten Mutter" überhaupt nicht teilen. Gerade die Frauenpolitik lebt ja von Vorbildern. Welche Frauen agieren denn bei uns? Das sind nicht die braven Mütter, die lange Zeit zu Hause waren. Bei uns geht es sehr wohl um den Respekt vor der individuellen Entscheidung.

Die Furche: Soll auch der Zuverdienst zum Kinderbetreuungsgeld freigestellt sein - oder beharren Sie auf der Zuverdienstgrenze von 14.600 Euro im Kalenderjahr?

Kuntzl: Ich würde die Zuverdienstgrenze nicht abschaffen, sondern als Wahlmöglichkeit eine Zeit-oder eine Zuverdienstgrenze einführen. Auch diejenigen, die ihre Arbeitszeit um mindestens zwei Fünftel reduzieren, sollen unabhängig von ihrem Einkommen einen Anspruch haben. Würden wir die Zuverdienstgrenze völlig streichen, hätten wir ein massives Finanzierungsproblem, weil die Männer, die das Kinderbetreuungsgeld im letzten halben Jahr in Anspruch nehmen, einfach weiterarbeiten würden.

Marek: Auch ich halte eine völlige Aufhebung für unrealistisch. Wir werden aber über eine Flexibilisierung der Zuverdienstgrenze reden müssen. Ich könnte mir auch vorstellen, die gesamte Zeit, in der das Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, als Durchrechnungszeitraum herzunehmen. Gerade selbstständige Frauen haben ein Problem mit der starren Jahresgrenze. Das muss alles flexibler werden.

Kuntzl: Ja, und es muss durchschaubarer sei. Jetzt herrscht ein ziemliches Chaos.

Die Furche: Ziemliche Ratlosigkeit herrscht auch bei der Väterkarenz. Derzeit beziehen nur 3,2 Prozent der Männer das Kindergeld. In Deutschland hat man nun versucht, durch ein gehaltsabhängiges Karenzgeld den Anreiz für Männer zu verstärken. Was halten Sie von dieser Lösung?

Marek: Das ist sicher eine spannende Sache. Einstweilen bekennen wir uns aber klar zum Kinderbetreuungsgeld. Hier muss man sicher in den Unternehmen die Bewusstseinsbildung für die Väterkarenz fördern.

Kuntzl: Unmittelbar steht sicher die Flexibilisierung des Kindergeldes an. Über ein gehaltsabhängiges Modell kann man dann reden. Um Anreize für Väter zu stärken, wollen wir jedenfalls einen Papa-Monat nach der Geburt einführen, also einen Rechtsanspruch bei vollem Einkommensausgleich, um die Frau zu unterstützen.

Marek: Ich habe immer ein Problem mit "Rechtsanspruch": Derzeit erlebe ich etwa in den Firmen seitens der Arbeitgeber noch immer große Widerstände beim Recht auf Elternteilzeit.

Kuntzl: Man braucht aber den Rechtsanspruch, damit nicht der Einzelne allein in seinem Betrieb Bewusstseinsarbeit leisten muss.

Die Furche: Familienförderung geht auch steuerlich. Die ÖVP hat etwa den Alleinverdienerabsetzbetrag von 4400 auf 6000 Euro angehoben. Unterstützt man damit nicht wieder das Alleinverdiener-Hausfrau-Modell?

Marek: Nein, aber derzeit kommt in den meisten Familien eben das Haupteinkommen vom Mann. Der verdient einfach mehr. Der Alleinverdienerabsetzbetrag ist zumindest die Möglichkeit, dass das Einkommen der Frauen stärker als bisher auch anerkannt wird.

Kuntzl: Also ich sehe das klar als Bevorzugung des Hausfrauenmodells und Bestrafung von Modellen, wo beide berufstätig sind. Das geht hin bis zu den Maßnahmen diverser Pensionsreformen, wo die eigenständigen Pensionen der Frauen gegenüber den Hinterbliebenenpensionen bis auf Null gestrichen worden sind.

Marek: Warum sind denn die Frauenpensionen gering? Weil die Fraueneinkommen gering sind. Frauen haben eben oft sehr lange Ausstiegsphasen . Aber wir können die Realitäten ja nicht ignorieren, und die sind so, dass die Frauen die Kinder bekommen und auch den Hauptteil der Familienarbeit leisten. Nun ist es aber erstmals im Pensionssystem so, dass genau das auch stärker anerkannt wird.

Kuntzl: Nein, bei der Pensionsreform wurde auf diese unterschiedlichen Lebensverläufe viel zu wenig Rücksicht genommen! Frauen wurden durch die längeren Durchrechnungszeiträume in die Armutsgefährdung gedrängt.

Die Furche: Die SPÖ will die Einkommensschere zwischen Mann und Frau - derzeit 30 Prozent - innerhalb von fünf Jahren um drei Prozent reduzieren: Wie soll das geschehen?

Kuntzl: Durch ein Maßnahmenbündel. Das beginnt bei Ausbildungsmaßnahmen, Förderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und beinhaltet, dass man tatsächlich wieder Geld in die Hand nimmt für die Aktivförderung der Frauen nach der Babypause. Dafür sind 100 Millionen Euro vorgesehen.

Marek: Das hätten Sie auch schon früher machen können. Die Einkommensschere ist ja auch vor 2000 nicht kleiner geworden. Tatsache ist aber, dass sie nun kleiner wird. Betrachtet man die arbeitszeitbereinigten Zahlen - umgerechnet in Vollzeitäquivalente -, dann waren es 1999 21 Prozent und 2004 nur noch 18 Prozent.

Kuntzl: Arbeitszeitbereinigung hin oder her: Faktum ist, dass die Frauen mit immer weniger Geld auskommen müssen. Der Sozialbericht des Sozialministeriums beweist, dass die Armut in Österreich in den letzten Jahren vehement angestiegen ist. Jede siebente Frau ist armutsgefährdet.

Marek: Man muss aber schon Äpfel mit Äpfeln vergleichen und nicht mit Birnen. Ich nehme etwa zur Kenntnis, dass der überwiegende Teil der Frauen, die Teilzeit arbeiten, diesen Teilzeitjob auch ganz bewusst gewählt haben.

Kuntzl: Laut Arbeiterkammer arbeiten vier Fünftel der Frauen unfreiwillig Teilzeit.

Marek: Das Österreichische Institut für Familienforschung spricht nur von sieben Prozent.

Kuntzl: Tatsache ist, dass viele Frauen oft nicht mehr von dem leben können, was sie verdienen. In Österreich gibt es bereits rund 300.000 "working poor".

Marek: Das kann man nicht entkoppelt von der internationalen, Konjunktur-Entwicklung sehen. Ich denke aber, dass der Schlüssel zur Verbesserung sicher in der Qualifikation der Frauen liegt.

Die Furche: Sie beide haben also jede Menge Pläne: Soll es zu ihrer Umsetzung künftig eine eigenständige Frauenministerin geben - in einem Land, das sich schon einmal mit Herbert Haupt einen männlichen "Frauenminister geleistet hat?

Kuntzl: Natürlich soll es eine eigenständige Frauenministerin geben, wobei dieses Ministerium mit entsprechenden Stabsstellen in allen Ministerien vernetzt sein soll.

Marek: Auch ich spreche mich klar für eine Frauenministerin aus, wobei es schon sein kann, dass sie mehrere Zuständigkeiten hat, damit die Regierung nicht aufgeblasen wird. Maria Rauch-Kallat ist ja auch Gesundheitsministerin und Frauenministerin.

Kuntzl: Das weiß aber laut einer Umfrage nur ein Bruchteil der Frauen.

Marek: Traue keiner Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast ...

Das Gespräch moderierten

Doris Helmberger und

Elisabeth Kropf.

Zu dieser Debatte wurde auch eine BZÖ-Vertreterin eingeladen. Leider war es keiner Bündnis-Politikerin möglich, zum festgesetzten Termin zu erscheinen.

Nächste Woche steht das Thema Asylpolitik im Mittelpunkt.

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