"Jetzt ohne die schwarze Kugel am Bein"

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Ein halbes Jahr nach ihrer Bestellung zur SP-Bundesgeschäftsführerin nimmt Andrea Kuntzl im Furche-Gespräch Stellung zur Krise ihrer Partei und dem Vorwurf aus den eigenen Reihen, die Umstellung der SPÖ zur schlagkräftigen Oppositionspartei dauere schon zu lange.

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Ein halbes Jahr nach ihrer Bestellung zur SP-Bundesgeschäftsführerin nimmt Andrea Kuntzl im Furche-Gespräch Stellung zur Krise ihrer Partei und dem Vorwurf aus den eigenen Reihen, die Umstellung der SPÖ zur schlagkräftigen Oppositionspartei dauere schon zu lange.

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Die Furche: In der sehr bewegten Zeit rund um den Regierungswechsel hat es von Seiten Ihrer Partei geheißen, die Politisierung, der Ruck der durch das Land geht, soll für die SPÖ genutzt werden. Ein halbes Jahr später deuten alle Umfragen darauf hin, dass der SPÖ das bislang nicht gelungen ist.

Kuntzl: Die Datenlage bei Meinungsumfragen ist sehr beweglich, insofern würde ich das jetzt noch nicht überbewerten. Darüberhinaus ist es nach wie vor so, dass uns sehr viele Leute mailen, schreiben, anrufen und ihre Bereitschaft zur Mitarbeit ausdrücken. Wir wollen das jetzt kanalisieren und eine Plattform anbieten. Ab Herbst soll ein großes Diskursprojekt starten, wo es darum geht, mit Leuten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen die großen Themen der Zukunft zu diskutieren und gemeinsam Gegenentwürfe zum derzeitigen Regierungsprogramm zu erarbeiten.

Die Furche: Aus den eigenen Reihen - vor allem aus den Landesorganisationen - kommt Kritik, dass das alles viel zu langsam geht. Sie reden von einem Diskursprojekt, das gestartet wird. Viele wollen aber schon Ergebnisse sehen.

Kuntzl: Es gibt sicher einen Fundus an Konzepten, den die SPÖ hat. Das sind aber zu einem Großteil Konzepte, die in Koalitionszeiten mit einer konservativen Partei entstanden sind, sozusagen mit der schwarzen Kugel am Bein. Diese Konzepte wurden bei ihrer Entstehung schon als kompromissfähige Vorschläge angedacht. Jetzt geht es darum, alles noch einmal neu zu überdenken und klare sozialdemokratische Positionierungen auszuarbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass wir jetzt ein Jahr in Klausur gehen und uns nicht mehr zu Wort melden. Es wird sicher laufend aus diesem Projekt heraus Impulse geben, mit denen wir Reformkonzepte und Ideen öffentlich zur Diskussion stellen.

Die Furche: Sie haben von einer schwarzen Kugel gesprochen. Wird jetzt - um in Zukunft in andere Richtungen hin koalitionsfähig zu sein - in der SPÖ mit einer andersfärbigen Kugel gedacht. Zum Beispiel mit einer grünen Kugel.

Kuntzl: Nein, in Richtung möglicher Koalitionen wird dabei nicht gedacht. Jetzt geht es einfach darum, dass wir uns klar und deutlich mit unserer Politik abgrenzen und positionieren.

Die Furche: In der Debatte um die Einführung einer Steuer auf Stiftungserlöse hat die SPÖ Signale an die FPÖ gesandt, sie in dieser Frage gegen den Koalitionspartner ÖVP zu unterstützen. Die Zusammenarbeit mit der FPÖ ist also auch für die SPÖ möglich?

Kuntzl: Die SPÖ hat in dieser Frage eine Sondersitzung im Nationalrat beantragt, in der wir die FPÖ bei der Besteuerung der Stiftungserlöse und der sozialen Staffelung im Bereich der Landwirtschaft beim Wort nehmen. Ich sehe darin aber keine Zusammenarbeit, sondern das Angebot eine parlamentarische Mehrheit für sozialdemokratische Forderungen herzustellen. Und wenn die FPÖ sozialdemokratische Forderungen in die Diskussion einbringt, dann sollen sie diesen im Parlament auch zustimmen.

Die Furche: Sich deutlicher abgrenzen und positionieren, heißt das, die SPÖ steuert in Zukunft mehr nach links?

Kuntzl: Wenn Sie sozial gerecht als links bezeichnen, wenn Sie zukunftsfähig als links bezeichnen, dann ja. Ich denke, die Sozialdemokratie ist eine Mitte-Links-Partei. Sie war es und wird auch weiterhin bei dieser Positionierung bleiben. Die SPÖ ist eine Partei, die gewohnt ist, konstruktiv für die Gesellschaft zu arbeiten und Verantwortung zu tragen. Dieser Geist wird weiterhin unsere Politik auszeichnen.

Die Furche: Worin sehen Sie die Hauptursachen für die momentane Krise der Sozialdemokratie?

Kuntzl: Wir sind von der öffentlichen Präsenz einer Regierungspartei zurückgefallen auf die Präsenz einer Oppositionspartei. Und das ist ein Umstellungsprozess der weder uns, noch denen die Politik beobachten und bewerten leicht fällt. Ich bemerke auch in unseren eigenen Reihen, dass die anfängliche Oppositionseuphorie jetzt bricht, und viele auf den Boden der Oppositionsrealität zurückkommen. Wir treten gerade in eine Phase ein, in der wir uns den Mühen der Ebene der Oppositionsarbeit stellen müssen. Da ist es so, dass manche sehr ungeduldig reagieren, aber viele Dinge müssen erst behutsam umgestaltet werden. Und dazu brauchen wir Zeit.

Die Furche: Wieweit wird bei dieser Umgestaltung an personelle Veränderungen gedacht? Vor allem Forderungen nach Verjüngung auf parlamentarischer Ebene wurden laut.

Kuntzl: Ich bin dafür, aber wir müssen das in einer vertretbaren Art und Weise machen. Mit einem Federstrich Leute auszutauschen, kann nicht Anspruch sozialdemokratischer Politik sein. So gehen wir bei uns nicht miteinander um.

Es wird aber zu einem Prozess kommen, wo jüngere Leute nachrücken werden. Wir - als neues Führungsteam der Partei - haben sicher den Anspruch in allen Bereichen und auf allen Ebenen unserer Partei darauf zu schauen, dass junge Leute ausreichend Chancen bekommen, ihre Positionen einzubringen. Ich halte jedoch nichts von brutalen Schnitten, sondern ich bin für solidarische Lösungen, die von jenen Leuten mitgetragen werden können, die davon betroffen sind.

Die Furche: Mir ist noch ein Bild in Erinnerung, wie Sie gemeinsam mit anderen "Danke-Wolfgang"-Transparente vor dem Kanzleramt schwenken. Vergangene Woche haben sie die E-Card "Black and Blue is watching you" präsentiert. Setzt die SPÖ jetzt verstärkt auf Aktionismus?

Kuntzl: Diese Aktionen werden von einer Gruppe von jungen Leuten bei uns entwickelt. Dabei geht es darum neue Formen zu finden, politische Inhalte zu transportieren. Und letzlich ist es auch wichtig, dass politische Arbeit Spaß macht. Darum wird bei uns - neben vielen anderen Formen der politischen Arbeit - auch politischer Aktionismus einen Stellenwert haben.

Die Furche: Wie will es die SPÖ schaffen, die politische Heimat für Engagierte in zivilgesellschaftlichen Gruppen zu werden, die zwar Kritik an der derzeitigen Regierungspolitik üben, deswegen aber noch lange nicht der SPÖ ihre Stimme geben?

Kuntzl: Es gibt bereits gute Gesprächskontakte mit Repräsentanten diverser zivilgesellschaftlicher Gruppierungen. Aber es geht keinesfalls darum, diese zu vereinnahmen. Entscheidend ist, gemeinsam Möglichkeiten zu nutzen, um einen gesellschaftspolitischen Prozess voranzutreiben. Zum Beispiel in Fragen der Demokratieentwicklung. Ein schleichender Prozess der Einschüchterung ist eingetreten, wo viele Einzelschritte geschehen, die letztlich zu einer Verengung der Meinungs- und Medienvielfalt führen. Hier muss, gemeinsam mit den Exponenten zivilgesellschaftlicher Initiativen, ein öffentlicher Sensibilisierungsprozess in Gang gesetzt werden.

Die Furche: In manchen Bereichen kann man der SPÖ den Vorwurf nicht ersparen, sie habe - noch in Regierungsfunktion - vieles von dem was jetzt an Gesetzen beschlossen wird, auf den Weg gebracht. Wie wollen Sie die angebliche Wandlung vom Saulus zum Paulus den Leuten glaubhaft machen?

Kuntzl: Ich weiß nicht, was Sie da ansprechen ...

Die Furche: Ich nenne nur als besonders umstrittene Beispiele das Sicherheitspolizei- und Militärbefugnisgesetz, von denen es doch geheißen hat, dass sie wortident mit den Vorlagen aus rot-schwarzen Koalitionszeiten sind.

Kuntzl: Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir in den letzten Jahren nicht auch politische Fehler gemacht hätten. Deshalb geht es jetzt um eine Neupositionierung jenseits der Politik in einer Koalitionsregierung. Trotzdem, wenn Sie sich Aussagen vor Augen halten, die dahin gehen, dass die Presseförderung als Disziplinierungsmaßnahme eingesetzt werden soll. Nach dem Motto: Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht. Oder wenn es heißt, man werde zwischen Böcken und Schafen unterscheiden. Dann sind das klare Drohungen. Das ist eine neue Qualität, die sich von dem Klima unterscheidet, das die Sozialdemokratie verbreitet hat.

Die Sozialdemokratie ist mit dem Anspruch angetreten, alle gesellschaftlichen Bereiche mit Demokratie zu durchfluten. Da ist auch viel passiert. Und dieses gesellschaftliche Klima gehört zum schweren Erbe, das diese Regierung übernommen hat. Und offensichtlich ist die Regierung bestrebt, dieses Erbe in bestimmten Bereichen rückgängig zu machen. Der Grundsatz dieser Koalition scheint zu sein, alle gesellschaftlichen Bereiche mit Einschüchterung zu durchfluten.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

ZUR PERSON Über Umwege in die SPÖ gelangt Andrea Kuntzls Werdegang ist keineswegs klassisch sozialistisch, war zu lesen. Andererseits, nachdem es der langjährige Ministrant Alfred Gusenbauer an die SPÖ-Parteispitze geschafft hat, scheint es einmal angebracht, die Existenz beziehungsweise den Erfolg von so etwas wie einer klassisch sozialistischen Karriere überhaupt in Zweifel zu ziehen. Andrea Kuntzl wurde am 31. März 1958 in einer bürgerlichen Wiener Familie geboren. Nach Klosterschule und katholischer Jugendgruppe engagierte sie sich als Soziologiestudentin in der aktionistischen Anti-Atomkraftbewegung und gründete eine eigene Studentengruppe, "Sowiso" genannt. Über einen Sommerjob gelangte Kuntzl zur Jungen Generation der SPÖ, wo sie es zur Wiener Landesvorsitzenden und stellvertretenden Bundesvorsitzenden brachte. Von 1992 bis 1996 war Kuntzl Leiterin der SP-Denkschmiede Zukunfts- und Kulturwerkstätte. Während der Karenzzeit - ihr Sohn Maximilian wurde 1995 geboren - wurde Kuntzl SP-Bundesfrauensekretärin und arbeitete an der Erstellung des jüngsten SP-Parteiprogramms mit. Im Nationalrat sitzt Andrea Kuntzl seit Ende Oktober letzten Jahres, und seit Ende Februar dieses Jahres ist Kuntzl gemeinsam mit Doris Bures Bundesgeschäftsführerin der SPÖ.

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