Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger, WU Wien - Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger, WU Wien - © Andrea-Ioana Dumitrescu

Judith Kohlenberger: „Politisch aufgeladene Begriffe sind schwer zu neutralisieren"“

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Identität bedeutet, sich von anderen abzugrenzen, sagt die Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger. Insofern ist jede Politik eine Art Identitätspolitik, da sie für gewisse Gruppen betrieben wird, für die die Identitätsfrage wichtig ist.

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Identität bedeutet, sich von anderen abzugrenzen, sagt die Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger. Insofern ist jede Politik eine Art Identitätspolitik, da sie für gewisse Gruppen betrieben wird, für die die Identitätsfrage wichtig ist.

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Judith Kohlenberger lehrt und forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist Autorin des Buches „WIR“ (Kremayr & Scheriau, 2021). Wie die Sprache das politische Wir bestimmt, erklärt sie in diesem Gespräch.

DIE FURCHE: Frau Kohlenberger, Sprachpolitik gewinnt laut Germanisten im deutschen Wahlkampf an Bedeutung – gilt diese Analyse auch für die Politik in Österreich?

Judith Kohlenberger: Man kann dieses Phänomen nicht nur im politischen Spektrum verorten, sondern auch in anderen Bereichen, je nach Profession oder Milieu. Genauso wie es Dialekte gibt, kennt die Soziolinguistik auch Soziolekte. Ich würde sagen, dass die Verwendung genauso wie die Nichtverwendung von gendergerechter und inklusiver Sprache im weitesten Sinne ein Soziolekt ist. In den Hochschulen ist es schon länger Usus, dass man geschlechtergerecht und inklusiv formuliert. Auch in vielen Unternehmen wird zunehmend vorgegeben, wie man nach außen kommuniziert.

DIE FURCHE: Meine Soziolekte zeigen, wer ich bin?

Kohlenberger: Bis zu einem gewissen Grad schon. Vor allem, wenn es um politische Themen geht. Es sind unterschiedliche Abstufungen, wenn ich von globaler Erwärmung, Klimawandel oder Klimakrise spreche. Globale Erwärmung klingt nicht so dramatisch und wurde im politischen Diskurs ganz bewusst von jenen eingeführt, die gegen harte Klimaschutzmaßnahmen sind. Der Begriff Klimakrise betont im Gegensatz dazu die Größe der Bedrohung und die Notwendigkeit von energischem Handeln. Prinzipiell gab es das aber immer schon, denken Sie nur an die Bezeichnungen Freiheitskämpfer oder Terroristen für dieselbe Gruppe von Menschen, je nachdem, wie man ihr gegenüber eingestellt ist.

DIE FURCHE: Identitätspolitik ist also nichts Neues.

Kohlenberger: Im Grunde ist jede Form von Politik eine Art Identitätspolitik, da sie für gewisse Gruppen betrieben wird, für die die Frage nach der eigenen Identität und den damit verbundenen Interessen Bedeutung hat. Identität bedeutet auch immer, sich von anderen abzugrenzen. Das kann sozial oder biologisch determiniert sein. Bei den Parteien rechts der Mitte hat man z. B. den Heimatbegriff in das politische Vokabular integriert und emotional aufgeladen, um sich von denen da draußen (Ausländern) und denen da oben (Bürokraten in Brüssel oder der globalen Elite) abzugrenzen.

DIE FURCHE: Ist es möglich, vereinnahmte Begriffe aus dem jeweiligen Eck zu holen?

Kohlenberger: Pauschal lässt sich das nicht sagen, aber bei Wörtern, die stark aufgeladen sind, ist es sehr schwierig. In Deutschland hat unlängst eine Kommission geraten, den Begriff Migrationshintergrund nicht mehr zu verwenden, da die Begriffsgenauigkeit mittlerweile verlorengegangen sei und man diesen Begriff kaum mehr neutral oder positiv verwenden könne.

DIE FURCHE: Viele empfinden aber genau das als „Sprachpolizei“, die vorgeben will, was man sagen darf und was nicht – was nicht wenigen sauer aufstößt.

Kohlenberger: Ich glaube, dass die Phrase „Das darf ich auch nicht mehr sagen“ gerade von denen verwendet wird, die im nächsten Atemzug ohnehin alles sagen.

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