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Jünger, kleiner, schlagkräftiger

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Wer je einmal am letzten Aprilsonntag im hügeligen Appenzeller Land war, dem ist ein giandioses Schauspiel ältester Demokratie begegnet: Jeder stimmfähige Mann begibt sich, mit dem Degen bewaffnet, in den Landes-gemeindering des Kantons, um dort, als freier Mann und Bürger, Aug in Aug seinem Landamman und der Regierung gegenüberzustehen und Rechenschaft zu fordern über die Landesverwaltung.

Ein uraltes Recht wird hier jedes Jahr bekräftigt: das Recht zur Mitsprache in allen Fragen der Volksregierung und das ebenso stolze Recht des Waffentragens. Noch gilt der Spruch, daß ehrbar ist, wer wehrbar ist. Wenn der junge Schweizer sein zwanzigstes Lebensjahr zurückgelegt hat, wird er stimmfähig und spricht mit in allen öffentlichen Belangen. Im gleichen Altersjahr rückt er aber auch ein, um seine Rekrutenschule zu absolvieren. Während siebzehn Wochen wird er eingeführt in die Gebräuche des „Kriegshandwerkes“. Wenn er als ausgebildeter Soldat heimkehrt, nimmt er bekanntlich Uniform und Ausrüstung mit sich, um fortan in seinem Hause Waffe und Munition sorgfältig aufzubewahren. Damit aber ist seine Militärdienstpflicht noch lange nicht erfüllt. Es folgen nun während zehn Jahren Wiederholungskurse zu drei Wochen, um das Gelernte praktisch anzuwenden. Aber auch die Unteroffiziere und Offiziere sind nicht Berufsmilitärs, sondern stecken tief in ihrem zivilen Beruf, nur leisten sie vermehrt Militärdienst. So hat ein ausgebildeter Leutnant mit 22,Jahren bereits 68 Wochen Militärdienst hinter sich, bevor er seinen Zug in der zugeteilten Einheit übernimmt. Ein Hauptmann führt seine Kompanie erst nach mindestens 110 Wochen Militärdienst, wobei er alle wichtigen Chargen als Rekrut, Unteroffizier und Offizier durchlaufen hat. Nur ein kleines Korps von wenigen hundert Instruktoren leistet Dienst als Berufsoffizier oder Unteroffizier, .bnfe össbud fcbl ' du* nsbieiitiM i.Il *

Die technische Entwicklung seit dem Weltkrieg ließ auch die schweizerische Armee nicht unberührt. Immer mehr drängte sich eine Armeereform auf. Die letzte datiert aus dem Jahre 1951. Seither haben die Nuklear- und Raketenwaffen die militärischen Führer vor neue Probleme gesteilt. Die Armee mußte den Bedingungen der modernen Kriegsführung angepaßt werden. In einem „Grünbuch“ machte die Heeresführung dem Bundesrat die entsprechenden Vorschläge. Dieser schreckte jedoch zurück vor der Höhe der voraussichtlichen Wehrausgaben. Nach den Berechnungen des Militärdepartements würde die gemäß Grünbuch modernisierte Armee jährliche Ausgaben von 1600 Millionen Franken verursachen. Da damit die Militärausgaben fast verdoppelt worden wären, sah sich der Bundesrat veranlaßt, vom Militärdepartement eine Lösung zu verlangen, die sich in einem durchschnittlichen jährlichen Kostenrahmen von 1200 Millionen Franken hielt.

Inzwischen hat das Militärdepartement auf dieser Basis neue Vorschläge ausgearbeitet, welche vom Bundesrat unlängst genehmigt wurden und nun an die Eidgenössischen Räte zur Behandlung gehen. Die neuen Vorschläge sehen eine Feldarmee vor, deren Modernisierung aut einer Erhöhung der Feuerkraft und Beweglichkeit beruht. Die Armee hat den Auftrag, das Land in größtmöglicher Ausdehnung zu verteidigen. Dabei soll die Armee nicht von vorneherein auf Formen der mehr ortsgebundenen Verteidigung beschränkt bleiben. Oberstkorpskommandant Annasohn in seiner Eigenschaft als Chef des Generalstabes — die Schweiz hat bekanntlich in Friedenszeiten keinen General — äußerte sich zur Reorganisation in grundsätzlicher Hinsicht: „Es wird für die Reorganisation der Armee angenommen, daß der General in Anbetracht des Einsatzes von Atomwaffen durch den Gegner wird absehen müssen davon, die Armee diesem Gegner in stabilen Fronten oder anderen stabilen Verteidigungssystemen entgegenzustellen. Sie bieten den Atomwaffen ein zu deutliches Ziel, werden bei Verwendung von niederen Sprengpunkten zerschlagen, es sei denn, es würde sich um sehr kostspielige, schon im Frieden zu bauende permanente Festungen handeln. Diese würden durchbrochen und könnten überdies durch Luftlandetruppen übersprungen werden, und es kann binnen kurzem zur Auflösung des Verteidigungssystems kommen. Die damit verbundenen Krisenlagen auf den verschiedenen Stufen könnten nur durch Bewegung und Kampf in der Bewegung zu meistern versucht werden. Es ist besser, es nicht zu aufgezwungenen Bewegungskämpfen kommen zu lassen, sondern zum vornherein selbst dieses Kampf verfahren anzuwenden.“

Das hat nun zur Folge, daß eine Anzahl genügend großer, feuerkräftiger mechanisierter Divisionen gebildet werden, die beweglich genug sind, auch angriffsweise vorzugehen. Dies ist deshalb notwendig, weil das schweizerische Mittelland für gegnerische Luftlandetruppen doch sehr verletzbar ist und der Gürtel der Grenztruppen in diesem Falle übergangen würde. Dann einige Panzerdivisionen zur Hand zu haben, ist ein absolutes Erfordernis. Daneben werden die Streitkräfte im Alpengebiet zu einem Alpenkorps zusammengefaßt, um die Süd- und Teile der Ostschweiz, ganz besonders aber die strategisch wichtigen Alpendurch- und -Übergänge zu schützen. Die Idee des Reduits aus dem vergangenen Kriege, d. h. die Absicht, die Alpen im Herzen Europas als gewaltige Festung in der Hand zu behalten und von hier aus störend in die Aktionen eines Gegners einzuwirken, wird also neu belebt.

Die Herabsetzung des Wehrpflichtalters von bisher 60 auf 50 Jahre bedingt eine Reduktion sowohl der Bestände als auch der Heereseinheiten. Die Armee wird deshalb zahlenmäßig kleiner, aber jünger und physisch für den modernen Krieg geeigneter. Der einzelne Mann wird besser bewaffnet sein und damit auch die Einheit. Auch die Heereseinheiten sind besser bewaffnet. Die Infanterie ist wohl in den Beständen kleiner, aber feuerkräftiger und kann auf eine entsprechende Unterstützung der anderen Waffen zählen. Die mechanisierten Divisionen und die Infanteriedivisionen des Mittelland-korps werden mit Panzern besser ausgerüstet, als dies heute der Fall ist. Dagegen wird die heutige Zahl der Kampfflugzeuge infolge der Ausgabenbegrenzung etwas absinken. Die Raketenwaffen sind im Ausbau begriffen. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, zu wissen, daß Regierung und Heeresführung aus verteidigungspolitischen Ueberlegungen grundsätzlich eine taktische Atombewaffnung befürworten, ohne jedoch die Schwierigkeiten der Beschaffung zu verkennen. Das Volk dürfte ;n einer kommenden Abstimmung hierüber in seiner großen Mehrheit der Regierung folgen. *

Die reorganisierte Armee wird immerhin mindestens zwölf Divisionen und ebenso viele Brigaden zählen und dazu bedeutende Bestände an Spezialverbänden. Sie wird deshalb nach wie vor eine der stärksten Armeen Europas bleiben. Ihrer Aufgabe als Instrument der Verteidigung wohl bewußt, bleibt sie nicht im defensiven Denken verhaftet. Vielmehr ist der Gedanke des Erfolges durch Angriff ausgeprägt, doch will dies nicht der Ausdruck einer überheblichen Geisteshaltung sein. „Es ist“, wie Generalstabschef Annasohn unmißverständlich erwähnte, „die Ueberzeugung, daß wir, im Besitz der nötigen Mittel und entsprechend ausgebildet, es fertig bringen, den Gegner mit Erfolg anzugreifen, wenn wir wollen. Unsere Wehrmänner und Kader sind nicht weniger fähig als ihr allfälliger Gegner.“

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