Juristischer Balanceakt

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Bei Fragen des rituellen Schlachtens steht einerseits das Grundrecht auf Religionsfreiheit und andererseits der einem hohen Ethos verpflichtete Tierschutz im Mittelpunkt. Es ist daher auch das fundamentale Problem mitberührt, ethisch schwer zu bewältigende Fragestellungen juristisch-pragmatisch in den Griff zu bekommen.

Religionsfreiheit versus...

Das in Übereinstimmung mit mosaischen und islamischen Vorschriften durchgeführte rituelle Schlachten stellt eine Form der Religionsausübung dar und ist als solche vom Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsfreiheit umfasst. Auszugehen ist zunächst vom Selbstverständnis des Grundrechtsträgers, dem insoweit eine besondere Bedeutung zukommt, als Religion und religiös geprägte Phänomene einer exakten juristischen Definition nicht zugänglich sind.

Der konfessionell neutrale Staat hat sich einer Beurteilung religiöser Gebote und deren verpflichtender Kraft grundsätzlich zu enthalten. Für ihn stellt sich daher die Frage, ob durch rituelles Schlachten ein schützenswertes Rechtsgut - nämlich der Tierschutz - derart verletzt wird, dass eine Einschränkung der Grundrechtsausübung gemäß den verfassungsrechtlichen Vorgaben (insbesondere des Staatsgrundgesetzes 1867 und der ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Europäischen Menschenrechtskonvention 1958) zu legitimieren wäre. Es bedarf daher einer diffizilen Rechtsgüterabwägung unter strenger Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

...Tierschutz?

Dabei kommt dem Tierschutz als einem ethischen und rechtlichen Postulat ein hoher Stellenwert zu. Ausgehend von einem Wertewandel in Bezug auf das Mensch-Tier-Verhältnis, der das gesellschaftliche Bewusstsein wesentlich mitprägt, ist die Interdependenz von Recht und sozialer Wirklichkeit im Auge zu behalten. Wie ein historischer Rückblick deutlich macht, ist der Tierschutzgedanke allerdings auch vor einer Instrumentalisierung und einem Missbrauch nicht verschont geblieben, wie das in besonders krasser Weise auf die nationalsozialistische Gesetzgebung zutrifft.

Vor diesem Hintergrund geht es darum, einen schonenden Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz derart herzustellen, dass einerseits ein effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet und andererseits dem Tierschutz in größtmöglichem Ausmaß Rechnung getragen wird. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass aus veterinärmedizinisch-physiologischer Sicht unterschiedliche Positionen eingenommen werden, insbesondere in Bezug auf eine Quantifizierung des Leidens der Tiere bei einer sachgerechten Schächtung im Vergleich zu einer mit herkömmlicher Betäubung durchgeführten Schlachtung.

Da es sich dabei um eine Form der Religionsausübung von Minderheiten handelt, ist auch auf den besonderen Schutz von Minderheiten hinzuweisen. In einer Gesamtschau aller rechtlichen und faktischen Gegebenheiten haben daher sowohl die österreichischen Höchstgerichte als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im wesentlichen übereinstimmend ausgesprochen, dass lege artis durchgeführtes Schächten weder gegen die "öffentliche Ordnung" noch gegen die "guten Sitten" verstößt. Dies steht auch in Kohärenz mit den europarechtlichen Bestimmungen, die eine entsprechende Berücksichtigung religiöser Riten vorsehen.

Das neue Tierschutzgesetz

Nach dem neuen Bundes-Tierschutzgesetz ist das Schlachten von Tieren ohne Betäubung grundsätzlich verboten, "stehen dieser aber zwingende religiöse Gebote oder Verbote einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft (rituelle Schlachtung)" entgegen, so "ist die Schlachtung so vorzunehmen, dass dem Tier nicht unnötig Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwere Angst zugefügt werden" (§ 32 Abs 3).

Es ist unverkennbar, dass sich der Gesetzgeber bemüht hat, einen "schonenden Ausgleich" herzustellen. Das Abstellen auf "zwingende" religiöse Vorschriften bedarf jedoch einer wichtigen Klarstellung. Da sich der konfessionell neutrale Staat einer Bewertung der Verpflichtungskraft religiöser Vorschriften zu enthalten hat, darf der Umstand keine Rolle spielen, dass innerhalb einer Glaubensgemeinschaft verschiedene Richtungen vertreten werden beziehungseise mehrere Rechtsschulen bestehen.

Jede einzelne der verschiedenen im Rahmen einer Religionsgesellschaft existierenden Gruppierungen, sofern sie ihr Selbstverständnis unter Berufung auf religiöse Lehren entsprechend plausibel machen kann, ist Träger des Grundrechts auf Religionsfreiheit. In diesem Sinn ist der Begriff "zwingende religiöse Vorschrift" zu interpretieren und die Verpflichtungskraft religiöser Vorschriften zu verstehen. Keinesfalls dürfte eine einheitliche "Lehrmeinung" innerhalb einer Religionsgemeinschaft gefordert werden.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass gerade das Abstellen auf zwingende religiöse Vorschriften in Deutschland große Probleme hervorgerufen hat, und es stellt sich daher die Frage, warum wir uns, anstatt aus dieser Diskussion zu lernen, in einer gewissen Nachahmungssucht deutsche Probleme hereinholen.

Weiters ist die Einschränkung auf "gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften" insoweit verfehlt, als Schächten vom Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasst ist, unabhängig von der Rechtsform, in der die jeweilige Religionsgemeinschaft konstituiert ist. Sie muss daher grundsätzlich auch staatlich eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften und nach dem Vereinsgesetz konstituierten Religionsgemeinschaften gewährt werden, was derzeit allerdings lediglich im Zusammenhang mit der Religionsgemeinschaft der Sikh relevant werden könnte.

Das Erfordernis einer behördlichen Bewilligung und weitere detaillierte Regelungen hinsichtlich des konkreten Schlachtvorganges (Abs 5 Z 1 bis 7) dienen dazu, die Einhaltung möglichst hoher Standards zu gewährleisten. Sie stellen für den Staat ein legitimes Mittel dar, sein Selbstverständnis, das im Tierschutz seinen Niederschlag findet, entsprechend einzubringen.

Tragfähige Basis

Mag die eine oder andere Regelung vielleicht auch in einem Spannungsverhältnis zum Selbstverständnis der betroffenen Religionsgemeinschaften stehen, so kann das neue Bundes-Tierschutzgesetz doch als eine tragfähige Basis bezeichnet werden, um eine praktische Umsetzung sicherzustellen, die den kollidierenden Positionen einigermaßen gerecht wird.

Es handelt sich dabei um eine Materie, deren Regelung und Handhabung eine besondere Herausforderung für die Normsetzung wie auch die Rechtsanwendung darstellt. Gleichzeitig verlangt sie aber auch von den Betroffenen - seien es jene, die sich in ihrem Gewissen den religiösen Vorschriften verpflichtet fühlen, seien es jene, die ihrer Verantwortung für einen ethisch vertretbaren Tierschutz nachkommen - ein Bekenntnis zu "Pluralismus, Toleranz und Großzügigkeit", ohne die eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen kann. Dieser vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geprägten Formel wäre noch hinzuzufügen, dass dies steter Einübung bedarf.

Die Autorin ist Lehrbeauftragte am Institut für Recht und Religion der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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