"Juschtschenko Präsident!"

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Wenn das Telefon im Kreml nicht sowieso schon rot wäre, zumindest der Hörer hätte sich bei Wladimir Putins Anruf in Kiew verfärbt: Die Wahlzettel waren noch gar nicht fertig ausgezählt - oder soll man in diesem Fall besser sagen: manipuliert -, da läutete es schon beim pro-russischen Präsidentschaftskandidaten in der Ukraine, Viktor Janukowitsch: Am anderen Ende der Leitung der russische Staatspräsident, der Janukowitsch zum Wahlsieg gratulierte - als erster und einziger; zumindest ist nicht bekannt, dass Nordkoreas Kim Jong Il auch angerufen hat. Putin jedoch unterstrich in dem Telefonat, dass das Rennen um die Präsidentschaft "offen und ehrlich" und der Sieg "überzeugend" gewesen sei. Spätestens in diesem Moment wird auch Janukowitsch einen Anflug von Schamesröte nicht mehr zurückhalten haben können.

Meer aus Orange

Währendessen verwandelte sich das Zentrum von Kiew in ein Meer aus Orange - die Farbe der ukrainischen Opposition, die Farbe von Viktor Juschtschenko. Orangefarbene Fahnen schwenkende Junge und Alte, Männer und Frauen tanzten und weinten vor Freude, als die Nachwahlbefragungen am Sonntagabend einen Sieg des westlich orientierten Politikers voraussagten. Doch als kurz darauf die Wahlkommission Janukowitsch zum Sieger erklärt, weicht die Feierstimmung dem Trotz, das Orange zornigem Rot. "Juschtschenko Präsident!" und "Keiner kann uns am Sieg hindern" und "Polizei, steh' zu deinem Volk" lauten seither die Sprechchöre in der Ukraine - und die ukrainischen Behörden drohen mit einer gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen.

Dass Putin nicht auch auf Juschtschenko setzt, ist eigentlich ein Rätsel: So wie der Russe will auch Juschtschenko "die Banditen, die unser Land ausplündern, ins Gefängnis werfen". Und noch eine Parallele zum abstinenten Putin gibt es - Juschtschenkos bekanntester Ausspruch lautet: "Haben Sie mich in den letzten 30 Jahren einmal betrunken gesehen?"

Als Chef der Nationalbank erwarb sich Juschtschenko in den 1990er Jahren das Ansehen seiner europäischen Amtskollegen. Im Dezember 1999 machte ihn Präsident Kutschma zum Ministerpräsidenten - Juschtschenkos Vorgehen gegen Korruption und die Oligarchen kostete ihn 16 Monate später das Amt. Das konnte aber nicht verhindern, dass seine Reformen den ersten ukrainischen Wirtschaftsaufschwung seit dem Zerfall der Sowjetunion einleiteten.

Gift oder zuwenig Wodka?

Viele Ukrainer haben nicht vergessen, dass Juschtschenko als Regierungschef Löhne, Pensionen und Stipendien auszahlte. Im Jänner 2002 gründete er das Wahlbündnis "Unsere Ukraine", das bei den Parlamentswahlen im März 2002 stärkste Partei wurde.

Im Wahlkampf erlitt der Ehemann einer Ukrainerin mit amerikanischem Pass und fünffache Vater einen schweren Rückschlag: Durch eine rätselhafte Erkrankung fiel Juschtschenko vier Wochen aus. Seitdem ist sein Gesicht von Ekzemen entstellt. Seine Anhänger vermuten einen Gift-Anschlag des Geheimdienstes. Sein Gegner im Wahlkampf, Viktor Janukowitsch, jedoch entgegnete: Juschtschenko hätte bloß nach dem Essen mehr Wodka trinken sollen.

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