Kämpfe gegen Ewiggestrige

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In den siebziger Jahren begann sich die kulturelle Atmosphäre in Österreich zu verändern. Langsam und konstruktiv pragmatisch, nicht radikal.

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In den siebziger Jahren begann sich die kulturelle Atmosphäre in Österreich zu verändern. Langsam und konstruktiv pragmatisch, nicht radikal.

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In einer Radiosendung über den Mai '68 sagte eine heute 42jährige Pariserin auf die Frage, was sich geändert habe nach der verpatzten Revolution: Alles! Nichts sei mehr so wie vorher. Eine vielleicht kühne Aussage der damals Zwölfjährigen. Aber wenn sie das geistige Klima meint und nicht das Soziale oder das Materielle, dann hat sie zweifellos recht. Und Franca Rame, die großartige Gefährtin des Überraschungsnobelpreiträgers Dario Fo, beichtet als "Mamma Hexe" einem anonymen Hochwürden bewundernd ironisch zugleich die Slogans der Zeit: Sich das Leben erobern, das Dogma der Arbeit ablehnen, die Sexualität selbst bestimmen: das Persönliche ist politisch.

Daher das Persönliche zuerst: ich war damals Universitätsassistent am theaterwissenschaftlichen Institut, und die muffigen Talare hatten für uns angehende Geisteswissenschafter noch einen zusätzlichen Makel: sie waren in zahlreichen Fällen braun gefüttert. Getragen wurden sie von jenen Professoren - Frauen gab's da ohnedies kaum (die immer mutige Erika Weinzierl ausgenommen) - die, wenn sie von "schwerer Zeit" sprachen, die Jahre nach 1945 und nicht die des Austrofaschismus oder des 1000jährigen Reiches meinten. Zudem hatte ich den Antifaschismus mit der Muttermilch eingesogen, der Aggressionspegel war also hoch genug, um mich in aufmüpfigen und subversiven Zeitläuften zu mobilisieren. Zudem liebe ich bis heute die Straße als öffentliches Forum: sehnsüchtig blickte ich nach Paris und seiner republikanischen Tradition, voll Bewunderung für das Hochhalten der Werte der französischen Revolution. Und für die Graffiti an den Mauern und für die Poesie und gescheite Aphoristik auf den Transparenten.

Die Bewunderung für die gründlichen bundesdeutschen Kommilitonen hingegen hielt sich in Grenzen: ihre modischen Stiefel wiesen nicht nach vor, sondern zurück: keiner von denen sollte uns lehren, wie wir unsere Universität umzugestalten hätten.

Der Mai hatte für den Studenten und "Kulturarbeiter" einen längeren Prolog: die Tätigkeit bei der Studentenbühne "Die Arche", ein intellektuell resistentes kleines Theaterschinakel in der Katholischen Hochschulgemeinde. Später kam auch das Interesse am Wiener Aktionismus hinzu. Die ästhetische Revolte der einzigen österreichischen Nachkriegsavantgarde bereitete den Boden für 1968. Und natürlich der Glaube an die Veränderungsmöglichkeit durch die theatrale Manifestation.

Bei den Wiener Festwochen unter Ulrich Baumgartner gastiert das Cafe Theatre La Vielle Grille mit Brigitte Fontaine, Jacques Higelin und Rufus, der nach der Premiere alle weiteren Vorstellungen platzen ließ, weil er in Paris an der Seite der revoltierenden Studenten sein wollte. Diese Aktion gutzuheißen, politisches Theater und die italienische Animazione-Bewegung zu propagieren, über das Theater der Revolte zu schreiben, das war ein Beitrag zum Mai, der seine Fortsetzung fand unter anderem in der Arena 70/1 und 70/2 "Kunst gegen das Bundesheer", in dem berüchtigten Shit-in im Neuen Institutsgebäude mit Mühl, Brus, Weibel und anderen. Das waren Einzelaktionen, gewiß. Der Wiener Mai fällt, wenn man so will, eigentlich erst in den Sommer 1976, den heißen Sommer des besetzten Auslandschlachthofes im dritten Bezirk, den Sommer der Arena Sankt Marx mit allen Folgeerscheinungen für die österreichische Kulturpolitik.

Womit ich bei den konkreten Folgeerscheinungen für die gesellschaftliche Praxis angelangt wäre. Die Regierung Kreisky hat auf die Forderungen nach Veränderungen reagiert: das geistige Klima, die kulturelle Atmosphäre in Österreich begann sich zu verändern, Kulturkämpfe gegen die Ewiggestrigen wurden erfolgreich geführt, das neue Universitätsorganisationsgesetz der Wissenschaftsministerin Herta Firnberg demokratisierte die Universitäten grundlegend, die Ordinarienuniversität gehörte der Vergangenheit an.

Die Stadt Wien ließ die autonome Arena Sankt Marx zwar niederbaggern, zog aber letztlich doch die Lehren aus dem heißen Sommer 1976. Die Kompromisse halfen den Realos: auch in der Kulturpolitik war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Kommunikations- und Kulturzentren entstanden, freie Produzentengruppen schossen aus dem fruchtbaren Boden, dezentrale Theaterarbeit wurde gefördert.

Radikale Änderungen waren es nicht, aber konstruktiv pragmatische. Die Wiener Langsamkeit hat mehr verändert als die radikale Traumtänzerei in Paris, wo die rechte Reaktion nach dem Mai '68 vor allem in der Wissenschaftspolitik mit umso größerer Heftigkeit zugeschlagen hat. Dort erfolgte eine politische Änderung erst 1981 mit dem Wahlsieg Mitterrands.

Der Autor ist Professor am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Wien.

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