Kaiserwetter in der Demokratie?

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Redewendungen im österreichischen Deutsch.

Die Sprache besteht aus Lauten, Wörtern, Sätzen und Texten. Diese Binsenweisheit ist wie vieles eine Abstraktion, die in der Linguistik in dieser Einfachheit nicht aufrecht erhalten werden kann. Abgesehen von der Tatsache, dass es für die scheinbar selbstverständlichen Begriffe wie "Wort", "Satz" und "Text" bis heute keine allgemein anerkannten wissenschaftlichen Definitionen gibt, gehen diese sprachlichen Ebenen auch ineinander über: Laute können als Wörter verwendet werden (wie der Schmerzensausdruck Au!), Sätze üben manchmal die Funktion ganzer Texte aus (z.B. in Form von Zitaten wie Edel sei der Mensch, hilfreich und gut) und die Toleranz des Wortschatzes gerade im Deutschen in Bezug auf Neubildungen und Übernahmen von Fremdwörtern ist geradezu sprichwörtlich.

"Fertigteile der Sprache"

So gibt es auch eine "Zwischenstufe" zwischen Wort und Satz, die gemeinhin als "Sprichwörter" (in Form abgeschlossener Sätze mit einer moralischen Sentenz wie Wer A sagt, muss auch B sagen) und "Redewendungen" (unterhalb der Satzgrenze, z.B. in den sauren Apfel beißen) bezeichnet werden (auch die Zitate gehören übrigens dazu). Als Fachausdruck für alle diese Phänomene hat sich der Begriff "Phraseologismus" durchgesetzt; man versteht darunter allgemeine "Fertigteile der Sprache", also gleichsam Textbausteine, die fertig vorliegen und die in Äußerungen eingebaut werden können.

Phraseologismen gehören zum festen Bestandteil jeder Sprache. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht sind sie jedoch kein sekundärer Zusatz oder "Aufputz" der Sprache, ganz im Gegenteil, erst wer die gängisten Redewendungen und Sprichwörter in einer Sprache kennt, beherrscht diese einigermaßen und kann sich auch "gewandt" ausdrücken.

Bei jedem Phraseologismus müssen unabdingbar zwei Voraussetzungen gegeben sein: 1. die Festigkeit der Wortverbindung und 2. das metaphorische Bild. Unter Festigkeit oder Stabilität ist die Tatsache gemeint, dass die Wörter eines Phraseologismus fest sind nicht ausgetauscht werden können: Es heißt eben jemanden zur Weißglut bringen, jemand bis zum Äußersten reizen oder ärgern' und nicht *jemanden zur Glut bringen oder ähnlich. Allerdings gibt es das Phänomen der Varianten, z.B. in Österreich da fährt die Eisenbahn drüber und da fährt der Zug drüber, etwas steht unabänderlich fest'.

Wie wichtig und grundlegend Phraseologismen in der Sprache sind, zeigt auch die Tatsache, dass bereits einer der ältesten überlieferten Texte des Deutschen, das Hildebrandslied (um 810-820), ein - heute allerdings nicht mehr bekanntes - Sprichwort enthält. Wie alle sprachliche Zeichen sind natürlich auch Phraseologismen dem Wandel der Zeit unterworfen.

Zeigen Phrasen Mentalität?

Innerhalb und außerhalb der Linguistik wurden und werden immer Versuche unternommen, mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken mentalistische Unterschiede zwischen Einzelsprachen (wie Deutsch und Englisch), aber auch innerhalb des Deutschen (etwa zwischen Deutschen, Schweizern und Österreichern) oder sogar innerhalb noch engerer Grenzen (zwischen West- und Ostösterreichern, etwa "übergenauen" Vorarlbergern und "schlampigen" Wienern) auszumachen.

Keiner dieser Unternehmungen ist bisher überzeugender Erfolg beschieden gewesen, und es muss unbedingt angezweifelt werden, ob solche Fragestellungen a priori sinnvoll sind, bergen sie doch die große Gefahr der Stereotypenbildung und der Konstruktion von "Mentalitätsschablonen" (d.h. der Bildung von Vorurteilen). In der Phraseologie gibt es für solche Ansätze mit Sicherheit keine wissenschaftliche Grundlage.

"Österreichisch" im Alltag

Der Forschungsförderungsfonds Wien finanzierte von 2003 bis 2006 das Projekt "Wörterbuch zur österreichischen Phraseologie" (WÖP), das sich zum Ziel gesetzt hat, die in Österreich bekannten und verwendeten Phraseologismen empirisch zu erheben und in einem phraseologischen Wörterbuch zu kodifizieren. Dafür wurden Phraseologismen aus österreichischen Tages- und Wochenzeitungen, Sach- und Fachliteratur sowie der Belletristik exzerpiert und etwa 1500 Gewährspersonen vorgelegt, die über Bekanntsheitgrad und Verwendung entschieden. Nach redaktioneller Arbeit blieben von den ursprünglich etwa 15.000 phraseologischen Datenbankeinträgen rund 5000 übrig, die in ein gedrucktes Wörterbuch aufgenommen werden und die den tatsächlichen Gebrauch von Phraseologismen in der österreichischen Alltagssprache zum ersten Mal auf Grund von Primärerhebungen dokumentieren sollen. Das Projekt lieferte u.a. die folgenden Erkenntnisse.

Die Frage, ob es "typisch österreichische" Redewendungen gibt, ist nur schwer zu beantworten, da die österreichische Varietät der deutschen Standardsprache bekanntlich nicht an den Staatsgrenzen Halt macht. Als spezifisch österreichische Phraseologismen können allerdings jene bezeichnet werden, die auf österreichische Besonderheiten anspielen, z.B.:

* österreichische Ortsnamen und andere Namen aus Österreich: Fix Laudon! als Ausruf der Verwunderung (veraltend) oder zwischen Scheibbs und Nebraska (,überall', auch Titel einer der letzten CDs von Georg Danzer);

* österreichische Einrichtungen, z.B. Verbindungen mit Kaiser-: dorthin gehen, wohin auch der Kaiser zu Fuß geht (,auf die Toilette gehen'); den Kaiser aus dem Land schauen, nach außen schielen';

* lexikografische Austriazismen, z.B. standardsprachliche Wörter auf-erl: ein Leiberl reißen, besonderen Erfolg haben; einen originellen Einfall haben';

* sprachliche Besonderheiten in Österreich, z.B. am für auf dem: am Stockerl stehen, Erster sein; die Konkurrenten überflügeln'

Im Dialekt gibt es eine reiche Vielfalt von österreichspezifischen Redewedungen. Allerdings ist ihre Reichweite oft eng begrenzt. Je mehr man sich der Standardsprache nähert, desto größer werden die Übereinstimmung zwischen dem österreichischen und dem "bundesdeutschen" Deutsch.

Vorbildrolle des Fernsehens

Zudem werden in nicht unerheblichem Ausmaß Redewendungen als bekannt markiert, die offenbar nicht in Österreich heimisch sind, z.B. jemand gießt sich einen hinter die Binde, sich betrinken'. Die Vorbildrolle des Fernsehens dürfte gerade in diesem Bereich stärker sein als allgemein angenommen, was der Bekanntheitsgrad von jüngsten Redewendungen, die nachweislich in Deutschland entstanden sind (Hier werden Sie geholfen; Ich habe fertig), in Österreich belegen.

Die größte Bandbreite an Unterschieden zeigt sich in jenem Bereich der Sprache, der der alltäglichen Verständigung dient, sei sie mündlich oder schriftlich, und der zwischen den beiden Extremsituationen "Öffentliche Rede" (etwa im Rundfunk) und "Intimer Sprachgebrauch" (in der Familie) liegt. Sie wird neuerdings als "Alltagssprache" bezeichnet, im Gegensatz zum älteren Terminus "Umgangssprache". So fällt auf, dass es in der österreichischen Alltagssprache offenbar wirklich eine besonders reiche Vielfalt für die Umschreibung des Sterbens (die Patschen strecken, ein Bank(er)l reißen u.a.m., sterben'; sich ins Pendel hauen u.a.m., Selbstmord begehen') gibt. Die im Rahmen des WÖP abgefragten Redewendungen waren in den überwiegenden Fällen in ganz Österreich bekannt; ein West-Ost-Gegensatz etwa ist in der standardsprachlichen Phraseologie nicht zu eruieren. Die regionale Vielfalt und die österreichische Originalität entfalten sich erst in der Alltagssprache.

Der Autor ist Professor am Institut für Germanistik der Universität Wien und Leiter des Teams, das das Wörterbuch zur österreichischen Phraseologie erarbeitet.

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