Kalter Krieg im eisigen Norden

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Der jüngste territoriale Gewinn in der Arktis ist gerade einmal so groß wie ein paar durchschnittliche Wiener Wohnungen. Knapp 500 Quadratmeter umfasst eine Insel im Eismeer, die im Oktober 2014 von einem russischen Forschungsschiff entdeckt wurde und deren Name "Jaja" eher Erinnerungen an das Gebrabbel von Kleinkindern weckt als an die härteste und unwirtlichste Gegend der Welt, mit Tiefsttemperaturen unter 60 Grad Celsius. Russland wird Jaja seinem Territorium eingliedern -als Bestandteil einer neuen Abwehrzone, die in der jüngsten russischen Militärdoktrin Ende vergangenen Jahres verkündet wurde. Standen noch vor Kurzem die enormen Rohstoffreserven unter dem Festlandschelf an der Küste des Nordmeeres im Zentrum des Interesses, so ist es nun die strategische und militärische Nutzung. Die Arktis ist neben der Ukraine der Boden und die See, auf der sich derzeit das politische Ringen zwischen Russland und den NATO-Bündnispartnern abspielt.

Große Militärmanöver

Nicht umsonst ließ Russland im Vorjahr unter dem Namen "Wostock" die größten Manöver im Norden seit Ende dem Ende der UdSSR abhalten. Von Infanterie bis zu Langstreckenbombern und Atom-U-Booten war alles im Einsatz, was Russland im Falle eines Angriffes von Außen aufzubieten hat. Seit Jänner sind überdies 6.000 Soldaten in neuen Kasernen und Unterständen fix am Polarmeer bei Murmansk und in Wladiwostok untergebracht. Die russische Luftwaffe deckt mit Aufklärungsflügen seit Jänner den gesamten nördlichen Polarkreis ab. Unterwasserkampfroboter sollen die russische Öl-und Gasinfrastruktur schützen helfen. Dazu passt, dass Russland im Rahmen der UNO noch im heurigen Frühjahr einen Antrag auf Ausweitung seines Festlandsockels stellen wird. Seit 2001 sammeln Wissenschafter Beweise dafür, dass das arktische Lomonossow- und das Mendelejewplateau zum russischen Festland gehören. Sollte der Antrag angenommen werden, hätte Russland auch das Verfügungsrecht für bis zu fünf Milliarden Tonnen Öl und Gas, die unter den Gebieten vermutet werden.

Die Reaktion der NATO-Anrainer bleibt nicht aus. Sowohl die USA als auch Kanada veranstalteten in den vergangenen Wochen -wenn auch auf sehr viel kleinerem Niveau, militärische Übungen in arktischen Gebieten, die einen begrenzten strategischen Einsatz simulierten.

Auf der politischen Ebene stehen allerdings vor allem die Sicherung von Bodenschätzen im Vordergrund. Vielfach wird die Arktis als der zweite "Nahe Osten" für Ölvorkommen bezeichnet. 30 Prozent der globalen Öl-und Gasreserven sollen sich in diesem Gebiet befinden. Vor allem Dänemark, Kanada, die USA versuchen Teile des Meeres für sich zu beanspruchen. Und selbst in Deutschland wächst das Interesse an der Arktis: Zusammen mit Partnern wurden Positionspapiere entwickelt, sogar Leitlinien für die deutsche Außenpolitik zu diesem Thema erlassen. Ein stärkerer Akteur im Hohen Norden ist Dänemark: Das kleine Land leitet seine Ansprüche vor allem von der politischen Zugehörigkeit Grönlands, der größten Insel der Erde, zu ihm ab.

Klimawandel als Trigger

Jedoch richten sich die dänischen Blicke inzwischen auch darüber hinaus. Daher haben die Skandinavier einen "Claim" bei den Vereinten Nationen eingereicht, mit dem sie Anspruch auf weite Teile des Kontinentalsockels nördlich von Grönland erheben, so Tobias Etzold, der das Forschungsprojekt "Research Centre Norden" (RENOR) zu deutsch-nordischen Beziehungen sowie nordischer Zusammenarbeit leitet.

Lange gab es kaum Begehrlichkeiten in Zusammenhang mit dem "Ewigen Eis". Doch der Klimawandel, welcher arktische Ressourcen zugänglich macht, das rasante globale Bevölkerungswachstum und die damit einhergehende höhere Nachfrage nach Energiequellen hätten dies erheblich verändert, so der Politikwissenschafter Stefan Steinicke.

Als das Interesse befördernd wirke der Energiehunger Asiens im Allgemeinen und Chinas im Besonderen. Eine weitere Motivation sind mögliche Schifffahrtsrouten, die bislang klimatisch bedingt unmöglich erschienen und kürzere Seewege zwischen Europa und Asien versprechen, im Vergleich zu den traditionellen Routen durch den Panama-und Suezkanal.

Einen "Hype" um die Arktis gab es ab Mitte der 2000er-Jahre, also vor etwa einer Dekade, wegen des damaligen Ölpreisbooms, konstatiert Steinicke. Ab etwa 100 US-Dollar (derzeit knapp 90 Euro) pro Barrel (159 Liter) lohnt sich eine Förderung von Öl in der Arktis.

Doch Nutzungen der nordischen Rohstoffe gestalten sich oft auch auf lange Sicht als außerordentlich schwierig bzw. problem-und herausforderungsbehaftet: Das Eis bildet sich nach wie vor nur in den Sommermonaten zurück. Der fallende Ölpreis und die Probleme zwischen Russland und dem Westen tun ihr übriges.

Ein dänischer und ein französischer Mineralölkonzern gaben zuletzt sogar ihre schon erstandenen Lizenzen für Probebohrungen vor Westgrönland zurück: "Auf absehbare Zeit wird sich an dieser Tendenz wenig ändern", erwartet Etzold.

Die Tradition des Kalten Kriegs

Bleibt also noch die eingangs erwähnte strategisch militärische Option, die auf eine lange Tradition verweisen kann. Bereits zu Zeiten des Kalten Krieges haben neben den USA und der Sowjetunion auch Großbritannien und Frankreich ihre mit Atomwaffen bestückten U-Boote in der Arktis patrouillieren lassen. Die "Grande Nation" arbeitet derzeit noch an einer Arktisstrategie, die das Vereinigte Königreich bereits besitzt.

Eine Gefahr könnten jedoch zu befürchtende "spill over"-Effekte darstellen, insbesondere angesichts der gegenwärtigen Ukraine-Krise. Deshalb, so warnen nicht nur Steinicke und Etzold, sollten die Anrainerstaaten auf keinen Fall eine "Trennlinie" zwischen den westlichen Anrainerstaaten und Russland ziehen: "Kooperationen müssen aufrechterhalten und fortentwickelt werden, um dem weiteren Export von Misstrauen vorzubeugen." Russland scheint sich darin besonders hervortun zu wollen -wenn auch in etwas kurioser Manier. Als Greenpeace 2014 auf die Bedrohung von Tierarten durch die neuen militärischen Invasoren aufmerksam machte, gab Moskau bekannt, die Truppen seien mit einer "Naturschutzmission" beauftragt.

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