Transparenz und Partizipation prägen die Demokratie-Debatte: Öffentichkeit und Bürgerbeiteiligung sind Ziele. England hat einiges davon versucht, mit Folgen, vor denen auch in Österreich schon gewarnt wurde.
Wie sich die Bilder gleichen: Als Konsequenz aus einem Skandal um die zweckwidrige Verwendung von Spendengeldern entdeckte die britische Regierung die direkte Demokratie - mit negativen Folgen, vor denen auch in Österreich gewarnt wird.
In England flossen Gelder, die für Parteien und für die politische Arbeit der stark an ihren Wahlkreis gebundenen Abgeordneten gedacht waren, in nicht vorgesehene Kanäle. Es wurden Häuser ausgebaut, Schwimmbäder finanziert, ebenso ein hoher Lebensstandard. Ein rapider Vertrauensverlust der Regierung Cameron und der Politik waren die Folge. Voriges Jahr präsentierte die von Premier David Cameron angeführte Koalition eine Neuerung: London stellte nicht nur auf open governement um, sondern Bürger sollten elektronisch Petitionen einreichen können, um sich stärker und vor allem direkt in die Politik einschalten zu können. Das wirkte.
Bedenkliche Kampagnen
Eine Flut an Initiativen war die Folge: rund 30.000 "E-Petitionen“ wurden eingebracht. Manche dieser Petitionen erreichten sogar innerhalb von fünf Tagen die für die Behandlung im Parlament notwendige Anzahl von 100.000 Unterschriften.
Doch die Themen, die Gegenstand der Petitionen waren, erscheinen bedenklich: Eine verlangte, staatliche Sozialleistungen für all jene zu streichen, die im Zuge der Krawalle im Sommer 2011 in Großstädten verurteilt worden sind. Eine weitere, ebenfalls starken Zuspruch erreichende Petition trug den Namen "No to 70 Million“ (Nein zu 70 Millionen) und richtete sich offensiv und direkt gegen Immigration.
Medien nutzen Instrument
Unterstützt wurden diese Petitionen allesamt von Boulevardzeitungen. Das Massenblatt "The Sun“ erreichte die Anzahl an notwendigen Unterschriften sogar für eine Kampagne für billigen Treibstoff. Der "Daily Express“ wiederum forcierte ein Referendum über einen EU-Austritt. Einige Petitionen forderten sogar die Wiedereinführung der Todesstrafe, andere plädierten dafür, den Status quo beizubehalten.
Politikwissenschafter bemängelten, dass Petitionen weder zu einem schnellen, konkreten Ergebnis, noch zu einer gesteigerten Involvierung der Bürger in die Politik führen. Sie trügen keinesfalls zu mehr Information und zu einem erhöhten Bewusstsein über die Arbeit des Parlaments bei. Das einzig sichtbar und wirksam gewordene Engagement betraf die Homepage der Regierung. Das Image der Politik erfuhr durch die von der Regierung Cameron eingeführen Petitionen keine Besserung. Ganz im Gegenteil.
Das Bemühen um mehr Transparenz der Regierung in London mittels "open government“ wurde in einem parlamentarischen Ausschussbericht stark kritisiert: Es würden zu viele Informationen, die lediglich verwirrend und nicht relevant seien, online gestellt.
Die Demokratie scheint in einer Klemme zu stecken: Die Erfahrung mit Petitionen zeigt, dass die Bevölkerung stärkere politische Mitwirkung wünscht. Dennoch kommt der Einsatz für mehr direkte Demokratie von oben und nicht von unten, direkt aus dem Volk. Nicht selten verfolgt die Regierung aber andere Ziele als einen plötzlichen Enthusiasmus für die direkte Demokratie, wie die Beispiele zeigen.
Das voriges Jahr abgehaltene Referendum über die Änderung des Wahlrechts war die Konsequenz aus dem Streit zweier Koalitionspartner, die sich nicht auf eine Wahlrechtsreform einigen konnten. Zudem stehen in England gegenwärtig Volksabstimmungen über die schottische Unabhängigkeit sowie über das Verhältnis zur Europäischen Union zur Diskussion. Keines dieser bald fälligen Referenden wurde jedoch von Bürgern initiiert. Selbst wenn die Initiative dazu vom Parlament ausgegangen wäre, liegt es doch in der Hand der Regierung, eines anzuordnen.
Ein neues Gesetz sieht eine Volksabstimmung für den Fall vor, dass erneut Kompetenzen an die EU übertragen werden sollten. Eigentlich liegt es am zuständigen Ministern, das Parlament mit einer solchen Angelegenheit zu befassen. Das Versprechen der Konservativen, ein Referendum über das Verhältnis Großbritanniens zur EU abzuhalten, hat lediglich den Zweck, um Wählerstimmen anlässlich der nächsten Parlamentswahl zu buhlen. Cameron sträubt sich jedoch dagegen, die Frage des Referendums mit Ja oder mit Nein zu beanworten. Er will den Umstand eines möglichen Votums eher als politisches Druckmittel einsetzen, um wieder Kompetenzen von Brüssel nach London in das Parlament zurückzuholen. Dennoch ist Cameron andererseits im Fall des schottischen Referendums gegen eine derartige Vorgangsweise, er verlangt vielmehr ein klares Ja oder Nein . Wie sich zeigt, sind Referenden gelegentlich eher eine Frage politischer Opportunität denn eine der Bürgerbeteiligung.
Parlament im Wechselspiel
Unter Politikwissenschaftern übrerwiegt die Ansicht, Parlamente sollten zu einem von Bürgern initiierten Referendum unverbindliche Empfehlungen abgeben dürfen. Sie sollten einen Gegenentwurf ausarbeiten und diesen ebenfalls zur Abstimmung bringen dürfen. Das Parlament könnte ohnehin jedes Referendum später verwerfen oder ändern, aber das würde vermutlich zu mehr Politikverdrossenheit führen. Maßnahmen zur Bekämpfung von Politikverdrossenheit seien zwar notwendig, müssten aber klar durchdacht sein. Andernfalls droht ein weiterer Vertrauensverlust in das politische System.
Die Autorin ist gebürtige Engländerin, Politologin, langjährige Professorin an der Diplomatischen Akademie Wien sowie Vizepräsidentin des Instituts für Parlamentarismus
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