"Kann Namen der Täter nicht öffentlich nennen"

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Im Herbst 1999 - nach achtmonatigen Ermittlungen - verließ Celvin Galindo, Staatsanwalt im Mordfall des Menschenrechts-Bischofs Gerardi, Guatemala: Er war massiv bedroht worden. Im Gespräch qualifiziert er den derzeit laufenden Gerardi-Mordprozess in seiner Heimat als Inszenierung, die nicht der Wahrheitsfindung dient.

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Im Herbst 1999 - nach achtmonatigen Ermittlungen - verließ Celvin Galindo, Staatsanwalt im Mordfall des Menschenrechts-Bischofs Gerardi, Guatemala: Er war massiv bedroht worden. Im Gespräch qualifiziert er den derzeit laufenden Gerardi-Mordprozess in seiner Heimat als Inszenierung, die nicht der Wahrheitsfindung dient.

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die furche: Senor Galindo, Sie sind 1999 - als Staatsanwalt im Mordfall Gerardi - aus Guatemala geflohen. Warum?

Celvin Galindo: Nach acht Monaten hatte ich herausgefunden, wer die Mörder von Bischof Gerardi und ihre Hintermänner sind. Es ist in Guatemala aber leider normal, dass es bei Gerichtsfällen, in die Militärs verwickelt sind, Drohungen gegen die ermittelnden Staatsanwälte und Richter gibt. Dabei werden Methoden angewendet, die im 36-jährigen Bürgerkrieg gang und gäbe waren. Die Justiz des Landes ist sehr schwach. Ziel der Einschüchterungen ist, alle Fälle, hinter denen politische Motive stehen, ungeahndet zu lassen. Zu diesen Fällen, zählt auch der Mord an Bischof Gerardi. Als 1996 das Friedensabkommen geschlossen wurde, hoffte die guatemaltekische Bevölkerung, dass sich die Lage ändern würde. Aber zwei Jahre nach dem Abkommen geschah dieser Mord - und zwar wieder auf eine so brutale Form, wie es während des Bürgerkrieges üblich war.

die furche: Auf welche Weise sind Sie selbst bedroht worden?

Galindo: Im September 1999, als ich die Daten über Hintermänner und Täter beisammen hatte, wurden die Drohungen gegen mich intensiver - durch Telefonterror, durch die Überwachung meines Tagesablaufs. Die stärkste Drohung kam an einem Samstag, nachdem ich mit meiner Familie einen Ausflug gemacht hatte: Als wir am Abend zurück nach Hause kamen, lag in meinem Bett ein Kranz mit Blumen, wie er bei Begräbnissen verwendet wird. Es gab keine Spuren gewaltsamen Eindringens. Das war ein sehr deutliches Zeichen, mit dem meine Verfolger zeigten: Wir wissen, wo du dich aufhältst, und wie lange du wegbleiben wirst, sodass wir uns frei in deinem Haus bewegen können. Sie hatten also praktisch die Kontrolle über mein Leben. Nach diesem Ereignis stand ich vor der Entscheidung, weiterzumachen und Gefahr zu laufen, Opfer zu werden, oder das Land zu verlassen.

die furche: Sie kennen also die Hintermänner des Mordes an Gerardi.

Galindo: Meine persönliche Lage ist noch immer eine gefährdete. Ich kann in dieser Situation daher keine Namen nennen. Ich habe keine Gewähr, dass ich auf Dauer auch außerhalb von Guatemala sicher leben kann, und ich hoffe, einmal in mein Land zurückkehren zu können. So kann ich aus Gründen der Sicherheit meiner Familie die Namen der Täter nicht öffentlich nennen.

die furche: Glauben Sie, dass unter solchen Umständen der Mordfall Gerardi gelöst werden kann?

Galindo: Ich glaube nicht, dass es eine gerechte Lösung geben wird. Der Prozess findet zur Zeit gegen fünf Personen statt, von denen nur eine in den Fall verwickelt ist. Das Ganze ist mehr eine Inszenierung für die Öffentlichkeit. Ziel dieser Inszenierung ist es, den Erwartungen der öffentlichen Meinung zu entsprechen - ohne tatsächlich die Wahrheit aufzudecken.

die furche: Wenn also die fünf Angeklagten verurteilt werden, so sind somit auch Unschuldige dabei ...

Galindo: Ja. Zu diesen Unschuldigen gehören Pater Manuel Orantes und die Köchin, die ebenfalls angeklagt ist.

die furche: Der Prozess genügt also nicht jenen Standards, die wir in Europa von einem Strafprozess gewohnt sind.

Galindo: Dieses Verfahren kann man mit einem Prozess in einem demokratischen Land nicht vergleichen.

die furche: Der Präsident Guatemalas, Alfonso Portillo, hat aber angekündigt, den Fall Gerardi zu seiner gerechten Lösung zu bringen. Galindo: Portillo hat dieses Versprechen bei seinem Amtsantritt am 14. Jänner 2000 gemacht. Der gegenwärtige Prozess entspricht dieser Ankündigung und soll dieses Versprechen scheinbar einlösen. Aber in Wirklichkeit wird er das nicht leisten.

die furche: Was sind die Hintergründe der Ermordung von Bischof Gerardi? Was hat er in den Augen seiner Mörder angestellt?

Galindo: Zum einen geschah der Mord zwei Tage, nachdem Gerardi den Bericht der Wahrheitskommission der katholischen Kirche präsentiert hat. Zu dieser Zeit hoffte die Öffentlichkeit auf strafrechtliche Verfolgung all derer, die sich während der Diktatur an Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Durch den Mord an Bischof Gerardi ist diese Hoffnung gedämpft worden, ein Klima der Einschüchterung und des Terrors hat Platz gegriffen. Das ist auch der Grund dafür, dass dieser Mord auf solch brutale Weise geschah - das Gesicht und der Schädel Gerardis wurden zerstört: Die Botschaft sollte sehr deutlich sein. Der zweite Aspekt ist, dass die "Falken" unter den Militärs mit dem Mord das Ziel verfolgten, die Friedensverträge zu delegitimieren und der damaligen Regierung internationale Probleme zu verschaffen.

die furche: War Bischof Gerardi eine bekannte Gestalt in Guatemala?

Galindo: In den achtziger Jahren, als in Guatemala die meisten Menschenrechtsverletzungen geschahen, hat sich Gerardi für die Rechte der indianischen Bevölkerung eingesetzt und dafür, dass Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Gerardi wurde von der ärmsten Bevölkerung sehr geachtet und geliebt. Das kam auch darin zum Ausdruck, dass sein Tod einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat. Auch vor wenigen Tagen, beim dritten Jahrestag seiner Ermordung, haben in Guatemala wieder viele an Gedenkveranstaltungen teilgenommen gefordert, dass die Tat aufgeklärt wird.

die furche: Wie verhält sich die katholische Kirche seit dem Mord an Bischof Gerardi? Unterstützt sie die Aufklärung?

Galindo: Auch in der Kirche gibt es zwei Gruppen: Eine vertritt den Standpunkt von Monsenor Gerardi zur soziale Gerechtigkeit, die konservativere Gruppe hat da andere Auffassungen ...

die furche: Welche dieser beiden Gruppen ist stärker?

Galindo: Drei bis vier Bischöfe vertreten die Anliegen sozialer Gerechtigkeit - von den 22 Bischöfen in der Bischofskonferenz.

die furche: Der überwiegende Teil der Kirche unterstützt die Aufklärung nicht?

Galindo: Die Kirche hat die Forderung nach Aufklärung wohl verbal erhoben, sie aber nicht so unterstützt, dass die Bemühungen tatsächlich erfolgversprechend waren.

die furche: Was kann Europa tun, um die Lage zu verbessern?

Galindo: Jede wirtschaftliche Unterstützung, die Guatemala gewährt wird, sollte an die Respektierung des Rechtsstaates gebunden sein. Hier wäre der Hebel anzusetzen - auch um zu erreichen, dass das Justizsystem gestärkt wird.

die furche: Die Guatemala nächstliegende Großmacht sind die USA. Unterstützen sie die Aufklärung des Falles?

Galindo: Ich bin bei meinen Nachforschungen vom FBI unterstützt worden: Ich habe Blutproben von zwölf verdächtigen Militärs in die USA geschickt; bei zwei dieser Proben stellte sich heraus, dass es mit Blutproben vom Tatort identisch war. Danach gab es keine weitere Beteiligung der USA.

die furche: Wäre es nicht nötig, dass gerade die USA Druck auf Guatemala ausüben, wie Sie es von Europa fordern?

Galindo: Die USA haben in der Region andere Interessen als Europa. Ein Thema, von dem die USA direkter betroffen sind, ist der Drogenhandel. Daher konzentrieren sie sich darauf.

die furche: Sie selbst wollen wieder zurück nach Guatemala.

Galindo: Im Augenblick gibt es dafür keine Möglichkeit. Ich muss abwarten, bis es wieder Aussicht auf einen tatsächlichen Wechsel in Guatemala gibt.

die furche: Woran sind die Hoffnungen Guatemalas, dass der Bürgerkrieg zu Ende ist und das Militär in seiner Macht beschnitten wird, zerbrochen?

Galindo: Die Einstellung der Mächtigen in Guatemala hat sich leider nicht geändert. Es geht diesen um materielle Vorteile und die wirtschaftliche Macht, die in den Händen weniger Familien konzentriert ist - mit Unterstützung der Mehrheit des Militärs. Ziele wie Umverteilung oder soziale Gerechtigkeit spielen in diesem Panorama keine Rolle.

die furche: Als Sie 1999 den Mordfall Gerardi übernommen haben, haben Sie damit gerechnet, acht Monate später das Land verlassen zu müssen?

Galindo: Als ich den Fall übernahm, dachte ich, das wird das Ende meiner Laufbahn als Staatsanwalt sein. Ich bin dieses Risiko aber eingegangen - in der Hoffnung, dass es zu einem Wechsel beitragen würde. Es war ein geeigneter Augenblick, um die Justiz in Guatemala auf die Probe zu stellen. Leider habe ich mich getäuscht.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Zum Thema: Bischofstod - noch immer unaufgeklärt Vor drei Jahren, am 26. April 1998, wurde in Guatemala-Stadt Bischof Juan Gerardi von Unbekannten erschlagen - zwei Tage nachdem er einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges 1960-96 präsentiert hatte. Zur Zeit findet in Guatemala der Mordprozess gegen fünf Angeklagte - drei Militärs, den Priester Manuel Orantes und die Köchin Gerardis - statt. Rund um diesen Prozess gab und gibt es massive Einschüchterungsversuche, erst vor wenigen Wochen wurde ein Anschlag auf eine Richterin verübt.

Der guatemaltekische Jurist Celvin Galindo, der auch als Universitätsprofessor für Rechtswissenschaften tätig war, nahm Anfang 1999 als Sonderstaatsanwalt die Ermittlungen im Mordfall Gerardi auf. Acht Monate später hatten die Drohungen gegen ihn ein Ausmaß erreicht, dass Galindo mit seiner Frau und seinen drei Töchtern über die USA nach Europa emigrierte. Nach einem Studienaufenthalt am Max-Planck-Institut in Freiburg i. Br. nahm Galindo eine akademische Stelle an der Universidad Pompeu Fabra in Barcelona an, wo der 43-Jährige heute mit seiner Familie lebt.

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