Kap der schlechten Zeiten

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Der Mord an einem führenden schwarzen Oppositionspolitiker am vergangenen Wochenende hat Südafrika wieder in die internationalen Schlagzeilen gebracht. Die Bluttat ist symptomatisch für das Klima latenter Gewaltbereitschaft im Land. Mitte des Jahres finden Parlamentswahlen statt: die ersten seit dem Machtwechsel von 1994, der das Ende des Apartheid-Regimes besiegelte.

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Der Mord an einem führenden schwarzen Oppositionspolitiker am vergangenen Wochenende hat Südafrika wieder in die internationalen Schlagzeilen gebracht. Die Bluttat ist symptomatisch für das Klima latenter Gewaltbereitschaft im Land. Mitte des Jahres finden Parlamentswahlen statt: die ersten seit dem Machtwechsel von 1994, der das Ende des Apartheid-Regimes besiegelte.

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Die Menschen leben in einem Gefühl der Bedrohung, und vermutlich wird die Lage, je näher wir den Wahlen kommen, ziemlich rauh werden", meint der südafrikanische Schriftsteller Breyten Breytenbach und steht mit dieser Ansicht nicht alleine da. Tausende seiner Landsleute verlassen die Spitze des schwarzen Kontinents, auf der Flucht vor einem desolaten Bildungssystem, drohender Arbeitslosigkeit und horrender Kriminalität.

Guter Hoffnung sind die vormals privilegierten, bestens ausgebildeten Weißen am Kap schon länger nicht mehr, denn seit dem Machtwechsel 1994 scheinen sich ihre Lebensbedingungen rapide zu verschlechtern. So manche Karrierechance ist gesunken, da die Regierung erfolgreich versucht, in der Verwaltung, in Schulen, Universitäten, Krankenhäusern und anderen Institutionen den Anteil der schwarzen Mitarbeiter zu erhöhen. "Anhänger des ANC (African National Congress, Anm.), die auf ihre Leistungen im Befreiungskampf pochen, drängen darauf, so schnell wie möglich mit Quotenjobs bedacht zu werden", schreibt Johannes Harnischfeger im "Internationalen Afrikaforum".

Noch stellen die Weißen einen Bevölkerungsanteil von 13 Prozent, doch schon spricht man von Massenexodus: Monatlich sollen es 1.000 bis 2.000 Südafrikaner europäischer Herkunft sein, die ihre Koffer packen und nach Neuseeland, Australien, Kanada oder Großbritannien auswandern. Bereits die Hälfte jener Ärzte, die an ehemals weißen Universitäten promoviert haben, ist in das westliche Ausland emigriert - und wird schmerzlich vermißt, denn hochqualifizierte Arbeitskräfte lassen sich nicht einfach schnell ersetzen.

Während diese Menschen gerne hier gesehen sind, werden illegale Arbeitsuchende, die sich zu Tausenden aus dem ganzen Kontinent nach Südafrika durchschlagen, mehr oder weniger erfolgreich abgewehrt. Glaubt man den makabren lokalen Zeitungsberichten, so schaffen es monatlich rund 600 Flüchtlinge aus Mosambik, in den Kruger National Park einzudringen. Manche finden dort ein schnelles Ende, von Löwen attackiert und aufgefressen.

Isithumba heißt das ärmliche Dorf im "Tal der tausend Hügel", eine Autostunde von Durban entfernt. Etwas abseits der runden Lehmhütten liegt die modern anmutende Volksschule, wo Englisch häufig auf dem Stundenplan der Zulu-Kinder steht. Während Afrikaans nunmehr systematisch zurückgedrängt wird, ist Englisch die dominierende Sprache für Ausbildung und Beruf. Die gute Kenntnis dieser Fremdsprache soll den schwarzen Kindern eine bessere Zukunft garantieren, auf daß sie nicht das Heer jener Arbeitslosen vermehren, das nach dem Ende der Apartheid die Großstädte füllt.

Massenuniversitäten Seit das Erziehungssystem für die bis vor kurzem benachteiligten Bevölkerungsgruppen durchlässiger geworden ist, versucht die Regierung Massen in die Universitäten zu drängen. "Wir müssen die akademische Ausbildung unseres Volkes zum Aufbau der Nation forcieren", appellierte Nelson Mandela Anfang August in Kapstadt. 1,5 Millionen Studenten, doppelt so viele wie heute, sollten bis zum Jahr 2005 die Hochschule besuchen. Gleichzeitig hat man allerdings damit begonnen, das Universitätspersonal zu reduzieren, um mehr in Grundschulen investieren zu können. Professoren bemerken schon Qualitätsverluste - die Studenten kämen schlecht vorbereitet, mit sehr holprigen Englischkenntnissen. Nach Ansicht des südafrikanischen Erziehungswissenschafters Neville Alexander wird allerdings "die große Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung Englisch nie so gut beherrschen, um diese Sprache als Machtinstrument benutzen zu können". Alexander kann sich durchaus vorstellen, daß bei entsprechender Förderung zukünftig die afrikanischen Sprachen den Unterricht bestimmen werden.

Seit Herbst 1996 jedenfalls muß die neue Schulreform, der South African School's Act umgesetzt werden; ein Unterfangen, daß nicht so recht in Gang kommen will, meint Uwe Schulz, Soziologe und Experte des südafrikanischen Schulsektors. Die Hälfte der Schulen habe keine adäquate Infrastruktur, vor allem in jenen Provinzen, in denen größere Townships und Homelands mit vorwiegend ländlicher Bevölkerung (Ostkap, Kwa Zulu/Natal, Nord-Provinz) zu integrieren waren: Stromanschlüsse, Telephone, Toiletten, Tische, sogar ganze Klassenzimmer und Schulbücher fehlten; Reparaturarbeiten würden auf die lange Bank geschoben. Obwohl das Bildungsbudget des Ministeriums in Pretoria mit knapp 20 Prozent den größten Einzelposten im südafrikanischen Haushalt einnimmt, machen die meisten Provinzen Schulden. Laut dem im letzten Sommer veröffentlichten "Provincial Review Report" ist allerdings nicht der Geldmangel, sondern das unfähige Finanzmanagement für die Bildungskrise verantwortlich zu machen.

Sparpakete Arthur King chauffiert tagtäglich Touristen auf der Route zwischen Durban und Kapstadt. "Der Job ist zwar abwechslungsreich, doch meiner Ausbildung entspricht er nicht", bedauert der sehr freundliche schwarze Mann. Bis vor kurzem noch Volksschullehrer, ist er nun Opfer des Sparprogrammes, wonach Pädagogen mit Zeitverträgen nicht weiter beschäftigt und Klassen zusammengelegt werden.

Derlei Maßnahmen gefährden besonders Schulen in weißen Wohngebieten, fürchtet Harnischfeger, der die früher privilegierten Institutionen auf ein Dritte-Welt-Niveau zusteuern sieht: Schüler in überfüllten Klassen und Lehrer, die bis zu 40 Stunden pro Woche unterrichten müßten. Die Angleichung der einst schwarzen und weißen Schulen erzeugt rassistische Spannungen, die im Februar für Zeitungsmeldungen sorgten: In ländlichen Schulen verstießen burische Weiße gegen das neue Schulgesetz, indem sie versuchten, schwarze Kinder von "ihren" Schulen fernzuhalten und Afrikaans als Unterrichtssprache zu belassen. Die schwarzen Eltern indes fordern Englisch als Unterrichtssprache und wollen ihre Kinder aus den überfüllten Klassen in jene Burenschulen schicken, wo die Schülerzahlen bereits gesunken sind. Die Elternvertreter haben jedenfalls viel zu tun.

Sie sind es, die in den schulischen Leitungsgremien die Mehrheit bilden und zur zusätzlichen Beschaffung von Finanzen ermächtigt sind. Das führt nun aber auch dazu, daß Schülern Plätze verweigert werden, wenn ihre Eltern die Gebühren nicht zahlen können, berichtet Schulz. Die Schulreform komme also den Bedürfnissen der besser verdienenden weißen Eltern und der neuen schwarzen Elite entgegen; ein Zweiklassen-System wird hier gefördert, so das Resümee des Experten.

Es ist die Ghettoisierung von schwarzer und weißer Bevölkerung, die immer noch die Schulen prägt, bestätigt Alexander, auch wenn das Gros der Stadtplanungsbehörden glaubt, daß diese Abgrenzungen innerhalb der nächsten Generationen verschwinden werden. Bis dahin müssen sie sich wohl noch mit dem "Nimby-Syndrom" (Not in my backyard) auseinandersetzen: "Ich möchte keine armen Leute hinter meinem Haus wohnen haben", beschreibt die Einstellung jener Gemeinden, die eine geschlossene Klassengesellschaft bleiben wollen. Und dagegen will ANC-Wohnungsbauministerin Sankie Mthembi-Mahanyele etwas unternehmen.

Doch die schwarzen Menschen werden zusehends ungeduldig. Denn die von der neuen Regierung versprochenen Wohnungen und Arbeitsplätze bleiben weitestgehend aus: Einst stolz angekündigte Bauprogramme versinken in Korruption und Mißwirtschaft, 60 Prozent der schwarzen Jugendlichen haben keinen Job, in den Großstädten vergeht kein Wochenende ohne Verbrechen. Kinder gehen bewaffnet zur Schule, Vergewaltigungen sind extrem häufig, und der Polizei fehlt es an Durchschlagskraft. Ihr wird sogar vorgeworfen, daß sie selbst in Morde verwickelt sei. Die Grenzen zwischen organisiertem Verbrechen und Sicherheitskräften scheinen mehr und mehr zu verschwimmen.

Privatpatrouillen Das Mißtrauen der Bevölkerung ist jedenfalls groß, vor der Polizei scheint sich niemand mehr zu fürchten. Farmer organisieren ihre privaten Patrouillen, Gangs zeigen sich ganz offen auf der Straße: "Jede Gruppe scheint sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern", beschreibt Breytenbach die Lage. Und die dürfte sich vor den kommenden Parlamentswahlen noch verschärfen, darin sind sich nicht nur ausländische Beobachter einig.

"Die Menschen haben ihre Hoffnung auf ein Ende der Gewalt aufgegeben", meinte der Bürgermeister von Richmond, als schon vor einiger Zeit rivalisierende schwarze Parteien in KwaZulu/Natal mit einer Reihe von politischen Morden internationale Schlagzeilen machten. Der Anschlag vom letzten Wochenende und die darauffolgende Vergeltungsaktion zeigen, daß der Satz unvermindert aktuell geblieben ist.

Angesichts dieser Tragödie forderte Goodwill Zwelithini, ehemals Herrscher des Königreichs der Zulu, sein Volk dazu auf, die Waffen endlich ruhen zu lassen - wohlwissend, daß die politischen Bekenntnisse zur multikulturellen "Regenbogen-Nation" illusorisch bleiben werden, solange Gewalt und Korruption ausländische Investoren abschrecken und die überfällige ökonomische Besserstellung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit in immer weitere Ferne rückt.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Zeitschrift "ÄrzteWoche".

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