Grasser - © Foto: climaxxx!

Karl-Heinz Grasser – ein Symptom

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Das Phänomen Karl-Heinz Grasser lässt sich auch als Kennzeichen eines Missverständnisses bei den Konservativen und eines Mangels an brauchbaren personellen Angeboten rechts der politischen Mitte interpretieren.

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Das Phänomen Karl-Heinz Grasser lässt sich auch als Kennzeichen eines Missverständnisses bei den Konservativen und eines Mangels an brauchbaren personellen Angeboten rechts der politischen Mitte interpretieren.

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Karl-Heinz Grasser ist zuletzt wieder aus dem Sommerloch aufgepoppt. Warum auch nicht? Wir werden den Mann nicht so schnell loswerden, er wird uns noch länger begleiten. Denn er steht wie kaum ein anderer für das Dilemma der politischen Öffentlichkeit in Österreich.

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Jedes demokratische Gemeinwesen lebt von politischen Alternativen: links gegen rechts, sozialdemokratisch gegen christdemokratisch, „konservativ“ gegen „progressiv“, sozialliberal gegen wirtschaftsliberal. Tendenziell tritt die Linke geschlossener auf als die Rechte. Das hat ideengeschichtlich wohl mit dem utopischen Charakter der Linken beziehungsweise dem Selbstverständnis als „Bewegung“ oder Ähnliches zu tun; während auf der rechten Seite des politischen Spektrums der Individualismus stärker ausgeprägt ist und der (Minimal-)Konsens sich vielfach auf „nichtsozialistisch“ beschränkt.

Ideologisch orientierungslose ÖVP

Für Österreich gilt das alles in modifizierter Form: Die ÖVP erweist sich zunehmend als ideologisch völlig orientierungslos (was freilich seit den siebziger Jahren immer wieder zu konstatieren war und nur durch starke Persönlichkeiten an der Spitze wie Mock oder Schüssel übertüncht werden konnte). Und sonst ist da nicht viel. Keine FDP (zugegeben, zurzeit nicht eben auf Erfolgskurs, aber eben doch über die Jahrzehnte eine wählbare Alternative für Liberalkonservative), keine Liberal Democrats (nunmehr mit den Tories in einer Regierung), keine VVD (die holländischen Liberalen, die bei den letzten Wahlen stärkste Kraft wurden), keine Schwarzenberg-Partei (die tschechische TOP 09, die in der Person des Fürsten den Außenminister stellt). Stattdessen die FPÖ, von der man abgesehen von allem, was sich gegen sie sagen lässt, auch nicht zwingend behaupten kann, sie sei „nicht sozialistisch“. Und das BZÖ, besser jener Teil, der ohnedies schon kaum wahrnehmbaren Partei, der so etwas wie eine österreichische FDP sein will – also im Prinzip Josef Bucher (und auch darüber kann man noch streiten). Über die anderen Spaltprodukte des „Dritten Lagers“ sei der Mantel des Schweigens gebreitet.

Was das alles mit Karl-Heinz Grasser zu tun hat? Er hat geschickt diese (rechtsliberale) Leerstelle der österreichischen Innenpolitik besetzt. Auch Leute, die mit Jörg Haider nichts am Hut hatten, fanden Gefallen an dem Mann. Für die FPÖ war er das ressentimentfreie, weltläufige Gesicht – was zwangsläufig Probleme mit sich brachte und im Haider’schen Verdikt vom „moralischen Flachwurzler“ gipfelte.

Damit hatte Haider allerdings in einem anderen als dem von ihm gemeinten Sinn recht. Umso irritierender bleibt es, dass ein Mann vom intellektuellen und auch moralischen Format eines Wolfgang Schüssel Grasser für eine Art anonymen Christdemokraten halten konnte. Offensichtlich gibt es so etwas wie ein mangelndes Selbstbewusstsein bei den Konservativen, von dem auch Schüssel nicht ganz frei war. Oder, wie es Hans Winkler kürzlich in der Presse schrieb: Schüssel faszinierte an Grasser, was ihm selbst fehlte. Gewiss hat Grasser eine Art von Leichtigkeit und Glamour, die man weder mit Schüssel noch mit der ÖVP allgemein verbindet. Aber ist das tatsächlich ein Mangel?

Ein weites Feld für Blender

Das Grundproblem an Grasser war ja schon immer offensichtlich: dass er Politik nicht als öffentliches Amt begriff, sondern als eine Art Privatveranstaltung zur Pflege der eigenen Marke („KHG“ am Revers). Dagegen spricht nicht, dass er als Finanzminister an einer Schlüsselstelle einer Regierung saß, die zumindest im Ansatz den richtigen Weg (etwa der Budgetkonsolidierung) ging. Grasser eignet sich wie kein Zweiter, jenen Sack abzugeben, auf den man bekanntlich einschlägt, um den Esel (Schüssel) zu treffen.

Was bleibt – und sich seit Schüssels Abgang noch verschärft hat – ist der Mangel an brauchbaren personellen Angeboten rechts der politischen Mitte. Hier tut sich strukturell ein weites Feld für Blender und Hasardeure auf.

Der Autor war von 2001 bis 2008 FURCHE-Chefredakteur, von 2009 bis 2012 stv. Chefredakteur und von 2013 bis Juli 2019 wieder Chefredakteur der FURCHE.

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