Kegelclub mehr akzeptiert als familiäre Pflichten

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Dass sich moderne Familien der Arbeitswelt anpassen, ist nichts Neues. Doch die Arbeitswelt kann sich gewinnbringend den Familien anpassen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird im Regierungsprogramm zur zentralen Aufgabe erklärt, Geldleistungen oder andere Formen der Unterstützung sowie geeignete Rahmenbedingungen und Infrastruktur (Kinderbetreuung) werden als unerlässlich bezeichnet. Soweit also alles wie gehabt.

Positiv zu vermerken ist allerdings, dass in den weiteren Sätzen festgestellt wird, dass "die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur jede/n Einzelne/n betrifft, sondern auch eine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Herausforderung und Aufgabe ist", und - nach einer Betonung, dass das Wohl des Kindes dabei im Vordergrund stehen müsse - als Ziel der Regierungspolitik betont wird, "ein familien- und kinderfreundliches Arbeitsumfeld zu schaffen und den Familien Gestaltungsmöglichkeiten zu gewährleisten."

Hier liegt für mich ein entscheidender und überaus wichtiger Ansatz zur Weiterentwicklung der Vereinbarkeitsdebatte:

Neben der Verbesserung der Wahlfreiheit bezüglich der Betreuungsproblematik (Stichwort: Kinderbetreuungsgeld) stand in den vergangenen Jahren im Mittelpunkt der Vereinbarkeitspolitik das Ziel, insbesondere Frauen, die Kinder betreuen, den Verbleib in der Erwerbstätigkeit zumindest auf Teilzeitbasis zu erleichtern oder überhaupt den Zugang zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen: Der Ausbau extrafamilialer Kinderbetreuung, die Chance auf substanziellen Zuverdienst in der Karenz und der Rechtsanspruch auf Teilzeit weisen klar in diese Richtung.

Ein anderer Blickwinkel

Auf diesen Maßnahmen aufbauend, ist nun als nächster Schritt notwendig, die Vereinbarkeit unter einem breiteren Blickwinkel zu sehen und als wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Herausforderung zu begreifen: Vereinbarkeit kann sich nicht darin erschöpfen, die Familiensituation so zu gestalten, dass die Lebenswirklichkeit der Familien Erfordernissen der Wirtschaft entspricht, sondern muss auch als Herausforderung an die Wirtschaft und andere Lebensbereiche gesehen werden, sich auf die Anforderungen der Familien einzustellen.

Hier bietet insbesondere die Arbeitswelt ein reiches Betätigungsfeld, wie ein Fülle von Ideen und Beispielen zeigt: Vermeidung überlanger Arbeitszeiten, von wichtigen Sitzungen am späteren Nachmittag, großzügige Gewährung qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze, eine Urlaubskultur, die auf Konsumation und nicht auf Horten ausgerichtet ist, die Einrichtung qualifizierter Telearbeitsplätze, die unternehmensinterne Akzeptanz von Vätern, die sich der Kinderbetreuung widmen, die gesetzeskonforme Handhabung von Freistellungsansprüchen, bleiben freilich allzu oft Desiderat.

Paradigmenwechsel der Wirtschaft nötig

Besonders erfreulich ist, dass eine familienfreundliche Arbeitsumwelt nicht nur den Familien hilft, sondern auch betriebswirtschaftlich vorteilhaft ist: Mehrere Studien zeigten im letzten Jahr, unter welchen Bedingungen Unternehmen aus familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, insbesondere auch aus qualifizierter Teilzeitbeschäftigung Vorteile haben: Vermeidung teurer Überstunden, Sicherung kontinuierlicher Verfügbarkeit von Know-How, klare Produktivitätssteigerung, Reduktion von Fehlzeiten usw. Es ist nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen für Familien, sondern auch ein Gebot der kaufmännischen Vernunft, die Arbeitswelt familienfreundlich zu gestalten!

Dabei ist allerdings - wie das Regierungsprogramm darlegt - ein echter Paradigmenwechsel in der Wirtschaft notwendig: Unternehmen, die von Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität einfordern, erweisen sich leider allzu oft erstaunlich unflexibel, wenn Arbeitnehmer wegen eines Familienproblems eine Adaptierung der Arbeitsbedingungen brauchen; Vorgesetzte sind leider allzu oft nicht bereit, individuelle Lösungen zuzulassen, die für Familien notwendig sind; Kollegen erweisen sich leider allzu oft unkollegial, wenn die Familie ruft: Nur allzu oft hat man den Eindruck, dass es akzeptierter ist, einen Termin bei einem Kegelclub zu haben, als wegen einer Betreuungsnotwendigkeit an einer Sitzung nicht teilnehmen zu können.

In der gesellschaftlichen Akzeptanz liegt auch eine entscheidende Chance für die Anhebung der Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung: Nicht einmal mit viel Geld könnte hier ein annähernd so großer Bewusstseinswandel erfolgen, wie es der Fall wäre, wenn es vom Vorgesetzten, vom Personalchef, vom Unternehmen als Zeichen von Sozialkompetenz gesehen wird, wenn sich ein Vater in der Betreuung seiner Kinder engagiert. Ich bedaure, wenn mangelnde Kompatibilität der Arbeitswelt die heutige Vätergeneration daran hindert, ihren Wunsch, sich an der Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen, zu realisieren.

Mit Erwerbsarbeit steigt Geburtenrate

Wer ist gefordert? Plattformen und Vernetzung für Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter und zur Unterstützung von Väterkarenz und Teilzeit durch Mütter und Väter, Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, um Familienfreundlichkeit als Gewinn für Unternehmen zu erkennen, die verstärkte Information und Weiterbildung während und nach der Karenz sowie die Forcierung qualifizierter Teilzeitarbeit für Frauen und Männer sind die Punkte, die das Regierungsprogramm nennt. Aber: Warten wir nicht auf den Staat: Im Sinne eines wohlverstandenen Subsidiaritätsprinzips sind wir alle gefordert. Die nun anstehenden Lösungen insbesondere in der Personalarbeit können in jedem Unternehmen gesetzt werden, ohne dass es staatlicher Interventionen bedarf!

Noch eines: Es sollte uns zu denken geben, dass als familienwissenschaftlich gesichert gilt, dass mit einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familienpflichten und Erwerbsarbeit auch die Geburtenrate steigt; die Vitalität einer Gesellschaft hängt so gesehen auch von der Arbeitswelt ab. Vielleicht sollten wir das Schlagwort von der "Humanisierung der Arbeitswelt" nicht auf die Verbesserung der Gesundheitsanforderungen und den Arbeitsschutz reduzieren, sondern die Arbeitswelt so gestalten, dass die Menschen sich dem Leben und seiner Weitergabe in den Familien öffnen können.

Der Autor ist Leiter des Institutes für Familienforschung an der Uni Wien

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