"Kein EU-Kreuzfahrerclub"

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Für den früheren EU-Ministerpräsident Mesut Yilmaz wäre der türkische EU-Beitritt ein Signal dafür, dass es keine grundsätzliche Differenz zwischen christlich- und muslimisch-geprägter Kultur gibt.

Die Furche: Was wird aus der Türkei, sollte sie nicht EU-Mitglied werden können?

Mesut Yilmaz: Die Menschen in der Türkei sind am Rande ihrer Geduld. Wenn wir eine negative Antwort von der EU bekommen, dann wird sich die Unterstützung der Bevölkerung für die EU drastisch verringern. Ich befürchte dann auch einen Anstieg des Fundamentalismus in der Türkei, denn die Türken werden im Fall einer Ablehnung einer großen Vision beraubt.

Die Furche: Wie groß ist die Zustimmung für einen EU-Beitritt in der Türkei selbst?

Yilmaz: Gut zwei Drittel der Türken sind für einen Beitritt.

Die Furche: Und was befürchten die türkischen EU-Gegner?

Yilmaz: Sie fürchten, dass die Union die Türkei schlucken wird - ähnlich jener Meinung in den EU-Ländern, die Türkei würde die EU schlucken. Das sind die zwei Gegenpole, die in einem Punkt solidarisch sind: Beide Gruppen wollen die Türkei nicht in der EU.

Die Furche: Wie zuversichtlich sind Sie, dass die EU-Staats- und Regierungschefs Ende des Jahres ihr OK für Beitrittsverhandlungen geben?

Yilmaz: Diese Entscheidung ist eigentlich schon 1963 gefallen. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hat damals mit der Türkei ein Abkommen geschlossen, mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft. Und diese Entscheidung ist seither auf zahlreichen EU-Gipfeln bekräftigt worden. Für mich ist es deswegen undenkbar, dass die EU-Regierungen jetzt zu einem Nein gegenüber der Türkei kommen. Ein solches Vorgehen würde ja die Glaubwürdigkeit der EU absolut in Frage stellen. Jetzt ist die Zeit, dass die Verpflichtungen gegenüber der Türkei erfüllt und die Versprechen gehalten werden.

Die Furche: Was, wenn die EU der Türkei einen Sonderstatus, nicht aber die Vollmitgliedschaft zugesteht?

Yilmaz: Alles andere als eine Vollmitgliedschaft ist für uns nicht akzeptabel. Entweder wir werden EU-Mitglied oder wir bleiben ein Nachbar der Union - mit allen Konsequenzen die daraus für beide Seiten entstehen.

Die Furche: Die türkische Regierung will im Herbst eine Werbekampagne in den EU-Ländern starten. Yilmaz: Das hätte schon längst gemacht werden sollen, jetzt kommen diese Aktionen zu spät. Die Regierung hat das völlig verschlafen.

Die Furche: Was halten Sie von der Befürchtung, eine Aufnahme der Türkei in die EU könnte die Institutionen der Union überfordern?

Yilmaz: Das muss sich die EU überlegen, das ist nicht meine Aufgabe. So wie wir uns auf den Beitritt vorbereiten, muss es auch die EU tun. Aber eine Aufnahme der Türkei bringt keine untragbaren Belastungen für die EU. Nach der letzten Erweiterungsrunde ist die Union aus finanzieller Sicht heute viel weniger attraktiv als noch vor zehn Jahren. Dennoch bemühen wir uns um die Vollmitgliedschaft - das Geld ist für die Türkei fast nebensächlich.

Die Furche: Was ist die Hauptsache?

Yilmaz: Die Türkei in der EU verhindert, dass die Union ein Kreuzfahrerclub wird. Die größte Gefahr für die EU ist, dass sie sich in sich selbst verschließt. Die Türkei ist so wie kein anderes Land für die Mittlerrolle zwischen den Kulturen geeignet. Und das EU-Mitglied Türkei ist für die gesamte islamische Welt ein Signal, dass es keine grundsätzlichen Differenzen zwischen den Kulturen gibt.

Die Furche: Welche Rolle spielt die Religion beim EU-Beitritt der Türkei?

Yilmaz: Es ist das Hauptargument in der EU gegen einen Beitritt der Türkei - nicht geografische oder wirtschaftliche Fragen sind entscheidend. Ich habe enge Beziehungen mit christlichen Parteien in Deutschland gehabt. Meine Partei war eine Schwesterpartei von CDU und CSU. Dort wird hinter verschlossenen Türen deutlich gesagt: Ein muslimisches Land gehört nicht in die EU - die wollen ein christliches Europa haben. In der Öffentlichkeit sagen sie das nicht, das würde nur ihren Fundamentalismus zeigen. Deswegen verstecken sie sich immer hinter anderen Vorwänden. Aber die geografische Lage war immer die gleiche. Die Türkei ist dort, wo sie immer schon war.

Die Furche: Gibt es in der Türkei Entwicklungen Richtung Islamismus?

Yilmaz: Es gibt ab und zu Versuche in diese Richtung, aber die sind hoffnungslos. Die Bremsen innerhalb der Türkei gegen Fundamentalismus oder einen religiösen Staat sind sehr stark. Dazu gehören nicht nur unsere Verfassung, der Staatspräsident und die Justiz, sondern auch die große Mehrheit der Bevölkerung.

Die Furche: Die Armee als Wächter des Laizismus in der Türkei haben Sie ausgelassen.

Yilmaz: Weil wir keinen anderen Wächter als das öffentliche Bewusstsein brauchen - und dafür ist eine Aufnahme der Türkei in die EU lebensnotwendig.

Die Furche: Ist die Partei von Ministerpräsident Rezep Tayyip Erdogan auf dem Weg von einer islamisch-fundamentalistischen Partei hin zu einer "normalen" konservativen Partei?

Yilmaz: Anscheinend ja. Für mich sind Erdogan und seine AK-Partei an einem Scheideweg angelangt, wo sie entscheiden müssen, ob sie sich zu einer modernen, konservativen Partei entwickeln oder in eine fundamentalistische Partei zurückverwandeln.

Die Furche: Der türkische Präsident Ahmet Necdet Sezer hat im letzten Monat sein Veto gegen den Versuch eingelegt, das Kopftuchverbot im öffentlichen Bereich zu lockern.

Yilmaz: Daran sieht man, dass die endgültige Ausrichtung der AK-Partei noch nicht entschieden ist. Diese Kopftuchfrage war eine überflüssige Diskussion, die von der Regierung bewusst hochgespielt wurde, um bestimmte Wählergruppen anzusprechen.

Die Furche: Warum wollen die USA einen türkischen EU-Beitritt?

Yilmaz: In den Vereinigten Staaten ist man sich darüber im Klaren, welch große Gefahr eine Ablehnung der Türkei darstellt.

Die Furche: Es gibt die Meinung, die USA würden die Türkei unterstützen, weil sie eine schwache EU wollen.

Yilmaz: Das ist falsch, ganz im Gegenteil: Die Einbindung der Türkei wird die EU stärken und zu einem globalen Player machen. Gegenwärtig hat die EU im Mittleren und Nahen Osten nichts zu sagen. Die USA ist in der Region die einzige relevante Macht. Das muss ausgeglichen werden und dazu ist die Europäische Union allein mit der Türkei in der Lage.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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