Kein gutes Jahr für Versicherer

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Das Erdbeben im iranischen Bam war der Schlusspunkt in einem von besonders vielen Naturkatastrophen geprägten Jahr. Die Versicherungswirtschft beobachtet den Trend zu mehr Extrem-Ereignissen genau. Ein Rückblick auf 2003.

Neuesten Schätzungen zufolge hat die Erdbebenkatastrophe in Bam im Südwesten des Iran rund 35.000 Todesopfer gefordert. Aber es könn-ten auch 40.000 oder mehr sein. Erst in einigen Wochen wird man eine endgültige Bilanz erstellen können. Eine Tragödie unfassbaren Ausmaßes, wenn man bedenkt, dass auch noch 17.000 Menschen in Krankenhäuser gebracht werden mussten. Da es seit dem Beben am 26. Dezember weitere 100 Nachbeben gegeben hat, leiden viele Überlebende der Katastrophe unter schweren psychischen Störungen.

Erschreckende Bilanz

Was die Zahl der Todesopfer an-belangt, ist dieses Erdbeben das folgenschwerste Ereignis des ohnedies reichlich katastrophenträchtigen Vorjahres. Die "Münchener Rück", der weltweit größte Rückversicherer, veröffentlichte am 29. Dezember eine Bilanz der Naturkatastrophen 2003. Erschreckende Zahlen, kamen doch bei Erdbeben, Überschwemmungen, Tornados, Waldbränden, Hitze- und Kältewellen weltweit mehr als 65.000 Menschen ums Leben. Ein wahres Katastrophenjahr also, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2002 nur etwa 11.000 Opfer zu beklagen waren.

Neben dem Erdbeben von Bam stehen zwei weitere Beben auf der Liste der zehn folgenschwersten Ereignisse des Vorjahres: Im Februar eine Erdbebenserie in China, die allerdings weit weniger Opfer, nämlich 268, forderte und im Mai ein schweres Beben in Algerien, bei dem 2.200 Menschen ums Leben kamen. Die Erdstöße in Algier lösten überdies eine Flutwelle im Mittelmeer aus, die auf den vor Spanien gelegenen Inseln 150 Schiffe und Jachten beschädigte oder zerstörte.

Glimpflicher verlief ein Beben, das am 22. Dezember Kalifornien, ein wegen seiner tektonischen Labilität sehr gefährdetes Gebiet, erschütterte. Obwohl es dieselbe Stärke wie das Beben in Bam hatte, richtete es keine dramatischen Schäden an, ereignete es sich doch in einer dünn besiedelten Gegend zwischen Los Angeles und San Francisco.

Sehr folgenschwer hingegen war im Vorjahr die Hitzewelle und Dürre in Mittel- und Westeuropa sowie in weiten Teilen des westlichen Mittelmeeraumes. Von Juni bis August wurden Rekord-Temperaturen gemessen, eine Hitzeperiode, die nur alle 400 bis 500 Jahre auftritt. Diese derzeit noch außergewöhnliche Wetterkonstellation hat mehr als 20.000 Todesopfer gefordert. Allein in Frankreich wurden 14.802 und in Italien 4.175 Hitzetote gezählt.

Extreme Temperaturen - große Kälte im Jänner und Temperaturen bis zu 50 Grad im Mai und Juni - gab es auch in Indien, Bangladesch und Pakistan. Ihnen fielen insgesamt 3.800 Menschen zum Opfer, eine schlimme Bilanz, die jedoch nicht so folgenschwer wie die Hitzewelle in Europa war.

Sie war übrigens jene Naturkatastrophe, die 2003 die größten volkswirtschaftlichen Schäden - rund 10,5 Milliarden Euro - verursachte (abgesehen vom Erdbeben in Bam, dessen Folgen bisher kaum abzuschätzen sind). Vielen sind wohl noch die Bilder von den verheerenden Bränden in Erinnerung, die heuer zahlreiche Länder heimgesucht haben. Besonders betroffen war Portugal. Dort wurden rund 400.000 Hektar Forst zerstört, ungefähr zehn Prozent der Waldfläche des Landes. 19 Menschen kamen bei diesen Bränden ums Leben.

Auch in Frankreich wüteten auf 54.000 Hektar die schlimmsten Waldbrände seit Jahrzehnten. Für Schlagzeilen sorgten außerdem folgenschwere Flächenbrände in Australien, Kanada und in den USA. Noch im Oktober fielen in Kalifornien 20 Menschen und 3.300 Häuser dem Feuer zum Opfer. Mehr als 100.000 Menschen mussten evakuiert werden. Mit Zahlungen von etwa zwei Milliarden Dollar deckten die Versicherungen rund 60 Prozent des bei den Bränden insgesamt entstandenen Schadens ab.

Den bei weitem größten Aufwand müssen die Versicherungen für die Abdeckung von Sturm- und Unwetterschäden treiben. Auf diesen Bereich entfallen rund 75 Prozent ihrer Leistungen aus dem Titel Naturkatastrophen. Sieben der zehn höchsten Versicherungsschäden waren 2003 für Unwetter-Katastrophen in den USA zu zahlen: Dort ist die Bevölkerung gut gegen von den häufig auftretenden Hurrikans und Winterstürmen hervorgerufenen Schäden versichert. Allein die Tornadoserie im Mai des vergangenen Jahres - einer der zehn teuersten Stürme der Versicherungsgeschichte - kostete die Versicherer mehr als drei Milliarden Dollar. Sie deckten damit über 75 Prozent des gesamten angerichteten Schadens ab.

Unwetter nehmen stark zu

Im Vergleich dazu sehr schlecht schneiden die Opfer von Erdbeben ab, vermerkt die Münchener Rück. Bei den im Vorjahr registrierten 70 schweren Beben war nur ein Bruchteil der sechs Milliarden Dollar an volkswirtschaftlichen Schäden auch versicherungsmäßig gedeckt, nämlich 100 Millionen Dollar.

Das Katastrophenjahr 2003 liegt jedenfalls im Trend. Denn die Statistik registriert über die letzten Jahrzehnte einen starken Anstieg der Zahl von großen Naturkatastrophen, die überregionale und internationale Hilfe erforderlich machen: Allerdings ist das nicht auf eine zunehmende Erdbeben-Tätigkeit zurückzuführen. Sie ist über die letzten Jahrzehnte hinweg annähernd konstant geblieben. Stark steigend ist jedoch die Tendenz bei Sturm- und Unwetter-Katastrophen sowie bei Überschwemmungen.

Noch rascher als die Zahl der schweren Katastrophen steigt jedoch der dabei entstehende Schaden. Dazu die "Münchener Rück": "Die Statistik für Naturkatastrophen zeigt für den Zeitraum seit 1950 einen dramatischen und immer schnelleren Anstieg der - inflationsbereinigten - Schäden."

Wiederholt warnen die Versicherer vor den bereits absehbaren Folgen einer sich abzeichnenden Klimaveränderung, die die Wahrscheinlichkeit von Extrem-Ereignissen deutlich erhöht. Auch das Anwachsen der Städte und der steigende materielle Standard der Bevölkerung tragen zum steigenden Schadensniveau, das heuer mit 60 Milliarden Dollar einen neuen Höchststand erreicht hat, bei.

Tokio besonders gefährdet

Da die Versicherungen in wachsendem Maß in die Schadens-Abdeckung einbezogen werden, beobachten sie diese Entwicklung sehr genau. Für die 50 bedeutendsten Megacitys (vier Millionen Einwohner und mehr) wurde daher im Vorjahr ein Index erstellt, der das Risiko für diese Ballungszentren zahlenmäßig zu erfassen versucht. Seine Werte können zwischen null und 1.000 liegen.

Mit Abstand am höchsten wird derzeit das Risiko für den Raum Tokio-Yokohama (710) eingeschützt. Es folgen San Francisco Bay (167), Los Angeles (100) und Osaka-Kobe-Kioto (92). Am Ende der Skala rangieren St. Petersburg, Lagos (jeweils 0,7) und Abidjan (0,3). Wien scheint in der Liste nicht auf.

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