Kein Knüppel aus dem Sack

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Der Wahlsieg dispensiert Berlusconi nicht davon, die gegen ihn zu Recht vorgebrachten Bedenken glaubhaft auszuräumen.

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Der Wahlsieg dispensiert Berlusconi nicht davon, die gegen ihn zu Recht vorgebrachten Bedenken glaubhaft auszuräumen.

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Der Papst sitzt mit Silvio Berlusconi in einem Boot. Der Heilige Vater lässt sein Brevier in die Fluten fallen. Berlusconi schreitet über das Wasser, um das Brevier zu holen. Die Schlagzeilen in den italienischen Zeitungen des nächsten Tages: "Berlusconi kann noch nicht einmal schwimmen." Kein Witz über Italiens neuen Ministerpräsidenten, sondern eine "erfundene Geschichte" von Silvio Berlusconi und seinen schweren Stand in der Presse - sofern sie ihm nicht selbst gehört.

Den Papst lässt Berlusconi neben sich noch gelten, doch dann lichten sich die Reihen, denn - so der reichste Italiener - "mit mir kann sich keiner vergleichen". Und Recht hat er behalten am Wahltag, an seinem "Tag des Gerichts": Die absolute Mehrheit in Senat und Abgeordnetenkammer gewann sein Wahlbündnis Casa delle Liberta - trotz der Warnungen in nationaler und internationaler Presse, trotz des "Kriegs", den die nationale und internationale Linke gegen ihn geführt haben soll.

Das Brevier der Macht ist nach 1994 zum zweiten Mal in Berlusconis Hand. Dass er den ersten Teil - die Kapitel, wie man an die Macht kommt - hervorragend beherrscht, hat er erneut bewiesen. Ob er den zweiten Teil - die Abschnitte, wie man die Macht behält, sie nützt, aber nicht ausnutzt - genauso gut kennt, muss er erst noch beweisen.

Den ersten Knüppel, der Berlusconi dabei aus dem Tritt hätte bringen können, hat er schon gemeistert. Das war keine große Kunst, der Knüppel blieb im Sack. Für die Europäische Union, vertreten durch Kommissionspräsident Romano Prodi, ist Berlusconis Wahlsieg legitim. "Wer hat dies jemals in Frage gestellt?" fragte der ehemals erfolgreiche politische Gegenspieler Berlusconis zurück, als die Journalisten nicht locker ließen und Prodi noch wenigs-ten ein Sanktionenknüppelchen entlocken wollten.

Die EU-14, seit den Sanktionen gegen Österreich Synonym für Europas Wertepolizei, kann die Antwort auf Prodis Frage nur heißen. Müssten nicht Frankreichs Jacques Chirac, Deutschlands Gerhard Schröder, an vorderster Stelle Belgiens Louis Michel und die übrigen politischen Sittenwächter Europas jetzt erneut den Knüppel aus dem Sack holen, mit Sanktionen drohen, Alarmstufe rot für Europas Grundwerte ausrufen? Keine Frage, gälte der Gleichheitsgrundsatz unter Staaten, gehörte gegen eine Regierung Berlusconi genauso vorgegangen wie es im letzten Jahr gegen die Regierung Schüssel vorexekutiert wurde. Wo bleibt jetzt Europas Signal gegen Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit? Einige von Berlusconis Bündnispartnern sind doch um nichts besser, eher schlimmer als Haider und seine FPÖ.

Die Alleanza Nazionale steckt, trotz aller Lippenbekenntnisse ihres Führers Gianfranco Fini mit dem Duce-Regime nichts mehr am Hut zu haben, noch bis über beide Knöchel in der faschistischen Vergangenheit. Ganz zu schweigen von Pino Rautis neofaschistischer Partei MSI, die ebenfalls in Berlusconis "Haus der Freiheiten" Einlass gefunden hat. Bei Rauti fehlen sogar die Lippenbekenntnisse, der 75-Jährige pfeift auf die Taktik, für den Regierungsbeitritt eine Zeit lang Kreide zu schlucken - und hatte auch so oder gerade deswegen Erfolg.

Umberto Bossis Lega Nord, ein weiteres Zimmer in Berlusconis Casa delle Liberta, versucht landauf, landab gegen Fremde Stimmung zu machen. Bossi forderte eine Mauer an der Grenze zu Slowenien, um die illegale Einwanderung zu bekämpfen. Seine Legisten sorgen sich um norditalienisches Blut und norditalienischen Boden, wollen Greiftrupps in den Straßen patrouillieren sehen und Bannzonen gegen Muslime um Kirchen errichten. Und dennoch, keine Telefondiplomatie, keine Ho-Ruck-EU-Sanktionen a la Österreich, nicht einmal das Verbot an italienischen Stränden zu baden. Haben die EU-Staats- und Regierungschefs aus dem letzt-jährigen Debakel gelernt? Sind den Mitgliedsregierungen mit den in Nizza ausgehandelten neuen Sanktionsbestimmungen die Hände gebunden? Ist die Einsicht in die beschränkten Möglichkeiten einer Wertegemeinschaft zur Einmischung bei den Nachbarn gewachsen? Oder ist Rom einfach zu groß und mächtig?

Wahrscheinlich eine Mischung all dessen ist der Grund, warum sich keiner der EU-Partner noch einmal die Finger verbrennen und gegen Italien nach demselben Muster vorgehen will wie gegen Österreich. Weiterhin genau be-obachten lautet deswegen die EU-Devise. Der Einzige, der am Wahltag demokratische Werte unterminiert hat, war ja auch nicht Berlusconi, sondern Innenminister Enzo Bianco, der aus Spargründen die Anzahl der bislang 90.000 Wahllokale um ein Drittel gekürzt und damit ein Chaos unter den Wahlwilligen ausgelöst hat. Viele zogen unverrichteter Dinge wieder ab, wurden um ihr Wahlrecht betrogen, über Anfechtung und Neuaustragung der Wahl wird gestritten. Aber wer hat die rigiden Sparmaßnahmen verordnet? Hat nicht da die EU selbst die Hand im Spiel und damit an demokratischen Grundwerten ge-rüttelt?

Außerdem, der Sieg Berlusconi ist wesentlich auf Kosten seiner Bündnispartner passiert. Alleanza Nationale musste herbe Verluste einstecken, die Lega Nord ist faktisch halbiert. "Rechts von mir gibt es nichts!" Jene Strategie, die bayerische CSU-Ministerpräsidenten meisterhaft beherrschen, damit die Mitte besetzen und gleichzeitig die extreme Rechte verhindern - wird sie jetzt auch südlich der Alpen erfolgreich umgesetzt?

Neben dem Strahlemann Berlusconi verblassen die Finis, Rautis und Bossis. Steigen sie aus dem Wahlbündnis und der Umklammerung Berlusconis aus, riskieren sie ihre politische Existenz. Bleiben sie dabei, werden sie aber die Anliegen ihrer Klientel einfordern. Und Berlusconi - Mitte hin oder her - wird seiner extremen Rechten ihre vor dem Wahlsieg versprochenen Rechte zugestehen müssen.

Dabei ist es nicht so, dass nur Berlusconis Partner Anlass zur Sorge geben. Keine gegen den Cavaliere vorgebrachten Bedenken wurden mit dem Wahlsieg ausgeräumt. Eine absolute Mehrheit legitimiert kein Fernsehmonopol, pardoniert nicht in anhängigen Jus-tizverfahren und dispensiert nicht von der Verpflichtung, über die Herkunft eines Vermögens Rechenschaft zu geben. Zuerst die italienische Opposition, dann die EU tun gut daran, genau zu beobachten. Der Knüppel bleibt im Sack - aber es ist wichtig, dass es ihn in Italien und Europa gibt.

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