Kein Ochse schminkt sich

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Auch das ist Irak, Teil 2: Bei Schminkkursen und Frauenstimmen im Radio geht es nicht nur um Ästhethik und Charme, diese Freiheiten sind Politik.

Kein Zutritt für Männer, die müssen im Innenhof des Versammlungshauses von Wali Haidar warten, sich die Zeit mit Teetrinken vertreiben und den Dieselgenerator warten, damit der Fernseher funktioniert. Die Psychologin Shlear Kamel Saber will den Frauen des 600 Seelen-Dorfes, zwei Autostunden nördlich von Bagdad, einen Film zum Thema Genitalverstümmelung zeigen. Die Tür zum Versammlungsraum geht zu, der Generator rattert und die Männer schlürfen ihren Tee. Es dauert nicht lange, kommt eine Frau heraus, ihr kleines Kind unterm Arm, läuft davon, kurz darauf folgt ihr eine zweite, eine dritte … - das Treffen löst sich auf, bevor das Thema ausdiskutiert ist.

Auslöser für den Eklat ist der Kommentar eines muslimischen Geistlichen im Anti-Genitalverstümmelungsfilm, der sagt, dass die Beschneidung von Frauen kein islamisches Gebot ist und sich nicht auf den Koran berufen kann. "Der Mullah lügt!", hat eine Frau in der Runde daraufhin gerufen, berichtet Psychologin Saber, und es ist zu einer "sehr harten Diskussion" mit der Frau gekommen, die sich als die Beschneiderin des Dorfes zu erkennen gegeben hat.

Saber wird bei ihrer Aufklärungsarbeit in den Dörfern der Region Germiyan im südlichen Nordirak regelmäßig von älteren Frauen angelogen, angeschrien, angegriffen. Eine Reaktion auf das Tabuthema Genitalverstümmelung nicht nur im abgelegenen Wali Haidar - im Parlament von Irakisch-Kurdistan in der Hauptstadt Erbil herrschen ähnliche Verhaltensmuster, sagt die Abgeordnete Pexshan Zengana. Sie ist skeptisch, ob das von ihr ausgearbeitete Anti-Beschneidungsgesetz die Zustimmung des Parlaments bekommt. Eventuell muss sie das heikle Thema in einem anderen Gesetz unterbringen, das sich allgemein mit der Gewalt an Frauen befasst: "Das ist zwar dann schwächer, aber besser als nichts", sagt Zengana, "doch viele, auch Frauen, wollen nicht akzeptieren, dass Genitalverstümmelung bei uns ein Problem ist."

Tabu: Genitalverstümmelung

Studien zeigen: Rund 60 Prozent der Mädchen unter zehn Jahren in der Region sind beschnitten. Und auch bei der Versammlung in Wali Haidar gesteht eine junge Frau, dass sie unter Druck gesetzt wird, ihre zwei Töchter verstümmeln zu lassen. Saber wird nach diesem ersten Besuch noch oft nach Wali Haidar kommen müssen. "Wenn ich weg bin", sagt Saber, "fallen sie wieder in ihre alten Muster zurück." Die Psychologin hofft auf die junge Generation, "die ist noch formbar", bei den älteren Frauen und Beschneiderinnen sieht sie keine Chance auf einen Gesinnungswandel: "Die sind fest davon überzeugt, sie tun ihren Töchtern und Enkeltöchtern damit etwas Gutes."

In dieser Meinung unterstützt werden sie von islamistischen Parteien wie den irakischen Fraktionen der Muslimbrüder, deren Einfluss auch im kurdischen Nordirak um sich greift. Germiyan, der Name der Region, bedeutet heißes Land. Das stimmt klimatisch, bringt aber auch das politische Klima auf den Punkt: Die Rede von einem "Hamas-Effekt" macht in Irakisch-Kurdistan die Runde. So wie in den Palästinensergebieten wenden sich die Menschen islamisch-fundamentalistischen Parteien zu. Enttäuscht von Korruption und Missmanagement der Großparteien PUK und KDP, die sich den Nordirak und die Ölmilliarden unter sich aufteilen, aber den Bedarf der Menschen an Lebensnotwendigem, an Wasser oder Elektrizität nicht abdecken können. Die Spannungen zwischen den Ethnien, den mächtiger werdenden Kurden, den an Einfluss verlierenden Arabern und den Turkmenen dazwischen, tragen zur aufgeheizten Stimmung und Verschlechterung der Sicherheitslage bei.

Dass Kirkuk und die Region Germiyan an einem Terrorproblem und allgegenwärtiger Bedrohung leiden, zeigt sich schon daran, dass der Parlamentspräsident und hochrangige PUK-Politiker Rizgar Ali seine Pistole aus dem Hosenbund ziehen und weglegen muss, bevor er sich zum Essen niedersetzt - auf den Boden seines Wohnzimmers. Das Mittagessen im Schneidersitz ist eine Reminiszenz an seine Vergangenheit als kurdischer Peshmerga im Widerstand gegen Saddam. "Das Leben in den Bergen war einfacher", sagt Ali, "da haben wir gewusst, wer unser Feind ist."

Peshmerga heißt: "Der dem Tod ins Auge schaut" - als politische Nr. 1 in der Region Kirkuk ist Ali auch Terrorziel Nr. 1 und in Lebensgefahr; doch ansonsten ist der Kämpfer aus den Bergen jetzt vor allem mit den politischen Mühen der Ebene konfrontiert, mit dem täglichen Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen, mit der ständigen Suche nach Investoren: "Kirkuk steht eine große Zukunft bevor", ist der Präsident überzeugt und bemüht sich, auch österreichische Firmen nach Kurdistan zu locken - bislang haben aber erst die Austrian Airlines mit der Einrichtung eines Linienflugs mehrmals die Woche nach Erbil ein Vertrauenszeichen in den wirtschaftlichen Aufschwung der Region gesetzt.

An der Wand in Alis Wohnzimmer hängen Fotos: Eines zeigt den Hausherrn als Kämpfer in kurdischer Pluderhose mit breiter Schärpe, verwegen gebundenem Turban und das Gewehr umgehängt im Kreis seiner Gefährten. Das Bild ist aus den 1980er Jahren. Ein zweites Foto ist erst ein paar Monate alt: Da steht Rizgar Ali neben US-Außenministerin Condoleezza Rice, in schwarzem Anzug mit Krawatte - nur der dominante Schnauzbart ist gleich. Und "unsere solidarischen Prinzipien aus den Bergen haben wir nicht abgelegt", antwortet Ali auf die Vorwürfe, die kurdische Regionalregierung würde die Ungleichheiten in der Gesellschaft verstärken und damit den Fundamentalisten in die Hände spielen: "Wir haben Probleme, aber wir haben Demokratie!"

Die wenigen Journalistinnen und Journalisten in den wenigen unabhängigen Medien sehen das anders. Für sie gerät die Demokratie und Meinungsfreiheit von zwei Seiten unter Druck: Seitens der Regierungsparteien, die Kritik mit Repressionen beantworten und von Seiten der Islamisten, die von der Unzufriedenheit profitieren, sich als Alternative präsentieren, denen jedoch eine freie und demokratische Gesellschaft ein Dorn im Auge ist.

Überleben im "Indianerland"

Am meisten unter diesem Druck leiden die Frauen: "Wir werden dreifach unterdrückt", sagt eine Frau bei einem Treffen von NGO-Verantwortlichen in Kirkuk: "Von den Männern, von der von Religion dominierten Kultur und Gesellschaft und vom Staat und seiner Verfassung." Während der Parlamentspräsident im zum Hochsicherheitsareal aufgerüsteten Regierungsviertel lebt und arbeitet, findet diese Zusammenkunft des "sozialen Gewissens" der Stadt im ungeschützten, im wilden, unsicheren Teil Kirkuks statt, in "injun country", im Indianerland, wie die US-Soldaten dazu sagen. Die goldene Überlebensregel dort heißt Misstrauen. Jedes vorbeifahrende Auto, jeder Passant, der entgegen kommt, kann eine Bombe sein.

Personifiziertes "Trotzdem!"

Die NGO-Vertreterinnen und Vertreter debattieren über ihre Aufgaben als Zivilgesellschaft und Frauenrechte. Die Diskussion mutet insofern von Zeit und Ort entrückt an, als zur selben Zeit ein Sprengstoffanschlag 15 Kirkuker in den Tod reißt und der Schock, den vor kurzem das Selbstmordattentat eines Kindes verursacht hat, noch allen Anwesenden in den Knochen steckt. Andererseits: Dieses personifizierte "Trotzdem!" der Bürgerinnen und Bürger, ihr beharrliches Eintreten für ein normales Leben und die Herrschaft des Rechts ist die beste Antwort auf den Terror - so wie das selbstbewusste, das kritische, das elegante und modische Auftreten vor allem der Frauen in dieser Runde. Ein Hauch von Chanel Nr. 5 in der Luft bedeutet in Kirkuk, wo die rohe Gewalt die Macht an sich reißen will, mehr als anderswo. Konterkariert die Fratze des Terrors, so wie Lidschatten und Lippenstift in den Gesichtern. Ist ein politisches Statement, pocht im Gegensatz zu Unterdrückung, Barbarei und Tod auf Kultur, Freiheit, Schönheit und Leben.

Hellblau, orange, rosa, getupft, gesprenkelt, gestreift … - farbenfrohe Stoffe der Sorte "gewagt" liegen auf dem Schneidertisch im Frauenzentrum in Kifrí, einer alten Karawanenstadt auf dem Weg zwischen Kirkuk und Bagdad. Dahinter steht die Lehrerin Kadila und unterrichtet Frauen jeden Alters in der Kunst der Schneiderei. Kadila präsentiert sich mit geklöppelten Spitzen am Kopftuch und in Tigerlook-Stoffe gehüllt selbst als bestes Modell für ihre Mode. Doch es geht bei diesen Kursen nicht nur um Kleider, Röcke, Blusen: "Es wird bei uns über alles gesprochen", sagt Kadila. Darin zeigt sich der wichtigste Charakter aller von der österreichischen Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (LEEZA) unterstützten Initiativen in der Region: offene Räume für Frauen und ihre Themen in einer frauenfeindlichen Umgebung zu schaffen.

Und die Frauen wissen, was sie brauchen: Neben den angebotenen Schneiderei-, Alphabetisierungs-, Computerstunden drängen sie auf Führerscheinkurse, um unabhängiger zu sein. Neben Schminkkursen fragen sie nach Laufbändern und anderen Sportgeräten, um im Frauenzentrum den Sport betreiben zu können, der ihnen in der Öffentlichkeit untersagt ist. Autofahren und Sport - Selbstverständlichkeiten für Frauen in der freien Welt. Doch Kifrí liegt an der Grenze zur Gegenwelt.

Nicht weit von der Kleinstadt entfernt, hinter den Grenzen von Irakisch-Kurdistan im arabischen Irak, befinden sich die so genannten "Al-Kaida-Dörfer". Erst vor wenigen Tagen sind Kämpfer von dort an einem Checkpoint abgefangen worden. Wenn sie durchkommen, bringen sie den Tod nach Kifrí, so wie nach Kirkuk. Und so wie in Kirkuk schüren sie auch in Kifrí das Misstrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Doch die Kurdinnen im Schneiderkurs wollen von einem Zerwürfnis zwischen ihnen und ihren arabischen Nachbarn nichts wissen: Sie leben gerne mit Arabern zusammen; sie erinnern sich gerne zurück, "wie schön es in Bagdad war"; und sie würden gerne ihre Kinder in einen Arabisch-Kurs schicken und bedauern, dass seit der "Abnabelung" des Nordiraks vom Rest des Landes kurdische Kinder in den Schulen nur mehr Kurdisch, aber kein Arabisch lernen.

"Dengué nué" heißt "Neue Stimme" auf Kurdisch und ist der Name des einzigen unabhängigen Radiosenders in der Region. Nawa ist eine der Moderatorinnen des Senders, der sich dezidiert auch als Plattform von Frauen für Frauen versteht, vor allem aber ein "freies Radio für jedermann" sein will. Deswegen nimmt sich Dengue nué die Freiheit heraus, die Sendungen ohne das in den anderen Radios übliche Koranzitat zu beginnen. Das hat in der Anfangszeit des Senders 2005 zu heftigen Protesten geführt, Dengué nué Verdächtigungen ausgesetzt, ein christliches Radio zu sein oder unter der Kuratel von KDP oder PUK zu stehen. Mittlerweile hat sich der Sender aber einen Namen als "ehrliches Radio" erarbeitet, dem 200.000 Hörerinnen und Hörer vertrauen. So wie andere freie Medienleute und kritische Zeitgenossen im Nordirak nennen auch Nawa und Kollegen auf die Frage nach ihrer größten Sorge die Korruption in der Regierung und den wachsenden Einfluss radikaler Islamisten. Wobei man für Zweiteres bei Dengué Nué Verständnis aufbringt: "Nach all dem, was die Menschen mitgemacht haben, bleibt ihnen nur der Glaube, an den sie sich klammern können - das macht sie natürlich leicht verführbar."

Eine andere Stimme in Kifrí geht mit den Landsleuten härter ins Gericht: "Komalga heißt Gesellschaft auf Kurdisch, nicht zu verwechseln mit Komalaga, das bedeutet Ochsenherde - doch wir haben den Unterschied noch nicht erkannt!" Da jener Spötter aus dem Ausland in den Irak zurückgekehrt ist, um beim Wiederaufbau zu helfen, darf er so streng sein. Und seine Heimkehr lässt ja nur den Schluss zu, dass er an die Lernfähigkeit und Zukunft der irakischen Komalga glaubt.

Radio Dengué Nué, die Anti-Genitalverstümmelung-Teams, das Frauenzentrum in Kifrí u.a. wird von LEEZA in Kooperation mit OEZA, Weltgebetstag der Frauen, Stadt Wien und Amnesty

International unterstützt.

Mehr Info unter www.leeza.at oder 0669/11 36 55 09 und info@leeza.at

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