(K)Ein Platz für Asafe

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Ein Flüchtling aus dem Irak spielt als die Nummer 11 beim SV Donau. Hatem Asafes Geschichte erzählt davon, wie Menschen Menschen vertreiben - und aufnehmen.

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Ein Flüchtling aus dem Irak spielt als die Nummer 11 beim SV Donau. Hatem Asafes Geschichte erzählt davon, wie Menschen Menschen vertreiben - und aufnehmen.

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Es ist ein ungewöhnlich milder, strahlender Frühlingstag. Vor der imposanten Kulisse der UNO City tummelt sich auf dem Vereinsplatz des SV Donau eine Gruppe Männer, die eine Hälfte im roten, die andere Hälfte im blauen Dress. Gleich startet ein Freundschaftsspiel. Die "Blauen", die erste Mannschaft des SV Donau, sind im vergangenen Herbst Meister in der 2. Landesliga geworden, "und auch am Ende der Meisterschaft wollen wir ganz oben stehen", lässt Trainer Nermin Jusic verlauten. Er setzt auf den Neuzugang, die Nummer 11, die sich selbstverständlich zwischen den anderen Nummern bewegt - ein nicht allzu großer, ernst wirkender junger Mann mit schwarzem Lockenkopf. "Hatem ist einer unserer besten Spieler", erklärt Jusic.

Dabei ist es gerade einmal vier Monate her, dass der 25-Jährige österreichischen Boden betreten hat. Hatem Asafe spricht so gut wie kein Wort Deutsch, und sein semiprofessionelles Fußballerleben ist eines, das sich vor dem Hintergrund des Alltags in einem "Camp" abspielt, mit fünf weiteren Flüchtlingen im Zimmer. Rund 1000 sind es insgesamt auf dem Gelände des ehemaligen Geriatriezentrums am Wienerwald. Asafe fehlt der Schlaf, weil er seinen Zimmerkollegen nicht diktieren kann, Handys und Licht auszuschalten. Gerade auch, weil er von harten Trainingsstunden kommt, einen ausgefüllten Tag hinter sich hat, an dem er das tun konnte, was sein Ureigenstes ist: Fußball spielen.

Benommen von den Geschehnissen

Heute ist Asafe zwar am Fußballplatz an der Alten Donau, und doch ist er auch noch benommen von seiner Flucht und den Geschehnissen in seiner alten Heimat, die ihn nach Europa gefegt haben. Vom Euphrat kommt er, aus der Stadt Ramadi in der irakischen Provinz al-Anbar. Dort hat er in der ersten Liga gespielt. "Als die Kämpfe des IS um meine Heimatstadt im Dezember 2013 begonnen haben, war es aus mit dem Fußball", berichtet der junge Sportler. Zunächst sei er noch in Ramadi geblieben, denn für viele Menschen in den mehrheitlich schiitischen Teilen des Iraks stünden Sunniten wie er unter Generalverdacht, mit dem IS zu kollaborieren. Selbst in der Hauptstadt könne es Schwierigkeiten geben: "Einer meiner Brüder ist nach Bagdad gegangen und dort verhaftet worden". Von den Generälen des einstigen sunnitischen Staatschefs Saddam Hussein sind einige zum IS übergelaufen.

Asafe wollte weiter Fußball spielen. Also ist er in den Norden des Landes ausgewichen, in die sichere autonome Region Kurdistan. Wenngleich nicht von der UNO anerkannt, verfügt diese über die Strukturen eines selbständigen Staates - und einen entsprechend organisierten Fußball. Wieder hat Asafe in der ersten Liga gespielt, als einer von zwei Arabern. Die Fußballerkollegen haben die beiden leidlich akzeptiert. Nicht so die Menschen in der Region. Die Gräuel, die der sunnitische Araber Hussein an den Kurden des Landes verübt hat, sind nicht verziehen: "Ich habe das Clubhaus praktisch nicht verlassen, habe dort eine Ecke zum Schlafen und Kochen bekommen", erzählt er. Wenn seine Mannschaft mit dem Bus unterwegs war, wurde der ganze Tross an den Checkpoints immer wieder stundenlang aufgehalten, weil mit dem Fußballpräsidenten erst geklärt werden musste, warum sich Araber im Bus befinden.

Flucht vor dem IS

Unterdessen spitzten sich die Kämpfe in Ramadi zu. Asafes Eltern und Geschwister litten, einer seiner Brüder verlor bei einem Bombeneinschlag ein Bein. Als im Mai 2015 die Eroberung von Ramadi durch den IS bevorstand, floh die Familie nach Erbil, in die Hauptstadt Kurdistans. "Es dauerte nur wenige Tage, bis die schiitische Mafia bei uns auftauchte und meinen Bruder mitnahm. Wir wissen bis heute nicht, wo er ist", sagt er traurig. Seine Familie drängte ihn, das Land schnell zu verlassen, also stieg er in ein Flugzeug und flog in die Türkei.

Dort hat er Tareq Alsadoon getroffen, auch er ist ein Fußballer aus dem Irak und Sunnit. Der war in einem britisch-chinesischen Ölunternehmen angestellt, bis ein schiitischer Mob einen britischen Angestellten lynchte, weil dieser Bilder des von den Schiiten verehrten Hosseini von den Wänden genommen hatte: "Ich habe die Leute gefragt, warum sie so etwas machen", erzählt Alsadoon. "Wir haben doch alle denselben Gott". Wenig später wurde er festgenommen, fünf Tage lang inhaftiert, gefoltert und nach der Zahlung eines Lösegeldes durch seine Familie mit der Auflage freigelassen, binnen drei Wochen das Land zu verlassen sowie jeden Kontakt zur Familie einzustellen. Bis heute hat Alsadoon mit seinen Angehörigen nicht mehr kommuniziert.

Die beiden Männer sind enge Freunde geworden. Gemeinsam haben sie - in der Türkei registriert, aber ohne Aufenthaltstitel - einen Monat lang in einer Fabrik täglich zwölf Stunden gearbeitet. Am Ende habe der Vorgesetzte bestritten, sie zu kennen und ihnen den gesamten Lohn vorenthalten. Wehren konnten sich die beiden nicht, weil sie keine Arbeitserlaubnis hatten. "Als Araber bist Du nichts in der Türkei", sagt Asafe.

Auch sein Freund musste ähnliche Erfahrungen in der Türkei machen. Als man den beiden Männern - auf der Straße als Araber erkannt - fast einen Hund auf den Hals gehetzt hätte, hat Alsadoon beschlossen, einen Schlepper zu suchen und weiter nach Westen zu ziehen, "wo es keinen Rassismus gibt". Schließlich ist der junge Iraker in Österreich gelandet. Über ein Gartenprojekt, das der Soziologe Georg Wiesinger gemeinsam mit dem Mediziner und Psychotherapeuten Fritz Neuhauser im ehemaligen Geriatriezentrum am Wienerwald betreut, kam er zum SV Donau: Wiesinger, Mitglied im Vorstand des SV Donau, erkannte das Fußballtalent. Trainer und Vereinsvorstand Nermin Jusic, selbst als bosnischer Flüchtling in Wien gestrandet, nahm ihn umstandslos auf: "Die 220 Spieler in unserem Verein verteilen sich auf mehr als 30 Nationalitäten, das funktioniert ohne Probleme: Das Miteinander macht gleich." In der Satzung des Vereins ist das Bekenntnis zum Antirassismus niedergeschrieben, Jusic selbst ist Österreich Heimat geworden.

"Wo es keinen Rassismus gibt"

Der Neuankömmling hat seinem Freund Hatem aus Österreich geschrieben, hat ihm Fotos vom SV Donau in die Türkei geschickt, hat ihn gelockt mit Bildern von Matches, hat ihn gebeten zu kommen - und versprochen: "Hier gibt es keinen Rassismus." Einige Monate nach Alsadoons Aufbruch ist auch Asafe losgezogen, im Boot übers Meer. Das Netz zum Fußballverein war schon gesponnen, Alsadoon hatte bereits erzählt, dass es jemanden gäbe, der "noch viel besser" Fußball spiele. Und wenig später war Asafe "entdeckt". Er wurde aus Traiskirchen geholt, im ehemaligen Geriatriezentrum am Wienerwald untergebracht und trainiert jetzt im SV Donau.

Mit seinen 25 Jahren ist er einer der Ältesten am Platz. Die tief eingekerbten Furchen auf seiner Stirn lassen ihn älter wirken, als er tatsächlich ist. Von seiner Familie, die kurz nach seiner Abreise aus Kurdistan nach Ramadi zurückgezogen ist, hat er seit mehr als fünf Monaten nichts gehört. Kürzlich ist Asafes Heimatstadt von der irakischen Armee zurückerobert worden, sie liegt in Trümmern.

Er selbst ist nicht religiös, verurteilt nicht Schiiten oder Sunniten, sondern jene Menschen, die gegen die Menschlichkeit handeln. Humanität sei alles, was er sucht. In Österreich habe er bisher gute Erfahrungen gemacht -und eine Perspektive entwickelt: "Ich möchte diesem Land das geben, was ich meinem Land nicht geben konnte."

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