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Kein Rentenluxus!

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Vor einiger Zeit brachte „Die Furche“ unter diesem Titel einen Beitrag von mir (Jg. 1963, Nr. 40), auf den dann der Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger Friedrich Hillegeist erwiderte (Jg. 1963, Nr. 48). Dies geschah in einer angenehm sachlichen Form. Dieselbe Fairneß möchte auch das Schlußwort wahren.

Hillegeist bekämpft die „Frührente“ und sagt, sie habe im September 1963 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter schon 37,4 v. H. der Gesamtzahl an Alterspensionen erreicht. Ich konnte hingegen lediglich feststellen, daß zum 30. September 1963 bei der genannten Anstalt insgesamt 7555 Frührenten ausgezahlt wurden und zwar 6212 an Männer und nur 1343 an Frauen. Die Zahl der letzteren ist deshalb so niedrig, weil Arbeiterinnen die im Gesetz vorgeschriebenen 420 Beitragsmonate so gut wie gar nicht erreichen können. In der Budgetdebatte hat die Abg. Rosa Weber (SPÖ) diesbezüglich energisch Abhilfe verlangt, und Sozialminister Proksch hat sie auch in Aussicht gestellt. Hillegeist meint dann weiter, bei den Frührentnern handle es sich um Menschen, die aus menschlich sogar begreiflichen Gründen einfach nicht mehr arbeiten wollen. Aber da tut er ihnen Unrecht; es geht hier vielmehr um solche Arbeitnehmer, die schon nach dem 50. oder 55. Lebensjahr bei den heutigen hohen Leistungsansprüchen in der Industrie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr recht mitkönnen. Eine Invaliditätsrente ist aber für sie unerreichbar, weil sie noch nicht berufsunfähig sind, und so warten sie eben mit Ungeduld auf die Frührente. Denn ein volles Jahr vorher stempeln gehen, um dann die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit (Anfall bei Männern mit dem 60., bei Frauen mit dem 55. Lebensjahr) zu beziehen, ist wirklich nicht jedermanns Sache. Ich glaube übrigens nicht, daß ein so erfahrener Politiker wie Präsident Hillegeist wirklich, glauben .könnte, daft- man Leistungen, die einmal den Arbeitnehmern zugebilligt wurden, ihnen wieder entziehen könnte, nur weil die Gebarung der Versicherungsträger zu begründeter Besorgnis Anlaß gibt. Da gibt es doch wohl noch andere Auswege; der der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten nunmehr wieder zuerkannte Bundeszuschuß ist nur einer von ihnen.

Gewiß, ich bin mit Hillegeist durchaus einer Meinung, daß die Höchstpension 79,5 v. H. des versicherten Einkommens nicht übersteigen soll und daß gegenwärtig der eine oder andere Alterspensionist der Sozialversicherung, der mehr erhält, hier gegenüber dem nach 40 Dienst Jahren nur 80 v. H. seines Aktiveinkommens beziehenden Bundespensionisten im Vorteil ist; das gilt aber doch nur bei Einkommen bis zur Höchstbemessungsgrundlage von 4800 Schilling. Der Prokurist mit 8000 Schilling monatlich etwa wird als Sozialpensionist kaum die Hälfte seines früheren Einkommens beziehen. Hier ist der Bundespensionist wieder bevorzugt, denn für ihn gibt es keine Höchstbemessungsgrundlage; auch der Sektionschef erhält 80 v. H. seines letzten Aktivgehaltes. Ist es Hillegeist übrigens entgangen, daß in der Budgetdebatte der Abg. Kindl (FPÖ) bereits die Abschaffung der Höchstbemessungsgrundlage auch für die soziale Rentenversicherung verlangt hat? Zur finanziellen Deckung schlug er eine Beitragsanhebung vor. — Zu der Feststellung Hillegeists, daß die durchschnittliche Bezugsdauer der Altersrenten in der Pensionsversicherung zwischen zehn und elf Jahren schwankt, die gezahlten Beiträge aber viel früher konsumiert seien, muß gesagt werden, daß dieser Umstand zu jenen Problemen gehört, die die vom ASVG angewandte Art der Pensionsberechnung aufgeworfen hat. Man wollte eben damals die Altersrente möglichst nahe an den letzten Aktivgehalt heranziehen. Jetzt zu einem anderen System übergehen zu wollen, dürfte sehr schwer sein.

Hillegeist verweist darauf, daß der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. Dezember 1960, G-10/60 (aber nicht im Zusammenhang mit Paragraph 94 ASVG, sondern mit Paragraph 93!) Ruhensbe-stimmungen für zulässig erklärt habe. Allerdings unter der Voraussetzung — und das vergaß Hillegeist zu sagen —, daß sie nicht dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 7 unserer Bundesverfassung widersprechen; und das tun sie eben immer. Aus diesem Grunde hat auch der Verfassungsgerichtshof damals den Paragraph 93 ASVG (Rentenkürzung bei Bezug der Rente neben einer Bundespension) aufgehoben. Ich glaube, daß Hillegeist inzwischen auch in die Entscheidung des Obergerichtes Wien vom 20. September 1963, 14 R 123/63 Einsicht genommen hat, die ausdrücklich feststellt, daß durch die in der 9. Novelle zum ASVG vorgenommene Neufassung des Paragraphen 94 keineswegs seine bisherige Verfassungswidrigkeit beseitigt worden sei. Im Gegenteil, es sei eine weitere geschaffen worden, weil der Gesetzgeber es ungewollt übersehen habe, den bisher nur für Rentner in einem Angestelltenverhältnis bestimmten Jahresausgleich bei zum Ruhen gebrachten Rententeilen auch auf die selbständig erwerbstätigen Rentner auszudehnen (Abs. 5 des Paragraphen 94 ASVG). Dies sagt das Obergericht Wien, obwohl es ausdrücklich konstatiert, daß es zur Entscheidung über Verfassungswidrigkeiten nicht legitimiert sei. Der neugefaßte Paragraph 94 ASVG — man wollte ihn durch seine Ausdehnung auf die bis dahin von ihm verschont gebliebenen selbständig erwerbstätigen Rentner vor einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof retten — ist nun glücklich mit so vielen Verfassungswidrigkeiten aus dem Titel der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ausgestattet, daß seine einzige Rehabilitierung nur in seiner völligen Aufhebung bestehen kann.

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