"(K)eine Frage des GESCHMACKS"

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Peter Huemer und Lothar Höbelt sind beide Intellektuelle. Mehr haben sie kaum gemein: Ein Schlagabtausch über Präsidentenwahlen dies- und jenseits des Atlantiks. | Das Gespräch führten Doris Helmberger und Otto Friedrich

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Peter Huemer und Lothar Höbelt sind beide Intellektuelle. Mehr haben sie kaum gemein: Ein Schlagabtausch über Präsidentenwahlen dies- und jenseits des Atlantiks. | Das Gespräch führten Doris Helmberger und Otto Friedrich

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Wer soll künftig in der Wiener Hofburg sitzen? Nicht nur in dieser Frage trennen den Historiker Lothar Höbelt und den Journalisten und Publizisten Peter Huemer Welten. Auf Einladung der FURCHE haben die beiden miteinander diskutiert - und einander dabei nichts geschenkt.

Die Furche: Was glauben Sie, wie wird sich Donald Trumps Sieg auf den 4. Dezember auswirken?

Lothar Höbelt: Gar nicht. Oder zumindest nicht vorherberechenbar. Man kann sagen: Jetzt gewinnen die Rechten auch anderswo, das hat einen Nachahmeffekt; man kann aber auch sagen: die Amerikaner sind bei uns aus Gründen, die ich meist nicht teile, unbeliebt, daher kommt es zum Gegeneffekt. Diese Idee, dass alles vernetzt sein muss, ist eine Berufskrankheit von uns Historikern und Journalisten. In Wirklichkeit: Nein.

Peter Huemer: Ich glaube auch, dass die Auswirkungen nicht abschätzbar sind. Aber im Unterschied zu Ihnen hat mich die Trump-Wahl entsetzt. Es wird in eine massiv reaktionäre Richtung gehen: Der Wahlkampf, den ich in manchen Dingen wie eine Rücknahme des Zivilisationsprozesses betrachtet habe, aber auch Trumps erste Personalentscheidungen deuten darauf hin. Schon die Absage an die Existenz des Klimawandels halte ich etwa für menschheitsbedrohend. Das ist eine Form von Obskurantismus gegen jede wissenschaftliche Erkenntnis. Das zweite ist der politische Stil: Eine gesamte Bevölkerungsgruppe pauschal als Verbrecher, Drogendealer und Vergewaltiger zu bezeichnen, wie Trump das bei den Mexikanern gemacht hat, ist gegen alle Maximen der Aufklärung. höbelt: Wir sind beide keine Chemie- und Geologiehabilitierten, also lassen wir den Klimawandel an seinen Platz gestellt. Und was den Stil betrifft: Das Interessante ist, dass sich Trumps Werte bei Großgruppen wie Frauen und Hispanics im Vergleich zu Mitt Romney vor vier Jahren überhaupt nicht geändert haben. Die Amerikaner haben also gewusst, wie man so ein Wahlkampftheater werten muss.

Die Furche: Sie sehen also keine "Rücknahme des Zivilisationsprozesses"?

Höbelt: Der "Zivilisationsprozess" ist eine Worthülse, die ich als Historiker nicht einmal mit spitzen Fingern angreifen würde.

Huemer: Mir war schon klar, dass Sie das alles als Kinkerlitzchen betrachten würden. Ich habe bürgerlich reagiert, Sie postbürgerlich.

Höbelt: Ich halte Geschmacksfragen einfach nicht für wesentlich in der Politik.

Huemer: Aber der Klimawandel ist keine Geschmacksfrage! 95 Prozent der Wissenschafter konstatieren ihn.

Höbelt: Nein, beim Klimawandel hören wir auf, weil wir beide keine Geologen und Chemiker sind, die das beurteilen könnten.

Huemer: Aber wir haben beide über die wissenschaftlichen Ergebnisse gelesen -und sie gehen alle in dieselbe Richtung. Ihr Verhalten ist genau das, was ich als "postfaktisch" bezeichne.

Höbelt: Sie haben es vielleicht gelesen, ich nicht. Punktum.

Die Furche: Apropos "postfaktisch": Bei Trumps Wahlkampf-Aussagen haben Fakten-Checks ergeben, dass Vieles falsch war. Dennoch ist er gewählt worden. Spielt das auch in den österreichischen Wahlkampf hinein?

Höbelt: Das hat bei uns in viele Wahlkämpfe hineingespielt. Etwa bei der Nationalratswahl von 2006, wo eine Nachricht über Wolfgang Schüssels Haushaltshilfe in die Kampagne eingefügt wurde. Nachher hat man zugegeben, dass alles erfunden war. Aber inzwischen hatte Schüssel schon verloren.

Die Furche: Norbert Hofer hat unlängst vor Anhängern Folgendes gesagt: "Kennt ihr einen Moslem, der im Pflegebereich arbeitet, der bereit ist, unseren Senioren vielleicht die Windel zu wechseln? Ich kenne das nicht." Die Pflegeverbände haben dagegen protestiert. Wie würden Sie das einordnen?

Höbelt: Also wenn er selbst niemanden gesehen hat, wird das schon sein Eindruck sein! Moslems sind vielleicht auch nicht immer als solche erkennbar, es sei denn, wenn sie gewissen Kleidungsvorschriften anhängen.

Huemer: Aber wir sind doch nicht ganz blöd! Das ist eine codierte Mitteilung, die uns sagt: Muslime sind sozial in dieser Gesellschaft weder einsetzbar noch wollen sie eingesetzt werden. Abgesehen davon verstehe ich den Begriff des Postfaktischen anders. Da geht es nicht um Lügen und auch nicht um Verleumdungen, sondern um Menschen, die sich im Netz in einem bestimmten Milieu bewegen und für das, was wir als Information oder Argumente betrachten, nicht mehr erreichbar sind.

Höbelt: Aber das haben wir in Österreich bis in die 1960er-Jahre in ähnlicher Form gehabt. Noch Franz Olah wurde von der SPÖ gemaßregelt, weil er einer Nicht-Parteizeitung ein Interview gegeben hat. Die Leute haben sich von ihnen nahestehenden Medien informiert und darüber hinaus nichts zur Kenntnis genommen. Außerdem hat das Internet ja auch eine Demokratisierung des Kommunikationsprozesses ausgelöst. Nicht nur gewisse Journalisten oder Sender, sondern jeder kann sich hinsetzen und etwas hineinklimpern, und da kommen eben auch sehr viele ungeschützte Reaktionen heraus. Aber wir sind wohl beide keine wahnsinnigen Adepten des Internet, da sind wir uns wohl einig.

Die Furche: Derzeit ist das Netz jedenfalls voll Hass. Besonders verhasst ist neben den "Mainstream-Medien" das "Establishment". In den USA hat man von der Wut der "Abgehängten" gesprochen. Können Sie diese Wut gegen "die da oben" nachvollziehen?

Höbelt: Ich glaube, dass diese Analyse falsch ist und es dieses "Oben gegen Unten" nicht gibt. Es ist keineswegs so, dass in den USA "die da oben", also das "Establishment", gegen Trump waren: Die Anhängerschaft der beiden Kandidaten hat sich, was die Einkommensgruppen betrifft, kaum unterschieden. Es ging eher um einen Protest gegen jene Leute, die medial vernetzt sind und die sich für den in städtisch-urbanen Milieus beliebteren Kandidaten aussprechen. Gerade das wirkliche "Establishment", Wirtschaftsmanager etwa, hatte aber eine höchst differenzierte Sicht der Dinge. Deshalb würde ich auch nicht von "Establishment" sprechen, sondern von Prominenz - oder Schickeria.

Huemer: Also ich sehe schon eine reale Wut auf "die da oben": Bei der Wohlstandsvermehrung, die in den 1950er-Jahren begonnen hat, ist immer Geld von oben nach unten durchgesickert. Doch damit ist es vorbei, es staut sich unglaublich viel Geld bei einer Minderheit oben. Diese Wut wird von Trump und anderen genutzt, ohne aber einen Kampf für soziale Verbesserungen zu führen. Auch die FPÖ hat im Parlament ständig Sozialgesetze, die Verbesserungen für "die da unten" gebracht hätten, abgelehnt.

Höbelt: Es freut mich, dass Sie bestätigen, dass die FPÖ immer noch eine wirtschaftsliberale Partei ist.

Huemer: Ja, aber zugleich erklärt sie ihre Klientel - und sich selbst - kontinuierlich zum Opfer des Establishments, das jetzt bei Hofer plötzlich Schickeria heißt.

Höbelt: Was treffender ist, aus den vorher erklärten Gründen.

Huemer: Wie auch immer: Die FPÖ tut nichts zur Verbesserung der Situation ihrer Klientel, sie hetzt sie nur auf.

Die Furche: Das Thema, das am meisten Emotionen auslöst, sind die Flüchtlinge. Sie, Herr Professor Höbelt, haben am 12. September bei einer umstrittenen Veranstaltung der Freiheitlichen Akademie Wien anlässlich des "333. Jahrestages zur Befreiung Wiens von den Türken" einen Vortrag gehalten. Titel: "Abendland beschützen, damals wie heute"...

Huemer: Das klingt ja wie im 1933er-Jahr...

Höbelt: Ich bin auch ein großer Fan von Ernst Rüdiger von Starhemberg - damals wie heute. Aber davon losgelöst sind die Widersprüche zwischen damals und heute schon interessant: 1683 ging es um eine militärische Eroberung. Wenn die Türken gewonnen hätten, dann hätte es einen Wechsel des Establishments gegeben. An der Basis hätte sich relativ wenig geändert und auch die konfessionelle Struktur wäre gleich geblieben, weil die Türken die Christen ja als Steuerzahler gebraucht haben. Heute ist es umgekehrt: Wir haben dieselben Eliten, aber der konfessionelle und kulturelle Austausch findet an der Basis statt. Das ist kein militärischer, sondern eher ein evolutionärer Vorgang, der aber sehr viel nachhaltigere Wirkungen haben kann.

Huemer: Also die letzte große "Abendlandfeier", die wir in Österreich hatten, war der 250. Jahrestag im Jahr 1933 unter dem Austrofaschismus, der damals gerade an die Macht gekommen ist. Und jetzt will man offenbar wieder das christliche Abendland gegen die Türken retten. Auch Norbert Hofer hat sich ja nun auf dieses Thema draufgesetzt -auf wirklich abstoßende Weise.

Höbelt: Abstoßend? Hofer hat gesagt: So wahr mir Gott helfe! Das ist eine Formel, die man völlig überkonfessionell als Christ in allen möglichen Bereichen verwenden kann. Um mich auf Ihr Niveau zu begeben, könnte ich genausogut sagen: Warum beruft sich jemand, der aus allen Kirchen ausgetreten ist wie Alexander Van der Bellen, auf Christenpflicht und Gottes Schöpfung?

Huemer: Also wenn Sie schon mein Niveau ansprechen: Ich will Ihnen sagen, was ich mit "abstoßend" meine. Diese Gesellschaft hat sich darauf geeinigt, dass sie Staat und Religion trennt. Wenn ein Politiker privat religiös ist, ist das völlig in Ordnung. Wenn zum Beispiel der Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter zum großen Erstaunen des Bundespräsidenten bei der Eidesformel dazusagt: "So wahr mir Gott helfe und vor dem Heiligsten Herzen Jesu", dann ist das ein Bekenntnis eines Katholiken, der das als Teil seines politischen Selbstverständnisses sagt. Wenn aber ein Politiker, der vorher nie religiös aufgefallen ist, zuerst eine Wahl verliert und plötzlich im Wahlkampf eine solche Formel verwendet, dann ist das schlicht und einfach Missbrauch. Und das bezeichne ich als abstoßend.

Höbelt: Ich halte Sie für abstoßend. Punktum.

Die Furche: Versuchen wir bitte wieder eine etwas sachlichere Debatte - und kommen wir zu den Szenarien: Welche Folgen würde ein Wahlsieg Hofers bzw. Van der Bellens aus Ihrer Sicht haben?

Huemer: Es wird jedenfalls eine Richtungswahl. Wenn Hofer gewinnt, dann ist damit zu rechnen, dass Österreich ein FPÖ-Land wird - mit allen Konsequenzen, die das innen-und außenpolitisch hat. Wenn Van der Bellen gewinnt, dann bleiben die liberale Grundlinie des Landes und auch das internationale Ansehen erhalten.

Höbelt: Das internationale Ansehen? Schauen Sie sich doch an, wer überall sonst regiert!

Die Furche: Sie meinen Trump, Putin, Erdogan, Orbán?

Höbelt: Auch unsere Nachbarländer sind in den wesentlichen Fragen auf Seiten Hofers.

Huemer: Sicher wird Hofer in einigen Staaten mit Freude empfangen werden - aber wir unterscheiden uns vermutlich in der Einschätzung von Putin und Orbán.

Höbelt: Also ich halte diese Orientierung hin zu den Vi segrád-Staaten für richtig. Und zur Richtungswahl: Die wäre es nur im Sinne der Ableitungen, die man daraus zieht. Wir alle wissen um die beschränkten Kompetenzen des Präsidenten. Das einzige, worin Van der Bellen aus der bisherigen Reihe der Präsidenten ausschert, ist seine Ansage, dass er eine Regierungsbildung von schwarzblau zu verhindern wüsste. Aber würde er das Parlament auflösen? Würde er eine Staatskrise provozieren? Ich denke, er würde sich wie Klestil mit Gesten begnügen. Aber in einer Frage wäre tatsächlich ein politischer Impetus vorhanden, nämlich beim Umgang mit der Asylantenflut. Da steht Hofer für einen Beschränkungs-Kurs, den auch schon Sebastian Kurz und Hans Peter Doskozil mittragen - und 70 Prozent der Bevölkerung. Bei einem Sieg von Van der Bellen könnten hingegen wieder jene Oberwasser bekommen, die sagen: Machen wir wieder auf.

Huemer: Das ist völlig unsinnig, weil der Bundespräsident diesen Kurs erstens nicht bestimmen kann und zweitens keiner eine Politik der offenen Grenzen betreibt. Ich sehe eher, dass die Hofer-Seite ein Problem mit der EU hat: Als es zum Brexit kam, ist ja - inklusive Hofer - blanke Begeisterung ausgebrochen. Dann hat sich aber sehr rasch herausgestellt, dass eine EU-Austrittskampagne in Österreich keine Mehrheit finden würde.

Höbelt: Aber eine Austrittskampagne war nie geplant und hatte nie eine Mehrheit! Man hat nur gesagt, dass hier endlich jemand dem Establishment eine Ohrfeige gegeben hat.

Huemer: Jetzt sind wir wieder in dem Bereich, in dem Sie einfach etwas behaupten. Natürlich war das geplant, nur ist man vorsichtiger geworden. Aber wenn die Wahl vorbei ist und die FPÖ eine parlamentarische Mehrheit bekommen sollte, wird sie das wieder spielen.

Die Furche: Aber was würde Van der Bellen tun, wenn die FPÖ stärkste Kraft wird, Herr Huemer?

Huemer: Ich glaube auch nicht, dass er es auf eine Staatskrise ankommen lassen würde. Aber er würde jedenfalls zu verhindern versuchen, dass die FPÖ den Bundeskanzler stellt. Wenn hingegen Hofer gewinnt, käme neben einem blauen Präsidenten auch ein blauer Kanzler und ein blauer Nationalratspräsident, was ich für eine extrem negative Entwicklung halte - im Inneren wie im Äußeren.

Höbelt: Bisher hatten wir drei Rote in diesen Funktionen

Huemer: Richtig, aber genau da mache ich eben einen Unterschied.

Die Diskutanten

Peter Huemer

Der 1941 in Linz geborene Historiker und Publizist war von 1969 bis 2002 Mitarbeiter des ORF (u. a. als Leiter des "Club 2") und führt heute die "Wiener Stadtgespräche" von AK Wien und "Falter". Er engagiert sich in der Plattform "Es bleibt dabei" für Alexander Van der Bellen.

Lothar Höbelt

Der 1956 in Wien geborene Historiker ist außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien. 1991 hat er sich mit der Schrift "Kornblume und Kaiseradler" habilitiert. Höbelt gilt als Kenner und Vertreter des "Dritten Lagers" in Österreich.

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