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Osterweiterung, Handelsliberalisierung und Budgetknappheit: Die EU-Agrarpolitik begnügt sich damit, auf Sachzwänge zu reagieren.

Die Einigung zwischen Frankreich und Deutschland vor dem Dezember-Gipfel der EU in Kopenhagen ist ein Beispiel dafür, dass Kurzzeit-Ziele die Politik bestimmen: Deutschland will nicht mehr zahlen und Frankreich nichts verlieren. Also "deckelt" man die Ausgaben, lässt die Dinge bis 2006, wie sie sind, und bietet den Beitrittskandidaten ein "phasing in": Ab 2004 beginnen Direktzahlungen mit 25 Prozent. Sie sollen binnen 10 Jahren ihre volle Höhe erreichen. Eine differenzierte Sichtweise mit langfristigen Perspektiven hat da kaum Platz.

Wesentliche Aspekte gehen an der Tagespolitik vorbei: Die Welt geht mit Riesenschritten einer Lebensmittelknappheit entgegen, weil wir bald unter 2.000 Quadratmeter fruchtbaren Bodens je Bewohner der Erde sinken werden. Daher müsste man jeden Quadratmeter fruchtbaren Bodens produktionsbereit halten und jene beschäftigen, die das Handwerk beherrschen, Böden in Ungunstlagen zu bewirtschaften.

Konzepte für 30 Jahre

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auf der Jahreskonferenz der Europäischen Umwelträte (vom 16.- 18. 10. 2002 in Irland) kritische Töne zu hören waren. Thema war eine nachhaltige europäische Agrarpolitik. In den Diskussionen und in einem Positionspapier wurde vor allem die Visionslosigkeit der Europäischen Agrarpolitik aufgezeigt: Sie werde nur mehr von äußeren Sachzwängen getrieben.

In den Schlussdiskussionen wurde insbesondere die Erarbeitung einer Zukunftsvision für die nächsten 30 Jahre angeregt. Es gehe darum, wieder eine gesicherte, die Politik leitende Basis für die Agrarpolitik zu schaffen und und sie in eine nachhaltige Gesamtpolitik einzubetten.

Warum diese Unsicherheit und Skepsis, wo doch das "Europäische Agrarmodell" (EMA) vorliegt, eine Vision, der man auf den ersten Blick voll zustimmen kann? Dieses Leitbild vom 18. November 1997 lautet: "Nach Ansicht des Rates muss die Europäische Landwirtschaft als Wirtschaftsbereich multifunktional, nachhaltig und wettbewerbsfähig sein und sich über den gesamten europäischen Raum (einschließlich der benachteiligten Regionen und Berggebiete) verteilen. Sie muss in der Lage sein, die Landschaft zu pflegen, die Naturräume zu erhalten, einen wesentlichen Beitrag zur Vitalität des Ländlichen Raumes zu leisten und den Anliegen und Anforderungen der Verbraucher in Bezug auf die Qualität und Sicherheit der Lebensmittel, dem Umweltschutz und dem Tierschutz gerecht zu werden."

Bei genauer Analyse zeigt sich jedoch, dass dieses Bündel von gesellschaftlichen Vorgaben dem Sager vom Milch, Wolle und Fleisch gebenden Multifunktionsschwein entspricht, wenn die wesentlichen internationalen Rahmenbedingungen nicht radikal geändert werden.

Eine flächendeckende Land- und Forstwirtschaft, die das Wohlbefinden von Mensch, Tier, Pflanze und Boden im Auge hat, auf die Naturgrundlagen und Bedürfnisse kommender Generationen Rücksicht nimmt, kann heute auf den Weltmärkten nicht erfolgreich konkurrieren. Es steht nämlich im Wettbewerb mit Agrarsystemen, die vom kurzzeitigen Marktkalkül getrieben werden und daher alle die erwähnten Kosten externalisieren.

An diesem Umstand haben auch die jüngsten internationalen Vereinbarungen nichts geändert, etwa die Enttäuschung Johannesburg: Der Weltgipfel hat hehre Ziele der Menschheitsentwicklung formuliert und in Erinnerung gerufen, was schon alles beschlossen wurde. Konkrete Lösungsansätze wird man in dem wohlformulierten Dokument jedoch vergeblich suchen.

Im Bereich der Handelspolitik wird klar festgestellt, dass an der Doha-Deklaration der Welthandelsorganisation WTO nicht gerüttelt werde. Bezüglich der Umwelt- und Sozialabkommen im Verhältnis zur WTO müsse "die Integrität der beiden Instrumentenbereiche" bewahrt werden. Im Klartext: Umwelt- und Sozialabkommen werden im Wettbewerbssystem der WTO nach wie vor ausgeklammert.

Selbstbewusste US-Politik

Die USA sind in Agrarfragen sowohl eine Festung wie eine Angriffsmaschine: Im "Farm Security and Rural Investment Act of 2002" haben sie auf 421 Seiten ein Instrumentarium zusammengestellt, das den US-Farmern eine Palette von Hilfen gibt. Diese reichen von produktbezogenen Direkt- über "Gegenzyklische Zahlungen" (sie garantieren Mindestpreise) bis hin zu reichlichen Vermarktungshilfen.

Dazu kommen gut dotierte Regional- und Umweltmaßnahmen sowie Forschungsprogramme und Lebensmittelmarken für arme Bürger, die nur in US-Waren eingelöst werden können. Diese beachtliche Agrarrüstung auf Bundesebene wird noch ergänzt durch Maßnahmen der Bundesstaaten. Sie ermöglichen ausländische Waren bei Lager-, Transport- und Untersuchungskosten zu benachteiligen.

Die USA verfolgen also nach wie vor eine bewährte Strategie: Sie halten das Inlands- und das Exportpreisniveau auf etwa gleicher Höhe, wodurch Exporte nicht direkt subventioniert werden müssen. Und so können sie die Exportsubventionen der EU werbewirksam angreifen und die EU zu einer ähnlichen Strategie zwingen, die diese aber budgetär nicht durchhält.

Erklärtes Ziel der USA ist es, die gesamte Welt - insbesondere den kaufkräftigsten Markt, die EU - für die eigenen Agrarexporte zu öffnen.

Was sich nicht bewährt hat

Im Vergleich zum "Farm Security and Rural Investment Act" ist der "Midterm Report" der EU ein "Bescheidenheitspapier", das sich an Sachzwänge anpasst. Auch folgt es einem Denken, das an den fehlgeschlagenen Vorgänger des "Farm Security Act" anknüpft: Während sich die USA also eine reiche Palette an Förderungsmaßnahmen absegnen ließen, geht die EU unter dem Einfluss der neoliberalen Ökonomenschule wegen ihrer Budgetnöte und aus Angst vor der Osterweiterung den entgegengesetzten Weg. Die vorgeschlagene "entkoppelte Einkommenszahlung", die alle bisherigen Förderungen zusammenfassen soll, erinnert sehr an die in den USA fehlgeschlagenen Pauschalzahlungen. Gleiches gilt für das Herunterfahren der Preise auf das Weltmarktniveau, während die USA über die Hintertüre wieder de-facto-Preisgarantien eingeführt haben, die ihnen im Export einen massiven Vorteil und den Farmern Einkommenssicherheit gewähren.

Die im Milchbereich von der EU aufgelisteten Szenarien klammern ökologische und regionalpolitische Erwägungen aus. Indirekt wird so die Abschaffung der Milchquoten befürwortet, was zur Konzentration der Milchviehhaltung in Gunstlagen führen würde, also zu Massentierhaltung auf Kraftfutterbasis mit allen ökologischen und gesundheitspolitischen Konsequenzen.

Die Einführung des Farm Audits (Zertifizierung) ohne Berücksichtigung der Klein- und Mittelbetriebe kann dazu führen, dass die Kleinbetriebe de facto vom Markt ausgeschlossen werden oder sich an große Einheiten anschließen müssen.

Schwierige Integration

Durch die Osterweiterung erhöht sich die EU-Bevölkerung um mehr als ein Viertel, die Staatenfläche um rund ein Drittel und die landwirtschaftliche Fläche um fast die Hälfte. Dazu kommt die große Unterschiedlichkeit der Agrarsysteme: So haben etwa die Tschechen den Bauernstand radikal eliminiert und ein Leitbild des effizienten Farmings auf Großflächen - auch im Gemüse-, Obst- und Weinbau. Die Polen hingegen haben eine überwiegend kleinstrukturierte Subsistenzlandwirtschaft.

Wie wir mit dieser Vielfalt umgehen, wird entscheidend sein. Die vorgeschlagene Lösung des "phasing in" mit negativen Zukunftsaussichten nach 2007 ist eher einfältig. Wäre es nicht besser, eine volle Teilhabe der Bauern der Beitrittskandidatenländer anzustreben, die Förderungen und Leistungsabgeltungen aber nach dem lokalen Lohnniveau für Landarbeiter auszurichten? Damit wäre der lokale soziale Friede gewahrt, ein Schub zugunsten der benachteiligten Landarbeiter ausgelöst und EU-Budgetmittel gespart. Da die EU schon einmal ein ähnliches System, das auf unterschiedliche Kaufkraft Rücksicht nahm, administrierte, sollte dies machbar sein. Befristete regionale Entwicklungsprogramme könnten diese Strategie ergänzen.

Und welche Vision bietet sich an? Wenn die Welthandels- und Weltfinanzordnung so gestaltet wird, dass sie nicht alles gleichschaltet, sondern für einen gerechten Wettbewerb unterschiedlicher Sozialmodelle Spielraum lässt, dann wird es zu einer positiven sozialen Weiterentwicklung, vor allem auch der Land- und Forstwirtschaft kommen.

Den "Garten Europa" zukunftsfähig zu bebauen, ist eine verteidigbare Position, wenn sie fundiert und mit persönlicher Überzeugung vertreten wird. Dies hat der Autor bei Gesprächen mit Hardlinern der Cairns-Gruppe erfahren. Der gegenwärtige "Anpassungsslalom" der EU jedoch überzeugt kaum.

Der Autor ist Honorarprofessor an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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