(K)eine Ruhephase nach der Erweiterung?

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VP-Spitzenkandidatin Ursula Stenzel debattiert mit SP-Listenzweiter Maria Berger die Streitpunkte zwischen Christ- und Sozialdemokraten im EU-Parlament.

Die Furche: Wie soll die EU-Politik der wachsenden Arbeitslosigkeit in Europa Herr werden?

Ursula Stenzel: Die ÖVP ist auch auf europäischer Ebene eine Partei, die nach dem reellen Motto vorgeht: Wirtschaft schafft Arbeit. Wir machen Politik, die darauf ausgerichtet ist, die Wirtschaft zu stärken, vor allem durch gezielte Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen. Soziale Rechte in einen Verfassungstext zu schreiben, so wie das die Sozialdemokraten fordern, ist der falsche Weg. Ein soziales Europa braucht keinen Zentralismus, keinen sozialistischen Dirigismus, sondern eine starke Wirtschaft.

Maria Berger: Trotz Liberalisierung und Begünstigungen für die Unternehmen ist die Konjunktur nicht wirklich angesprungen. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin sehr hoch. Wir müssen daher von europäischer Seite her mehr Investitionen - z.B. in die öffentliche Infrastruktur - zur Verfügung stellen. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, die Bahnverbindung Prag-Linz in das Europäische Verkehrsnetz hineinzubringen - weil es eine wichtige Verkehrsverbindung ist, weil es Arbeitsplätze schafft, weil öffentliche Investitionen getätigt werden. Dieses Projekt haben wir über das Europäische Parlament hineingebracht, die österreichische Bundesregierung hat da versagt.

Die Furche: Ein weiterer Zankapfel zwischen Christ- und Sozialdemokraten im Europaparlament ist die Innen- und Sicherheitspolitik der EU.

Stenzel: Wir wollen bei Fragen der inneren Sicherheit, bei Fragen der illegalen Migration und des Asylrechts bewusst restriktiver vorgehen als unsere sozialdemokratischen Kollegen im Europaparlament, die hier immer einer Öffnung das Wort geredet haben. Damit liegen wir auf einer Linie mit den Beschlüssen, die im EU-Ministerrat gefallen sind - unterstützt von Innenministern sozialdemokratischer Herkunft. Ob in Fragen der Familienzusammenführung oder in Fragen der sicheren Drittstaaten - hier haben wir ganz stark den Sicherheitsaspekt für die Bürger herausgearbeitet.

Berger: Die Sicherheit ist uns genauso ein Anliegen. Das darf aber nicht heißen, dass sich die EU nicht an internationale Verpflichtungen hält: Das Recht auf Asyl muss gewährleistet bleiben, so wie der Grundsatz, dass jedem Flüchtling ein faires Verfahren zusteht. Den Familienbegriff stellt die Volkspartei in Sonntagsreden gerne voran, aber wenn man Familie ernst nimmt, dann gilt das Recht auf Familie auch für Flüchtlinge. Das gilt auch für die Familienzusammenführung von Einwanderern - man kann nicht sagen: Wir sind für den Schutz der Familie, aber nicht bei Einwanderern.

Die Furche: Was sehen Sie als die nächsten Erweiterungsschritte an?

Stenzel: Nach solchen Riesenschritten braucht die EU jetzt einmal Zeit, diese Entwicklung zu verdauen - daher bin ich für eine Ruhephase. Die nächste Erweiterung muss die mit Rumänien, Bulgarien, Kroatien sein, wobei ich bezweifle, dass das 2007 machbar sein wird. Danach sollte sich die EU nicht in einen ständigen Erweiterungsrausch hineinmanövrieren. Das gilt für alle Länder, ob Moldawien oder Ukraine... Hier gilt die Politik einer guten Nachbarschaft, die keine Vollmitgliedschaft einschließt, aber Hilfestellungen anbietet, um diesen Raum zu stabilisieren.

Berger: Auch bei uns ist die Konsolidierung der EU das primäre Ziel. Nur sehe ich darin keine Ruhephase. Mit den neuen Ländern haben wir neue Probleme dazubekommen, und die müssen sehr aktiv aufgearbeitet werden. Die soziale Frage stellt sich im erweiterten Europa viel stärker als je zuvor: bei der Bewältigung der Armut, der Arbeitslosigkeit...

Die Furche: Wie stehen Sie beide zu einem EU-Beitritt der Türkei?

Stenzel: Man muss die grundsätzliche Frage stellen: Ist die Europäische Union in der Lage, ein Land in der Größenordnung der Türkei und in dieser wirtschaftlichen Situation zu verkraften. Diese Frage wurde bisher nicht gestellt, man hat immer nur das politische Kriterium herangezogen. Ist die Türkei ein Faktor, der die EU sprengt und überdehnt? Ich glaube: Ja. Das muss man sachlich begründen, und man muss der Türkei auch eine Alternative zum Vollbeitritt anbieten.

Die Furche: Hat die EU mit den früheren Zugeständnissen an die Türkei einen Fehler gemacht?

Stenzel: Ja! Die christliche, die islamische, die jüdische Kultur sind natürlich für die kulturelle Entwicklung Europas prägend gewesen. Aber man muss sich bei der Türkei die Frage nach den geografischen und systemischen Grenzen der EU stellen. Das wurde ausgespart und hat bei den Türken die Illusion geweckt, ein Vollbeitritt sei möglich. Bevor es zu spät ist, sollte man das jedoch hinterfragen.

Berger: Einzelne Politiker, viele Generationen vor uns, haben natürlich Versprechungen gemacht. Und man kann nicht sagen, dass diese EU-Perspektive nicht gefruchtet hat. Es hat sich in der Türkei ja einiges, was Menschenrechte, was Demokratie betrifft, gebessert - sicher immer noch zuwenig. Deswegen ist für mich ein Türkei-Beitritt derzeit auch nicht vorstellbar.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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