Keine Tabus bei Staatsaufgaben

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Der Staat hat erst dort auf den Plan zu treten, wo Bürger und Privatvereinigungen an die Grenzen ihrer Ordnungs- und Regelungskompetenz stoßen.

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Der Staat hat erst dort auf den Plan zu treten, wo Bürger und Privatvereinigungen an die Grenzen ihrer Ordnungs- und Regelungskompetenz stoßen.

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Der moderne Staat erklärt sich nahezu für alles zuständig, und keine verfassungsrechtliche Schranke hinderte ihn daran, ständig neue Staatsaufgaben zu akquirieren.

Dieser Umstand wurde in den vergangenen Jahrzehnten von den Politikern extensiv genutzt, um ihre Popularität zu steigern. Sie versprachen den Bürgern, der Staat werde mehr oder weniger alle ihre großen und kleinen Probleme lösen. Der Staat wurde von den tonangebenden politischen Kräften immer mehr als Mittel zur Durchsetzung ihrer weltanschaulichen Ziele instrumentalisiert.

Der liberale Staat beschränkte sich zunächst darauf, die Rahmenbedingungen für ein System gesellschaftlicher Selbststeuerung zu schaffen und zu garantieren. Längst ist aber dieses Modell des interventionistischen Staates überholt. Der Staat ist inzwischen zum umfassenden Motor der Verteilung, der Steuerung und der Systembeeinflussung geworden. Dies offenbart sich beispielsweise am Bestreben, der modernen Risikogesellschaft ein entsprechend systemstabilisierendes Programm staatlicher Risikovorsorge gegenüberzustellen. Daneben war die Entwicklung durch ein Streben nach zunehmender Regelungsdichte gekennzeichnet. Dafür waren einerseits die immer komplexer werdenden Regelungsbereiche, andererseits aber auch ein begründetes oder nicht begründetes Mißtrauen gegenüber den Verwaltungsorganen maßgebend.

Grenzen der Leistungsfähigkeit des Staates Als Kehrseite der Medaille stieg denn auch die "Staatsquote" kontinuierlich an, was wiederum das Problem der Leistungsfähigkeit des Staates immer drängender werden läßt. Heute stehen wir nämlich vor der Situation, daß die Bewältigung der längst sogar für ausgewiesene Experten nicht mehr überschaubaren Normenflut nicht zuletzt auch wegen der hohen staatlichen und gesellschaftlichen Kosten immer schwieriger wird, und auch der Staat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt oder diese bereits durchstoßen hat. Eine Folge dieser nicht mehr bewältigbaren Situation ist etwa das Auftreten von Vollzugsdefiziten in den verschiedensten Bereichen, in denen Normen nur schleppend oder unzulänglich vollzogen werden, deren Verbindlichkeit aber in Wahrheit nicht mehr allzu ernst genommen wird.

Die Legitimität des Gemeinwesens hängt aber nicht allein von seinen demokratischen Strukturen ab, sondern mindestens ebenso von seinen Leistungen. Wenn der öffentliche Sektor von der Politik versprochene Leistungen nicht erbringt oder nicht erbringen kann, verliert das politische System an Legitimität. Staatliche Leistungsfähigkeit ist eine entscheidende Voraussetzung demokratischer Stabilität.

Ziel aller Bemühungen, die unter dem Begriff "Verwaltungsreform" zusammengefaßt werden, war und ist es, die volle Leistungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen, zu erhalten und wenn möglich zu verbessern. Es ist unbestritten, daß gerade Österreich in diesem Bereich ein großes Defizit aufweist.

Wiederholt wurde versucht, diese allgemein erkannten Fehlentwicklungen durch Verwaltungsreformen in den Griff zu bekommen. Alle diese Bemühungen mußten scheitern, weil sie entweder halbherzig in Angriff genommen wurden oder nicht den nötigen Rückhalt der politischen Führung besaßen. Die große Koalition hat es seit 1987 lediglich zustandegebracht, für eine sogenannte Verwaltungsreform (Projekt "Verwaltungsmanagement") mehr als 100 Millionen Schilling zu verschwenden, ohne daß dadurch ein nennenswerter Effekt erzielt wurde. Es wurde damit eine Chance verspielt, rechtzeitig eine Weichenstellung vorzunehmen.

Staatsaufgaben neu definieren Ausgehend von der Überlegung, daß der Bürger ein Recht auf einen funktionierenden, modernen, bürgerorientierten Staat hat, der den Anforderungen der Gegenwart und den Erwartungen der Zukunft angepaßt werden muß, sind die Staatsaufgaben neu zu definieren. Es liegt auf der Hand, daß es sich dabei um eine Aufgabe handelt, die niemals abgeschlossen sein sondern - gleich der Arbeit des Sysiphus - permanente Anstrengungen erfordern wird.

Die Grundidee der freiheitlichen Politik ist, daß zunächst die Bürgerinnen und Bürger selbst oder auf Privatautonomie beruhende Vereinigungen der Bürgerinnen und Bürger deren Angelegenheiten zu ordnen haben, und nicht der "Staat" oder eine anonyme Institution den Bürger bevormunden soll. Erst dann, wenn die Bürger und die auf Privatautonomie beruhenden Institutionen an die Grenzen ihrer Ordnungs- und Regelungskompetenz gelangt sind, soll die Aufgabe des Staates einsetzen.

Dieses Konzept geht von der Vorstellung des mündigen Bürgers aus, der bereit ist, die Verantwortung für sein Leben selbst zu tragen und darüber hinaus auch bereit ist, Veranwortung für andere zu übernehmen. Das bisher in Österreich vorherrschende Konzept der Bevormundung geht im Gegensatz dazu davon aus, daß die Bürgerinnen und Bürger dazu nicht bereit sind oder dazu sogar nicht einmal befähigt sind.

Reduktion der Staatsaufgaben Reduzierung staatlicher Aufgaben kann allerdings nicht nach rein quantitativen Maßstäben vorgenommen werden. Insbesondere führt eine rein monetär-fiskalische Betrachtungsweise, die allein das Vermeiden von Verwaltungskosten zum Ziele hat, nicht weiter. Es bedarf vielmehr möglichst materieller Kriterien, die auf den Grundsätzen von Subsidiarität, Rationalität, Transparenz sowie schutzgüterorientierter Interessenabwägung basieren. An Hand dieser Kriterien ist die Frage zu entscheiden, welcher - öffentlich oder private - Rechtsträger die betreffende Aufgabe besser erfüllen kann. Im System des sozialen Rechtsstaates gibt es prinzipiell keinen qualitativen Abgrenzungsmaßstab des Inhalts, daß bestimmte Aufgaben dem Privaten bzw. der Gesellschaft und andere Aufgaben definitiv dem Staat vorbehalten sind. Dies gilt nicht einmal für die herkömmlich als klassische Hoheitsaufgaben angesehenen Bereiche. In diesem Sinne gilt heute anerkanntermaßen das Prinzip der "offenen Staatsaufgaben", das heißt der demokratische Gesetzgeber - und somit die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger - entscheidet prinzipiell selbst nach eigenem Ermessen darüber, welche Aufgaben und gegebenenfalls in welcher Form diese durch den Staat wahrgenommen werden sollen.

Eine breite Diskussion über diese Fragen ist bereits überfällig.

Bürgerorientierte Kompetenzverteilung Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt in einem bundesstaatlich verfaßten Gemeinwesen wie Österreich ist die sachgerechte Aufteilung der Kompetenzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften. Die Diskussion um eine umfassende Bundesstaatsreform, die von allen maßgebenden Gruppen zwar gefordert wird, zu deren Verwirklichung bisher aber wenig beigetragen wurde, zeigt deutlich, daß Kompetenzfragen auch Machtfragen sind. Der Bürger will jedoch abgerundete und für seine Probleme maßgeschneiderte Lösungen, die möglichst auf einer verständlichen verfassungsrechtlichen Basis beruhen. Daß konkrete Problemlösungen nur zu oft im Gestrüpp kompetenzrechtlicher Regelungen ersticken, führt nicht selten zu Forderungen nach umfassenden Zentralisierungen. Die Unübersichtlichkeit der Kompetenzordnung wird durch das System der mittelbaren Bundesverwaltung und die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern noch verstärkt. Auf Dauer wird eine Kompetenzreform aber auch für die Akzeptanz des bundesstaatlichen Systems bei den Bürgerinnen und Bürgern unabdingbar sein.

Der Autor ist gf. Klubobmann der FPÖ.

Zum Thema: Ein Relaunch für die Republik? (II) "Welche Aufgaben soll der Staat übernehmen, was kann er getrost anderen überlassen?": Mit diesen Fragen beschäftigte sich Herbert Kohlmaier in einem Beitrag für die Furche (Nr. 2/1999, S. 2, 3). Sein Fazit: Ein Relaunch - also eine umfassende Neugestaltung, wörtlich das Lancieren einer neuen Vorstellung - der Republik sei überfällig. Auch wenn Kohlmaier den Politikern einen solchen Kraftakt nicht zuzutrauen scheint, ist mit dieser Forderung doch (jedenfalls auch) die Politik angesprochen. Die Furche bat also die Klubobleute der fünf Parlamentsparteien um ihre Überlegungen zu den von Kohlmaier angesprochenen Fragen. Diesmal lesen Sie Schwarz-Blau, nächste Woche blinkt die Ampel - rein zufällig allerdings, wie wir betonen möchten. RM

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