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30 Jahre Rote Khmer in Kambodscha. 30 Jahre Ho Chi Minh in Vietnam.

Ganz verstehen werden wir das Geschehene wohl nie können", sagt der kambodschanische Filmemacher Rithy Panh. "Aber das Schlimmste für uns ist die Straflosigkeit". 30 Jahre ist es jetzt her, seit die Roten Khmer in der Hauptstadt Phnom Penh einmarschierten und damit die Kontrolle über ganz Kambodscha übernahmen. Aus dem agrarkommunistischen Paradies, das sie angeblich errichten wollten, wurden die Killing Fields, die Felder des Tötens. Die Städte wurden entleert und die Gebildeten mit besonderer Härte verfolgt. Mindestens 1,7 der damals sieben Millionen Kambodschaner kamen infolge von Gewalt, Hunger und Krankheiten ums Leben. Auch Rithy Panh, damals noch ein Jugendlicher, verlor seine engsten Familienangehörigen.

Aber wird es je ein Tribunal geben? Zum 30. Jahrestag der Machtübernahme der Roten Khmer in diesen Wochen besteht zumindest die Hoffnung darauf. Im Oktober 2004 ratifizierte Kambodscha ein im Jahr zuvor geschlossenes Abkommen mit der uno, demzufolge ein mit internationalen und kambodschanischen Richtern besetztes Tribunal abgehalten werden soll. An die 40 Millionen Dollar an finanziellen Zusagen haben die Vereinten Nationen für das Tribunal erhalten. Doch noch ist kein Datum fixiert.

Noch ist offen, wer von den Führern der Roten Khmer zur Verantwortung gezogen wird. Der Chef der Roten Khmer, Pol Pot, starb 1998 im Dschungel, andere Führer wie der ehemalige Präsident Khieu Samphan handelten sich Anfang der 1990er Jahre eine Amnestie aus und leben heute frei im Westen des Landes. In Haft sitzen nur Ta Mok, der "Henker", wie er genannt wurde, und Deuch, der einstige Leiter des Folter- und Vernichtungszentrums Tuol Sleng.

"Ein Tribunal würde den Kambodschanern einen Teil ihrer Geschichte zurückgeben", sagt Ben Kiernan, Gründer und Leiter des Genozid-Projekts an der us-amerikanischen Yale-Universität. Das Projekt hat tausende Dokumente über die Herrschaft der Khmers Rouges zusammengetragen und biografische Daten von knapp 20.000 Khmers Rouges und deren Opfern sowie Informationen über Massengräber gesammelt. Den Studien Kiernans zufolge sind die Kambodschaner mit ihrer eigenen Geschichte wenig vertraut. Der Genozid ist nicht Teil der Lehrpläne an Schulen und Universitäten. Was die Jugend erfährt - mehr als 50 Prozent der heute 13 Millionen Kambodschaner sind unter 15 Jahre alt -, das kommt aus den Erzählungen ihrer Eltern. Wie diese ihre Traumata bewältigen, ist nicht bekannt.

Mafia hat Khmer abgelöst

In Kambodscha, wo 80 Prozent der Bevölkerung auf dem Land leben und die Hälfte der Menschen weder lesen noch schreiben kann, sind die meisten auch viel zu sehr allein mit dem Überleben beschäftigt. Die Zahl der Landlosen steigt ständig und liegt bereits bei knapp 20 Prozent. Manche haben nie Land besessen, manche haben es infolge von Verschuldung verkaufen müssen. Immer mehr Subsistenzbauern aber werden von einer im Umfeld der kleinen politischen, ökonomischen und militärischen Elite angesiedelten Mafia dazu gedrängt, ihr Land zu veräußern. Das Land wird gebraucht für Hotelanlagen beim Tempelkomplex von Angkor, für Kasinos und Golfplätze an der thailändischen Grenze, für Exportwirtschaft auf Basis von Latifundien.

Auf dem vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (undp) jährlich erstellten Index für menschliche Entwicklung, der neben dem Bruttosozialprodukt auch Lebenserwartung und Bildungsniveau miteinbezieht, lag Kambodscha 2004 auf Platz 130 von 151 ausgewerteten Staaten. 18 Plätze hinter dem Nachbarn Vietnam, der seit der Einführung der Doi Moi, der wirtschaftlichen Erneuerungspolitik, im Jahre 1986 große Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gemacht hat und eine hohe Alphabetisierungsrate aufweisen kann. In den Korruptionsstatistiken liegt Kambodscha hingegen stets klar vor Vietnam.

Auch das politische Klima hat sich erneut getrübt: Ein Jahr lang verfügte Kambodscha nach den Parlamentswahlen vom Juni 2003 infolge parteipolitischer Rivalitäten weder über eine repräsentative Regierung noch über ein funktionierendes Parlament. Schließlich einigten sich die stimmenstärkste Volkspartei (cpp) und die Royalisten (Funcinpec) auf eine weitere Koalition.

Opposition auf der Flucht

Letzten Februar aber wurden drei Mitglieder der oppositionellen "Sam-Rainsy-Partei", darunter Parteichef Rainsy, wegen angeblicher Verbrechen ihrer parlamentarischen Immunität beraubt. Rainsy gelang die Flucht ins Ausland, ein Kollege tauchte unter, einer wurde verhaftet. Für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (hrw) stellt dies eine ernste Gefahr für den in den Friedensabkommen von 1991 und der Verfassung von 1993 verankerten Pluralismus dar.

"Premier Hun Sen hat sich dem Pluralismus nie besonders verpflichtet gefühlt", erklärte Brad Adams, der Asiendirektor von hrw, über den in Asien am längsten regierenden Premier. Einstiges Mitglied der Roten Khmer, floh Hun Sen 1977 vor einer inneren Säuberung nach Vietnam und wurde von den Vietnamesen, die 1979 in Kambodscha einmarschierten und die Roten Khmer stürzten, 1985 als Premier eingesetzt. Nur einmal hat er seither eine Ko-Premierschaft mit Funcinpec-Chef Prinz Ranariddh hinnehmen müssen. "Die internationalen Geber haben sich der Komplizenschaft schuldig gemacht", sagt dazu ein Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation in Kambodscha. Schließlich kommt mehr als die Hälfte des Staatsbudgets aus Entwicklungsgeldern. "Aber immerhin", ergänzt der Mann, "noch haben wir so etwas wie Demokratie".

Vietnam bleibt rot und orange

Im benachbarten Vietnam zeigt die Kommunistische Partei dagegen bis heute keine Anzeichen dafür, dass sie in absehbarer Zeit ein pluralistisches System zulassen wird. Wirtschaftlich hat sich das Land geöffnet, die Bewegungsfreiheit für die Bürgerinnen und Bürger ist gewachsen, doch Dissidenten werden gezielt verfolgt. Zumal die Unterdrückung der Montagnards, der christianisierten ethnischen Minderheiten in den an Kambodscha und Laos grenzenden Bergregionen, in den vergangenen Jahren die internationalen Menschenrechtsorganisationen beschäftigt hat.

Doch dieser Tage richtet sich der offizielle Blick auf den 30. April, jenen Tag, an dem vor 30 Jahren - nur 13 Tage nach der Machtübernahme der Roten Khmer in Kambodscha - die Kommunisten Saigon einnahmen und damit die Herrschaft über ganz Vietnam an sich rissen. Bereits im März wurde mit einer Militärparade und Elefantenaufmarsch der Sieg bei Buon Ma Thuot im zentralen Hochland gefeiert und des Staatsgründers Ho Chi Minh gedacht. Nach Buon Ma Thuot fielen in rascher Folge andere Städte wie Hue und Danang und schließlich, am 30. April 1975 Saigon, das später offiziell in Ho Chi Minh-Stadt umbenannt wurde.

Mit dem Fall Saigons endete der im Westen als Vietnam-Krieg und in Vietnam als der Amerikanische Krieg bezeichnete Konflikt. Doch obwohl Washington und Hanoi heute wieder diplomatische Beziehungen und enge Wirtschaftskontakte haben, ist das Erbe des Krieges nicht überwunden. Drei Millionen Vietnamesen sollen an den Folgen von "Agent Orange" leiden, das die usa als Entlaubungsmittel einsetzten. Während man die amerikanischen GIs für Gesundheitsschäden infolge von Agent Orange entschädigte, haben die Vietnamesen keine Kompensation erhalten. Die erste, im Vorjahr von einer vietnamesischen Opfervereinigung eingebrachte Klage gegen us-Firmen, die das in Agent Orange enthaltene Dioxin herstellten, wurde vor kurzem gerichtlich abgewiesen: Die Firmen, hieß es zur Begründung, hätten das Dioxin zwar erzeugt, für dessen Einsatz im Krieg aber seien sie nicht verantwortlich gewesen.

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