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Kinder als Sklaven & Prostituierte

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DIEFURCHE: Offiziell ist Kinderarbeit in fast allen Ländern geächtet worden. Die meisten Staaten haben die Kinderrechtskonvention der Vzreinten Nationen unterzeichnet, und doch hat sich wenig geändert Die Zahl derer, die im harten Uberlebenskampf ihre Kindheit opfern müssen, nimmt jedenfalls ständig zu. Ist das Ziel der ILO, die Kinderarbeit auszurotten, überhaupt realistisch?

heribert meier: Heute unterscheiden wir zwischen Nah- und Fernzielen. Wir wissen, daß wir die Welt nicht von heute auf morgen ändern und die Kinderarbeit ganz abschaffen können. Vorstellungen dieser Art sind unrealistisch. Das ist ein Fernziel. Mit unserem derzeitigen Programm, das bis zum Jahr 2002 läuft, versuchen wir, die Lage der Kleinen in jenen Bereichen zu verbessern, wo sie heute in Schuldknechtschaft leben oder auch gefährliche Arbeiten verrichten müssen. Ich meine damit natürlich nicht die Landwirtschaft oder die Familienbetriebe. Aber dort, wo Kinder arbeiten, müssen jedenfalls die Bedingungen viel besser werden.

DIEFURCHE: Wieviele Kinder leben unter solch schwierigen, oft menschenunwürdigen Umständen' meier: Wir schätzen, daß davon heute 100 bis 200 Millionen Kinder in der Welt betroffen werden. Es gibt verschiedene internationale Hilfsprogramme. Die Kinderhilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNICEF) setzt sich besonders dafür ein-, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder zu schützen. Unsere Organisation hat nach dem Kinderweltgipfel von 1990 in New York die Frage der Kinderarbeit wieder aufgenommen. Wir verwenden hierfür jährlich zehn Millionen DM. Wir versuchen, das Gewissen der Welt wachzurütteln. Bei uns gibt es dafür eine Sonderabteilung, deren Vorsitz ich führe. Wir sind heute in vierzehn Zielländern tätig. Es geht heute vor allem darum, die öffentliche Meinung in den betreffenden Ländern über diese Zustände aufzuklären. Offiziell ist die Kinderarbeit in den meisten Staaten zwar verboten, aber wer hält sich schon daran. Bis vor einigen Jahren haben manche Regierungen einfach abgestritten, daß es in ihren Ländern Kinderarbeit gebe und auf die bestehenden Gesetze verwiesen. Die Wahrheit ist, daß Hunderttausende Kinder, die unter skandalösen Umständen eingesperrt werden und bis zu zehn Stunden pro Tag Zwangsarbeit leisten müssen. Hier versucht unsere Organisation von der rechtlichen Seite einzugreifen. Dafür haben

Die UNO steht im Kampf gegen die Ausbeutung von Kindern. Hier ein Gespräch mit dem stv. Generalsekretär der Internationalen Arbeitsorganisation/ILO.

DIEFURCHE: Trifft es zu, daß manche Kinder zur ^Sklavenarbeit” gezwungen werden, um die Schulden ihrer Familien abzutragen' Man hört, daß Eltern in Indien ihre Kinder gegen einen Kredit beleihen und sie zum Beispiel einem Teppichhändler zur Arbeit im Betrieb zur Verfügung stellen meier: Das stimmt leider. Und diese armen Wesen werden dann weiterverkauft, zum Beispiel an Kleinbetriebe von Teppichknüpfereien. Das ist nichts anderes als Zwangsarbeit, aus der man dann nicht wieder herauskommt. Hier besteht eine zwingende Schuldabhängigkeit; denn für diese Kinder ist bereits etwas im voraus bezahlt worden, darin besteht die Abhängigkeit. Inzwischen bemühen nicht nur wir uns, sondern auch zahlreiche private Organisationen darum, auf Lokalebene hier Abhilfe zu schaffen, aber oft hapert es dann am Geld. Auch die Hilfsprogramme der ILO laufen eher über diese nicht-staatlichen Organisationen als über Begierungsstellen. Natürlich arbeiten wir mit den nationalen Regierungen dieser Länder zusammen und tun natürlich nichts hinter ihrem Rücken. Im übrigen erreichen kleinere Hilfsorganisationen in der Regel mehr, als eine Zentralregierung.

Es gibt auch schon Erfolgsmeldungen. In Indien und Nepal hat sich die Lage etwas gebessert, wie ich kürzlich auf einer Reise feststellen konnte. Man verwendet ein Teppichsiegel, mit dem der Produzent garantiert, daß seine Waren nicht von Kindern hergestellt wurden. Das hilft uns, die

Ein Teppichsiegel garantiert, daß die Ware nicht von Kindern hergestellt wurde europäischen und nordamerikanischen Verbraucher auf Mißbräuche der Kinderarbeit aufmerksam zu machen. Die Gesetzgebung allein reicht hier, wie erwähnt, offenbar nicht aus.

DIEFURCHE: Können eigentlich nur Familien in wohlhabenden Ländern ihren Nachkommen eine richtige Kindheit ermöglichen' meier: Das ist eine schwierige Frage, die ich nur aufgrund meiner eigenen Erfahrungen beantworten kann. Ich habe sehr viel in Schwarzafrika gearbeitet und erlebt, daß die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern auch nicht viel anders sind als in den reichen Ländern. Überall ist es die nackte Not, die Eltern dazu treibt, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken. In Bangladesch, Pakistan und Indien werden die Kinder von ihren Eltern entweder „verkauft”, oder sie werden in den Dörfern buchstäblich gestohlen und den Händlern ausgeliefert.

DIEFURCHE: Ein ganz besonders trauriges Kapitel ist die Kinderprostitution meier: ... ein sehr großes Problem. Wir stehen mit der thailändischen Regierung in Verhandlungen, die inzwischen eine Grundsatzerklärung abgegeben hat. Danach wird das Schulalter, die allgemeine Schulpflicht, schrittweise von dreizehn auf fünfzehn Jahre hinaufgesetzt, um die Kinder besser vor den Risiken der Prostitution zu schützen. Das ist eine der wenigen Maßnahmen, die man durchsetzen kann. Wir haben auch nachdrücklich verlangt, daß Reiseagenturen, die für Sextourismus Propaganda machen, in ihren Heimatländern rechtlich belangt werden sollen. Auf nationaler Ebene ist dieser Beschluß bereits in Australien und Schweden aufgegriffen worden.

DIKFurchK: Das würde bedeuten, daß Touristen, die sich an Kindern vergehen, auch in ihren Heimatländern dafür belangt werden können' meier: Ja, umso mehr, als sich die Kinderprostitution in diesen Ländern nicht wirksam bekämpfen läßt.

DIEFURCHE: Herrschen im katholischen Manila und im buddhistischen Bangkok ähnliche Zustände, die Familien dazu bringen, ihre Kinder in dieser Weise mißhandeln zu lassen' meier: Das zeigt wieder einmal, daß das Geld mehr zählt als die Religion. Da fragt man sich schon nach den Wertvorstellungen in der menschlichen Gesellschaft. In der Regel ist hier das organisierte Verbrechen am Werk, das mit Mafiamethoden enorme Profite herausschlägt. Sie erwähnten die Philippinen. Dort waren zu Zeiten des Diktators Marcos sogar Regierungskreise in die Prostitution verwickelt.

dieFurche: Auf dem „ UN-Sozial- Gegengipfel” in Kopenhagen wurde behauptet, viele Entwicklungsländer würden zwar höhere Ausbildungen umsonst anbieten und die modernsten Krankenhäuser finanzieren, aber Grundausbildung und Gesundheitswesen vernachlässigen' Trifft das zu? meier: Ja, im allgemeinen stimmt das wohl. Das kann ich bejahen. Auch hier sind lokale Maßnahmen sinnvoller als eine Planung auf hoher Ebene.

Dazu kam früher besonders in den Jahren des Kalten Krieges, daß man aus Prestigegründen in den armen Ländern große Konferenzhallen errichtete, aber dann kein Geld für Schulbauten vorhanden war. Heute ist das schon anders geworden. Man ist sich nicht erst durch den Sozialgipfel von Kopenhagen der sozialen Mißstände in der Kinderbeschäftigung bewußt geworden. Unsere Organisation, die ILO, hat schon lange auf die Bedeutung der Beschäftigung auch in dieser Frage hingewiesen. Nach unserer Meinung können die sozialen Probleme auch der Dritten Welt nur in einer vollbeschäftigten Wirtschaft gelöst werden.

dieFurche: Kann auf solch einem UNO- Gipfel wie in Kopenhagen wirklich viel erreicht werden' meier: Nein, natürlich nicht. Der Verlauf dieser Mammutkonferenzen, sei es der Umweltgipfel in Rio, die Menschenrechtskonferenz in Wien oder der Revölkerungsgipfel von Kairo, zeigt das nur zu deutlich. Solche Probleme lassen sich nicht in zwei Tagen lösen. Da können sich höchstens Staatsoberhäupter aussprechen und die öffentliche Meinung mobilisieren. Eigentlich sollte das die Rolle der Generalversammlung der Verein -ten Nationen sein, denen ja alle Länder ohnehin angehören. Nun sind aber die Kompetenzen innerhalb der Regierungen unter verschiedenen Ministerien aufgeteilt. Die Vereinten Nationen fallen in den Bereich der Außenministerien und Diplomaten, die mit Kinderarbeit meist überhaupt nichts anzufangen wissen und auf politische Weisungen warten. Nun wird aber Weltaußenpolitik immer mehr zu Weltinnenpolitik. Die meisten nationalen und selbst lokalen Probleme werden auch zu Weltproblemen. Wir in der ILO drängen deshalb darauf, daß einmal im Jahr gemeinsam Sitzungen von Finanz- und Sozialmini-stern stattfinden, um zum Beispiel über die Arbeitslosigkeit zu sprechen. Aber auch das Problem der Kinderarbeit kann heute nicht mehr nur von einem einzigen Ministerium behandelt werden.

Mit Ur. Heribert Meier, dem stellvertretenden Generaldirektor der ILO, sprach Felizitas von Schönborn.

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