Koalition: Bangen vor dem heißen Herbst

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Die große Koalition hat ihr erstes Halbjahr friktionsfrei überstanden. Nach den jüngsten Reibereien ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass es ab Herbst zu keinen groben Verwerfungen kommen wird. Gefährdet dabei vor allem: Bundeskanzler Werner Faymann durch seine SPÖ.

Die Gefahr für an der Regierung beteiligte Parteien, in Richtung Neuwahlen zu schlittern, kennt einen verbalen Gradmesser: Den Appell. Seit den Zeiten des Altkanzlers Fred Sinowatz erfreut sich dieser Aufruf zur Stärkung von Teamgeist und konstruktiver Arbeitsethik immer dann steigender Beliebtheit, je näher das Wahldatum rückte. So wurde von Jänner bis Juli 2008 (ehe es also Vizekanzler Molterer mit der SPÖ „reichte“), ein rundes Dutzend Mal zwischen SPÖ und ÖVP hin und her appelliert.

Und heute? Monatelang war sehr zur Ungeduld des Boulevards gekuschelt worden. So geschmiert lief die politische Eintracht, dass man einander nach Wahlen Trost (ÖVP an SPÖ) und Anerkennung (SPÖ an ÖVP) spendete. Und was den „Appell“ betrifft: Seit dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen im November war das Wort aus dem Jargon politischer Wirklichkeit gestrichen. War, denn dieser Zustand endete vergangenen Samstag. Da rückte Bundeskanzler Faymann in seinem Leibblatt Österreich aus, um dem erfolgsstrotzenden Koalitionspartner ÖVP zur Ordnung zu rufen: „Ja, das ist ein Appell, künftig gemeinsam ...“

Es steht also bedenklich um die Harmonie in der Regierung – und das trotz gemeinsamer Auftritte von Werner Faymann und Josef Pröll und einträchtigem Geplauder beim Sommerfest der Kleinen Zeitung am Pogusch. Trotzdem: „Es knirscht es im Gebälk“, wie ein Kommentator treffend vermerkte – und wenn schon nicht der Putz herunterfällt, so zeigen sich doch hinter der schönen Fassade Risse in der Tiefe der Parteienfelder.

Da stehen Verbalattacken der ÖVP (Amon, Kaltenegger, Kopf) gegen Unterrichtsministerin Claudia Schmied an der Tagesordnung. Da geißelt der Kanzler den „Machtrausch“ seines Vizes. Da brüllt der steierische SPÖ-Landeshauptmann Voves seinen Zorn über den Reichtum der Reichen und die klassenkämpferische Laschheit der Regierungs-SPÖ immer vehementer Richtung Wien. Da wirft schließlich der Vizekanzler der SPÖ ihr Krankenkassensanierungspaket zurück und sagt Regierungswerbekampagnen eigenmächtig ab.

Doch dabei wird es nach dem Sommer nicht bleiben – vor allem weil zwei weitere Wahlniederlagen der SPÖ in Oberösterreich (siehe unten) und in Vorarlberg drohen. Zusätzlich türmt sich ab September ein Berg von Problemen vor der Koalition. Einerseits die inhaltlichen Streitpunkte: Was passiert mit der aufgeschobenen Krankenkassenreform? Wie kann noch mehr saniert werden und was – und erst hier wird es entscheidend – sollen die Kassen tun, wenn es aufgrund der Wirtschaftskrise zu weiteren Beitragseinbrüchen kommt? „Das könnte ein blutiger Herbst werden“, sagt Politologe Thomas Hofer. „Die SPÖ wird im Fall weiterer Wahlniederlagen reagieren müssen. Für die Regierungsarbeit könnte das bedeuten, dass das Verhältnis Faymanns zu Pröll bald aussieht wie das Verhältnis Gusenbauer-Molter zum Quadrat.“

Die Krise in der Krise

Zweites zu erwartendes Schlachtfeld: die Wirtschaftskrise: Gemessen an dem, was da noch kommen könnte, erscheint die aktuelle Situation geradezu wie ein romantisches Vorspiel: Die Österreicher haben ihrer Ausgaben für Konsumgüter nur in sehr geringem Maß gedrosselt, die Konjunkturpakete stützen den Erhalt zehntausender Arbeitsplätze. Doch was tun, wenn die Krise sich nicht nur vertieft, sondern auch verlängert? Hat der Staat dann die Kapazität, über die anvisierte Neuverschuldung von 6 Prozent des Inlandsproduktes hinauszugehen? Schon bei den eigentlich projektierten 4,7 Prozent musste der Staat mehr als 10 Milliarden Euro jährlich an Zinsen abstottern.

Das Schuldenmeer, auf dem die Regierung derzeit noch prächtig segelt, muss spätestens ab 2011 wieder trockengelegt werden. Wenn dafür neue Steuern nicht in Betracht kommen, gibt es eine relativ einfache Methode für den Staat, trotzdem an Geld zu kommen: Eine saftige Geldentwertung, also die Inflation, welche die Staatsschulden automatisch schwinden ließe. Ob Steuern oder Inflation – bezahlen muss beides der Bürger.

Vor allem der Bundeskanzler wird in diesem Zusammenhang ab Herbst unter Zugzwang stehen. Denn Faymann muss dann sein Versprechen einlösen und Vorschläge der SP für neue „Reichensteuern“ präsentieren, ein neues Sprengpaket für die Koalition: denn mit der ÖVP unter Josef Pröll werden neue Steuern nicht zu machen sein.

Ein erfolglos anrennender Werner Faymann? Wie das die beiden 2010 wahlkämpfenden Landeshauptleute Franz Voves (Stmk) und Michael Häupl (Wien) bewerten werden, lässt sich leicht vorhersagen: Es könnte sehr einsam werden im Kanzleramt.

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