Koka blüht im Gesetzlosen-Klima

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Die letztwöchige Befreiung der "berühmtesten Geisel der Welt", Ingrid Betancourt, hat die drogenfinanzierten kolumbianischen FARC-Rebellen geschwächt - angesichts von Koka-Rekordernten in Kolumbien wird aber der FARC das Geld nicht ausgehen.

Militär und Polizei kommen in der Nacht. Hubschrauber knattern über den Berghängen an der kolumbianischen Karibikküste. Scheinwerfer beleuchten die dicht gewachsenen Baumkronen. Wenig später werden die tief fliegenden Späher fündig, Soldaten erledigen am Boden den Rest. Alan Vedojes kleine Kokainfabrik in einer Holzscheune brennt lichterloh. Der Bauer muss untertauchen.

Drei Tage später lehnt Vedoje entspannt an seinem Gartenzaun in Santa Marta: "Mala pata!" Künstlerpech, sagt der 63-jährige Mann mit dem Schlapphut und dem sonnengegerbten Gesicht. Er lächelt. Keine Spur von Fluchtgedanken oder Angst. Er plaudert über Gott und die Welt - und über Kokain. Zehn Kilo des weißen Pulvers produziert er pro Jahr. Vedoje redet darüber, als ob er Yuka, Kartoffeln und Mais anbauen würde. Er ist das erste Glied in einer lukrativen Wertschöpfungskette. Am Ende stehen 16 Millionen "Kokser" weltweit.

Obwohl das kolumbianische Militär mit US-Hilfe jedes Jahr tausende Hektar Koka mit giftigen Chemikalien besprüht oder ausreißt, ist Kolumbien nach wie vor der größte Kokain-Produzent - Tendenz stark steigend 27 Prozent Zunahme an Koka-Anbauflächen im Jahr 2007 auf 99.000 Hektar, das ist ein wenig mehr als die Fläche Kärntens.

Opium sichert Überleben …

Ortswechsel um die halbe Welt: Der afghanische Bauer Lal Jan sitzt ratlos inmitten seines von Regierungssoldaten zerstörten Mohnfeldes in dem Dorf Da Kakaro Gosh Chana in Kandahar und fragt, was er nun anbauen soll. Im Vorjahr hat er bereits einen Versuch mit alternativen Kulturen anstelle von Mohn gewagt: Gemeinsam mit seinem Nachbarn pflanzte Jan Zwiebeln und das bohnenähnliche Okra-Gemüse. Ausgaben in Höhe von 13.500 Afghanis standen Einnahmen von 17.000 Afghanis gegenüber. Ein Gewinn von umgerechnet rund 30 Euro - für sechs Monate Arbeit! Die Suche nach Alternativen ist für ihn damit beendet. Zumal in der anhaltenden Dürre außer Mohn kaum etwas gedeiht. Hinzu kommt die Bestechlichkeit der Regierungsvertreter. "Ein geworfener Stein kennt sein Ziel", sagen die aus der Hauptstadt Kabul geschickten Kontrollore. Mit anderen Worten: Diejenigen, deren Felder zerstört werden, trifft es nicht ohne Grund. Wer der Polizei nicht die Hälfte seines Gewinns zahlt, dessen Äcker werden zerstört, übersetzt Jan. Um den Rest seiner Felder zu schützen, wird er zahlen - und das nicht zu knapp. Daran ändert auch nichts, dass Opium im Islam verboten ist. "In schwierigen Situationen erlaubt uns der Islam, alles zu tun, was zum Überleben nötig ist", sagt Stammeschef Malak Nur Chan im Bezirk Behsud, rund 25 Kilometer nördlich von Jalalabad. "Wenn Du Hunger hast, ist nichts verboten. Unsere Bauern hungern."

… und Taliban profitieren

Und so wie Jan und der Stammeschef denken sehr viele Bauern in Afghanistan. Nur so ist die Verdopplung der Opium-Produktion am Hindukusch zwischen 2005 und 2007 zu erklären. Im letzten Jahr kamen laut aktuellem UN-Welt-Drogenbericht 8870 Tonnen Opium oder mehr als 92 Prozent der Weltproduktion aus Afghanistan. 80 Prozent des afghanischen Mohnanbaus erfolgen wiederum in Regionen, die unter Taliban-Kontrolle stehen. Hat andernorts am Hindukusch der westliche Druck, den Mohnanbau zu unterbinden, Erfolge gezeigt, läuft hier jede Anti-Drogen-Strategie ins Leere. So wie im diktatorisch regierten Burma: Dort erhöhte sich der Mohnanbau innerhalb eines Jahres um 29 Prozent.

Kaffee statt Koka - ein …

Die eingangs zitierten Korrespondentenberichte aus Kolumbien und Afghanistan machen deutlich, wie schwierig es ist, Drogen-Bauern zum Umstieg zu bewegen. Die Komplexität der Problematik erklärt der oberste UN-Drogenbekämpfer Antonio Maria Costa folgendermaßen: "Gesetzt den Fall, ein Koka-Bauer in Kolumbien ist bereit, auf Kaffeeanbau umzusteigen, er bekommt Saatgut und die Ernte ist erfolgreich: Was macht dieser Bauer in Santa Marta mit seinem Sack voller Kaffee?", fragt der Generalsekretär des UN-Büros für Drogen und Kriminalität (UNDOC) mit Sitz in Wien und setzt fort: "Jetzt braucht es Genossenschaften, dann braucht es Kaffeeröstereien. Aber was macht der Bauer in Santa Marta mit einem Sack voll geröstetem Kaffee?", fragt Costa wieder: "Jetzt braucht es Vertriebswege, Exportmöglichkeiten, einen internationalen Markt, der sich nicht durch Zölle und Steuern abschottet usw. Die Millionen Dollar an Umstiegshilfen sind wichtig, aber es braucht viel, viel mehr, beschließt Costa seinen Anschauungsunterricht im Hürdenlauf für Koka-Bauern, die in Produktion und Vertrieb auf Kaffee umsteigen wollen.

… schwieriger Umstieg

So wie die Opium-Produktion in Afghanistan konzentriert sich der Koka-Anbau in Kolumbien auf die ärmsten Regionen des Landes. Und obwohl lediglich ein Prozent der Gewinne aus dem Drogengeschäft den Koka-Produzenten zugute kommt, trägt der Drogenanbau zu bescheidenem Wohlstand bei. Doch nicht nur die Verfolgung durch die Behörden, auch der wachsende Druck aus der eigenen Bevölkerung treibt immer mehr Bauern zum Ausstieg aus dem Koka-Anbau. Und das nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika. Denn untrennbar mit der Drogenproduktion gehen ein hohes Maß an Gewalt und Korruption einher. Denn mehr als Sonne und Wasser braucht es ein Klima der Gesetzlosigkeit und Unsicherheit, damit Koka & Co gedeihen - und die FARC in Kolumbien, die Taliban in Afghanistan oder andere anderswo davon profitieren.

Im Gegensatz zum alle Grenzen sprengenden Mohn- und Kokain-Anbau ist die Zahl der Drogenkonsumenten jedoch gleich geblieben. Weltweit wächst die Zahl der Drogenabhängigen, laut Report, gleichmäßig mit dem Wachstum der Weltbevölkerung: "Problematischer Drogenkonsum ist auf einen marginalen Anteil (0,6 Prozent) der Weltbevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren beschränkt." Für die UN-Drogenspezialisten geht mit der wachsenden Schere von Angebot und Nachfrage jedoch eine Befürchtung einher: Drogen werden nicht für die Lagerung produziert, sondern für den Verkauf - und damit steht die Welt vor einer großen und billigen Drogenflut.

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