Kokain, Guerilla und der Bischof

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In San Vicente del Caguán (Kolumbien) steht Bischof Francisco Javier Múnera zwischen den Fronten von Regierungstruppen und Guerilla. Die Leidtragenden dieser Auseinandersetzung sind die Armen und vor allem ihre Kinder. Múneras Projekt möchte verhindern, dass sie aus Not zu Mördern werden.

Die Furche: Als wir vor vier Jahren in San Vicente miteinander sprachen, war dort eine entmilitarisierte Zone, die den Friedensgesprächen diente. Was hat sich seither verändert?

Francisco Javier Múnera: Von einer Zone der Entspannung ist die Gegend zu einer Hochspannungszone geworden. Aus einem Gebiet, das der Suche einer Verhandlungslösung diente, ist ein hochmilitarisiertes Gebiet geworden. Der Staat brach am 20. Februar 2002 den Friedensdialog ab und begann mit der Rückeroberung des Territoriums. Jetzt ist es Schauplatz der Umsetzung des berühmten "Plan Colombia" und des "Plan Patriota". Dazu kommt, dass die Regierung verboten hat, den Begriff "Konflikt" zu verwenden. Es gibt eine neue Direktive, die an die Botschaften und die Nichtregierungsorganisationen erging, in der darauf gedrängt wird, die bewaffnete Auseinandersetzung nicht als "Konflikt" oder gar "Bürgerkrieg niedriger Intensität" zu bezeichnen. Vielmehr solle man von "terroristischer Bedrohung" sprechen.

Die Furche: Das lassen sich die Organisationen und Botschaften gefallen?

Múnera: Das uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz haben bereits scharf reagiert. Es geht ja nicht nur um die Wortwahl, sondern um das Bemühen, das Offensichtliche zu verschleiern. Der bewaffnete Konflikt wird negiert. Durch die Einbindung in die Friedensgespräche war ja die "Guerilla der Revolutionären Streitkräfte" (farc) praktisch als kriegführende Partei mit militärischer Struktur und politischen Motiven anerkannt. Jetzt ist der politische Dialog vom Tisch und die Regierung versucht dem Problem rein militärisch beizukommen.

Die Furche: Hat die Armee jetzt die Guerilla aus all ihren Positionen im Caguán verdrängt oder gibt es dort ständig Gefechte?

Múnera: Es gibt eine große Militäroffensive. Unter dem Namen Omega wurden für die Zone vereinigte Streitkräfte geschaffen. Das sind insgesamt 18.000 Mann, bei denen neben den Landstreitkräften auch die Marine, die Luftwaffe und die Drogenpolizei dabei ist. Sie werden von so genannten Beratern aus den usa unterstützt. Es ist auch die Rede von Söldnern aus den usa. Aber das kann ich aus eigener Anschauung nicht bestätigen. Der "Plan Patriota" hat die Rückeroberung des Territoriums zum Ziel. Dort, wo vorher die Guerilla auch die zivilen Behörden ersetzte oder manipulierte, werden jetzt Zivilverwaltungen eingerichtet. Das ist im Prinzip richtig, der Staat war ja lange Jahre gar nicht präsent, gelingt aber nicht ganz, denn die Guerilla ist immer noch da und kann auf Funktionäre und Gemeinderäte Druck ausüben. Vor kurzem erst wurden in der Ortschaft Puerto Rico fünf Gemeinderäte ermordet.

Die Furche: Seinerzeit fürchtete man auch das Eindringen von rechten Paramilitärs.

Múnera: In San Vicente war die Zeit von September 2002 bis Februar 2003 besonders schlimm, da kamen die Paramilitärs. Es gab jede Art von Erpressung und selektive Morde. Dann hat der gemeinsame Druck der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen erreicht, dass die Paramilitärs wieder abzogen.

Die Furche: Was ist mit den Zivilisten passiert, die sich damals in der Zone ansiedelten und als Sympathisanten der Guerilla galten?

Múnera: Viele dieser Menschen, die sehr eng in den Friedensdialog verwickelt waren oder mit den farc sympathisierten, sind weggezogen. Zum Teil nach Kanada. Gleichzeitig ist eine Menge neuer spontaner Siedlungen entstanden: Bauern, die durch die Entlaubungsaktionen gegen die Coca-Felder vertrieben wurden, weiters arbeitslose Coca-Pflücker oder auch Menschen, die von der Guerilla bedroht wurden. Allein in den letzten Jahren wird die Zahl der Vertriebenen auf über zwei Millionen geschätzt. Offiziell sind es viel weniger. Da liegen die Zahlen von Kirchen und Regierung weit auseinander. Diese massive Vertreibung bedeutet, dass große landwirtschaftliche Flächen an die bewaffneten Akteure fallen oder an Großgrundbesitzer, die von jenen beschützt werden.

Die Furche: Wovon leben die Vertriebenen?

Múnera: Das ist ein Problem. Viele sind unterbeschäftigt oder arbeiten für einen Hundelohn, sie schlagen sich von Tag zu Tag mit Gelegenheitsjobs durch, etwa als Landarbeiter auf kleinen Fincas. Gleichzeitig hat die Kriminalität zugenommen. Ohne Unterstützung des Staates ist da keine Lösung denkbar. Wir suchen Finanzierung für ein Projekt, das Jugendliche davon abhalten soll, sich den bewaffneten Akteuren anzuschließen. Denn viele glauben, sie können nur überleben, wenn sie zur Armee oder zur Guerilla gehen. Das gehört zu den tragischen Wahrheiten dieses Konflikts: die Reichen geben das Geld dafür und die Armen stellen die Toten. Zunehmend auch die Armen aus der Stadt. Denn durch die Vertreibungen auf dem Land sind die Elendsgürtel der Städte weiter angeschwollen, und dort haben natürlich auch die Guerilla und die Paramilitärs leichter Spiel. Bogotá und Medellín sind Zeitbomben.

Die Furche: Präsident Uribe hat eine sehr umstrittene Entwaffnung einiger paramilitärischer Verbände eingeleitet. Was ist davon zu halten?

Múnera: Natürlich ist es gut, wenn demobilisiert wird. Die Paramilitärs waren und sind ja einer der größten Faktoren der Instabilität. Aber, was ist der Preis? Das Problem ist die damit verbundene Straffreiheit und ein großes Ungleichgewicht zwischen der Großzügigkeit, die der Präsident gegenüber den Paramilitärs an den Tag legt, und seiner harten Haltung gegenüber der Guerilla. Die Regierung mit ihrer Politik der "demokratischen Sicherheit" versucht aber, die Guerilla militärisch zu schwächen, um sie dann zu ihren Bedingungen an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Die Furche: Welche Rolle spielt da die Kirche?

Múnera: Die Kirche hat sich das anspruchsvolle Ziel gesteckt, den 200. Jahrestag der Unabhängigkeit im Jahre 2010 in Frieden feiern zu können. Die Bischofskonferenz ist über die Nationale Versöhnungskommission, der auch wichtige Laien angehören, präsent. Sie hat immer versucht, zwischen den zwei Polen zu vermitteln, eine Brückenfunktion zu übernehmen. Das ist in vielen Gegenden sehr schwierig, vor allem dort, wo Guerilla und Paramilitärs gleichzeitig operieren. Derzeit sind Kontakte der farc zur Regierung ausschließlich über die Kirche möglich. Zum Beispiel bei den Bemühungen um einen Gefangenentausch.

Die Furche: Gerät man so nicht schnell ins Kreuzfeuer?

Múnera: Der Konflikt hat auch schwer wiegende Auswirkungen auf unsere Arbeit. Die Guerilla erlaubt nicht, dass wir Regierungsgelder aus den usa verwenden. Kürzlich wurde ein Programm der Internationalen Organisation für Migration, das europäisch finanziert war, von us-aid übernommen. Auf Druck der farc musste das eingestellt werden. Umso wichtiger sind für uns Finanzierungen aus Europa und über die Kirchen.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard.

Zwischen den Fronten

Bischof Francisco Javier Múnera, 1956 in Copacabana bei Medellín geboren, steht seit 1998 der Prälatur San Vicente-Puerto Leguízamo vor. In Rom hat er Missonswissenschaften studiert, wo er jedoch kaum auf seine jetzige Aufgabe vorbereitet wurde. Sein Pastoralbezirk umfasst ein riesiges, teilweise nur über die Flüsse zugängliches Gebiet im Süden Kolumbiens, wo sich alle Probleme des Landes in besonderer Weise zuspitzen: fortschreitende Rodung des Regenwaldes für den Anbau von Coca-Blättern und deren Verarbeitung zu Kokain, Drogenhandel, Operationen von Guerilla und Paramilitärs. Während der Präsidentschaft des Konservativen Andrés Pastrana wurde ein Teil des Caguán, halb so groß wie Österreich, entmilitarisiert und als so genannte Entspannungszone für den Friedensdialog eingerichtet. Die Guerilla der farc war über drei Jahre lang die anerkannte Autorität in der Zone.

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