Kolumbien am Scheideweg

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Ein neues Buch untersucht den bewaffneten Dauerkonflikt der letzten Jahrzehnte in Kolumbien und die Aussichten für den gegenwärtig laufenden Friedensprozess.

Etwa 220.000 Menschen haben in den Jahren von 1958 bis heute durch politisch motivierte Gewalt in Kolumbien ihr Leben verloren, 80 Prozent der Opfer waren Zivilisten. 4,7 Millionen Menschen wurden vertrieben. Unter dem Titel "Basta ya!“ (Es reicht!) wurde kürzlich die bisher umfassendste Studie über die Auswirkungen des kolumbianischen Dauerkonflikts veröffentlicht. Es ist die erste genaue Bilanz eines halben Jahrhunderts Barbarei.

Seit beinahe einem halben Jahrhundert bekämpfen einander in Kolumbien linke Guerillaorganisationen auf der einen und die staatlichen Sicherheitskräfte sowie rechtsextreme paramilitärische Gruppierungen auf der anderen Seite.

In der Mitte dieser Auseinandersetzung stehen Aktivisten und Aktivistinnen von sozialen Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, indigenen und kleinbäuerlichen Bewegungen sowie Frauenbewegungen.

Im März 2014 wählt Kolumbien ein neues Abgeordnetenhaus, im Mai einen neuen Präsidenten. Welche Vorzeichen bestimmen diese wichtigen politischen Ereignisse in einem Land, das die meisten Menschen nur im latenten Kriegszustand kennen?

Nachdem Präsident Andrés Pastrana (1998 - 2002) versucht hatte, durch einen Friedensprozess mit der größten Guerillaorganisation, den FARC, eine nationale Versöhnung herbeizuführen, und dieser Versuch zum Ende seiner Amtszeit dramatisch scheiterte, gewann im Mai 2002 der rechte Hardliner Álvaro Uribe Vélez die Wahlen. Mit "harter Hand und großem Herzen“, so sein Wahlkampfmotto, wollte er im Land Ordnung schaffen, die Guerilla vernichten. Doch hinter dieser Fassade lief die Eliminierung oppositioneller, regimekritischer Kräfte weiter; Journalisten, Menschenrechtsanwälte, Richterinnen flüchteten vor der drohenden Verfolgung ins Ausland.

Paramilitärischer Terror

Schon früh wurden Stimmen laut, die den Staatschef in die Nähe der paramilitärischen Banden und der Drogenmafia rückten, doch diese Stimmen wurden entweder zum Schweigen gebracht oder sie lebten unter ständiger Bedrohung. Zwei solcher Stimmen sind der Linksabgeordnete Iván Cepeda und der Jesuit Javier Giraldo.

Der Vater Cepedas, Manuel, selbst Abgeordneter im Senat, wurde 1994 auf offener Straße ermordet. Er war der letzte überlebende Parlamentarier der Linkspartei "Patriotische Union“ gewesen, alle anderen waren bereits von den so genannten "dunklen Kräften“ eliminiert worden. Dahinter verbirgt sich eine gut koordinierte Zusammenarbeit von Armee, Geheimdiensten, Paramilitärs und fallweise auch Politikern. Nach jahrelangem Prozess vor dem Interamerikanischen Gerichtshof (vergleichbar dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg) wurde der kolumbianische Staat wegen der Mittäterschaft an der Ermordung von Manuel Cepeda verurteilt.

"Das Regime von Präsident Uribe wird in Zukunft zweifellos einen prominenten Platz in der Weltgeschichte der Kriminalität und der willkürlichen Machtausübung einnehmen“, sagt sein Sohn Iván heute. Auf der Suche nach geheimen Friedhöfen, das sind solche, wo Armee und Paramilitärs die Opfer ihrer politischen Säuberungen begraben, konnte der Autor den Abgeordneten Cepeda begleiten. Mit dabei war auch Padre Giraldo, der sich ebenfalls seit Jahren bei der Aufdeckung von Menschenrechtsverbrechen engagiert.

Giraldo ist heute als Mitarbeiter am CINEP, einem sozialwissenschaftlichen Institut der Jesuiten in Bogotá, aktiv. 1998 erfuhr er von einem Journalisten, dass vier Armee-Generäle seine Ermordung planten. Er berichtete dies dem Provinzial, der ihn daraufhin drängte, das Land zu verlassen.

Nach eineinhalb Jahren im Exil kehrte er nach Kolumbien zurück. "Das Exil half mir viel dabei, über meine Arbeit nachzudenken und dass sie ihre Kosten habe, vor allem die Gefahr, das Leben zu verlieren. Und ein Leben unter ständigem Stress zu führen. Ich überlegte, ob ich nicht eine andere Arbeit suchen sollte“, erzählt der Menschenrechtsaktivist. "Doch schließlich entschied ich mich, diesen Zustand als etwas Normales aufzufassen, freiwillig dieses Schicksal auf mich zu nehmen. Seither bin ich nicht mehr aus Kolumbien geflohen, auch wenn ich Drohungen erhielt.“

Betrügerische Manipulationen

Uribe Vélez hat wie kein anderer Präsident die politische Landkarte Kolumbiens geprägt und verändert. 2006 erreichte er durch eine betrügerische Manipulation eine Verfassungsänderung, die ihm eine neuerliche Kandidatur ermöglichte. Und wieder gewann er die Wahlen. Vier Jahre später wollte er wiederum kandidieren, doch machte ihm nunmehr der Oberste Gerichtshof einen Strich durch die Rechnung. Sein Nachfolger Juan Manuel Santos kommt wohl aus dem Umfeld des Ex-Präsidenten, doch haben sich die beiden bald überworfen und sind heute heftige politische Gegner.

Santos, Sprössling einer der einflussreichsten Familien Kolumbiens, möchte als Friedenspräsident in die Geschichte eingehen. Seit Oktober des Vorjahres führen Delegationen der Regierung und der FARC-Guerilla Friedensverhandlungen in Kubas Hauptstadt Havanna.

Die Aussichten auf ein Abkommen stehen gut. Der Abschluss eines Vertrages bedeutet allerdings noch keinen dauerhaften Frieden, denn dieser hat mächtige Feinde, darunter auch den immer noch einflussreichen Ex-Präsidenten Uribe.

Staatschef Santos wird mit aller Entschlossenheit gegen jene Kräfte in der Armee, den Geheimdiensten, den lokalen und regionalen Politikern, dem Drogenhandel und den Paramilitärs vorgehen müssen, für die ein Friedensschluss und eine Demokratisierung des Landes einen Verlust an Macht und Einkommen bedeuten.

Kolumbien am Scheideweg

Ein Land zwischen Krieg und Frieden

Von Werner Hörtner

Rotpunktverlag 2013.

300 Seiten, broschiert, € 27,80

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