Kolumbien bleibt eine Geisel des Kriegs

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Vom Drogenhandel finanzierte rechte Paramilitärs und die linke Guerilla geben dem Frieden in Kolumbien keine Chance. Doch trotz Lebensgefahr denkt der Jesuit Francisco de Roux nicht daran, sein "Friedenslabor" zu schließen.

Zu Neujahr hätte die Freilassung von Geiseln der kolumbianischen Guerilla (FARC) über die Bühne gehen sollen. Der frühere argentinische Präsident Néstor Kirchner und Regierungsvertreter aus Frankreich, der Schweiz und vier lateinamerikanischen Staaten waren angereist; Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte Vermittlungshilfe mit der FARC zugesagt - doch es kam anders: Die Geiselübergabe wurde abgesagt, die FARC beschuldigte die kolumbianischen Streitkräfte der Sabotage; der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe wies dies als Lüge zurück. "Schande über Kolumbien, Schande über Uribe", kommentierte indes der US-Regisseur Oliver Stone, den Chávez nicht uneigennützig zur Dokumentation der Übergabe eingeladen hatte.

Undurchsichtig ist eine Untertreibung, will man die politischen Zustände in Kolumbien beschreiben: linke, oppositionelle Guerilleros, die nicht mehr kämpfen wollen und trotzdem nicht zum Frieden kommen; rechte, regierungsnahe Paramilitärs, die eigentlich demobilisiert sind, mit ihrer "Para-Politik" jedoch Kolumbien weiterhin in Angst und Schrecken versetzen. Und dazwischen stehen zivilgesellschaftliche Friedensorganisationen in der Gefahr, zwischen den kämpfenden Fronten aufgerieben zu werden.

Der Jesuit Francisco de Roux leitet eines dieser ständig bedrohten "Friedenslaboratorien", das "Programm für Entwicklung und Frieden im Magdalena Medio". Die Förderung und Begleitung von lokalen Organisationen, die inmitten der Gewalt versuchen, ein Gebiet der Gewaltlosigkeit und der Neutralität zwischen den bewaffneten Gruppen aufrechtzuerhalten, ist der Schwerpunkt dieses Programms. WM

Die Furche: Was sind die Gründe für den über 40 Jahre lang dauernden Konflikt in Kolumbien?

Francisco de Roux: Die Wurzel aller Konflikte in Kolumbien ist ein System politischen, ökonomischen und sozialen Ausschlusses großer Teile der Bevölkerung - und das obwohl Kolumbien die älteste Demokratie Lateinamerikas ist. Mitte der 1960er Jahre wurden die Guerillabewegungen FARC und ELN als eine Möglichkeit gegründet, diese Ausschlussmechanismen zu durchbrechen. In dieser "idealistischen Epoche" der Guerilla waren Persönlichkeiten wie der Priester Camilo Torres beteiligt.

Die Furche: Diese idealistische Epoche dauerte nicht lange.

de Roux: Der Staat förderte paramilitärische Einheiten zur Bekämpfung der Guerilla. Sehr bald diente der Drogenhandel zur Finanzierung der bewaffneten Gruppen. Heute sind sowohl die FARC als auch die Paramilitärs massiv in den Drogenhandel involviert, was zu einer deutlichen Degeneration des Konflikts und auch der Guerilla geführt hat. Die öffentliche Unterstützung für die Guerilla ist äußerst gering, was dazu führte, dass mit Alvaro Uribe ein Präsident gewählt wurde, der als größtes Ziel deren militärische Vernichtung vertritt.

Die Furche: Warum gehören Entwicklung und Frieden in Ihrem Programm zusammen?

de Roux: Der Konflikt hat strukturelle Ursachen, die sich als politischer Ausschluss und neoliberales Wirtschaftsmodell umschreiben lassen. Das Programm strebt strukturelle Veränderungen an, denn Entwicklung und Frieden bedingen einander und müssen Hand in Hand gehen. Gleichzeitig sehen wir den Krieg als nicht gerecht an - für die Guerilla wäre es ethisch richtig, den Krieg zu lassen, da sie ihre Ziele so nicht erreicht hat und auch nicht erreichen wird.

Die Furche: Das Programm erhält als "Friedenslaboratorium" den Großteil seiner Mittel von der EU.

de Roux: Die EU bringt uns das Vertrauen entgegen, das es uns ermöglicht, weiterhin unsere Projekte selbst zu gestalten. Insgesamt investierte die EU 35 Millionen Euro mit einem Anteil der kolumbianischen Regierung von weiteren zehn Millionen.

Die Furche: Es wird viel von Versöhnung zwischen den (ehemaligen) Paramilitärs und den Opfern gesprochen. Was muss dafür geschehen?

de Roux: Das Programm ist mit der Demobilisierung der Paramilitärs einverstanden und sieht sie als wichtigen Schritt zum Frieden. Allerdings halten wir die Form der Demobilisierung für falsch, da sie die Täter privilegiert und die Opfer ausschließt. Wir glauben auch nicht, dass es sich bei den Verhandlungen zwischen Regierung und Paramilitärs um einen Friedensprozess handelt, da diese beiden Seiten nie verfeindet waren. Eher können wir von einem Schritt der Regierung sprechen, einem Verbündeten die Unterstützung zu versagen und ihn sanft der Justiz zuzuführen. Ein Prozess der Versöhnung müsste von den Opfern ausgehen. Die Dörfer, Städte, Regionen müssten sich um die Opfer scharen, ihnen so einen Sicherheitsring bieten und sie unterstützen, damit sie ihr Schweigen brechen können. Erst wenn die Opfer die Wahrheit und die Reparationen erhalten haben, die sie benötigen, sowie die Kriterien festgelegt haben, die garantieren, dass die Massaker und Grausamkeiten nicht mehr wiederholt werden, erst dann werden wir von Versöhnung sprechen können.

Die Furche: Im Lauf der Zeit sind rund 30 Mitarbeiter des Programms ermordet worden. Was motiviert Sie, in einer so gefährlichen Region weiterhin für den Frieden zu arbeiten?

de Roux: Ich glaube, dass der Platz jedes Christen dort ist, wo die Lage am kompliziertesten ist. Leider leben viele Katholiken neben dem Konflikt und tragen nichts zu dessen Lösung bei. Ich halte das mit dem Evangelium für nicht vereinbar. Aus dieser Überzeugung heraus kann ich gar nicht anders, als hier zu sein. Die Toten, die wir beklagen, haben ihr Leben für den Frieden gegeben, was viel verdienstvoller ist, als das Leben mit der Waffe in der Hand für den Krieg zu geben.

Das Gespräch führte Christian Wlaschütz. Er ist Politologe und arbeitet seit September 2006 im "Programm für Entwicklung und Frieden im Magdalena Medio".

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