Kolumbien: der lange Schatten Uribes

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Statt auf einen Reformkurs zu setzen, haben die Kolumbianer im ersten Wahlgang eindeutig auf den Nachfolger des umstrittenen Präsidenten Uribes gesetzt. Dessen System könnte nun weiter zweifelhafte Blüten treiben.

Das Ergebnis des ersten Wahldurchganges kam für alle Beteiligten überraschend: Der Erbe des umstrittenen Langzeitpräsident Álvaro Uribe Vélez, Juan Manuel Santos erreichte 46,56 Prozent der Stimmen, sein Hauptgegner Antanas Mockus kam nur auf 21,4 Prozent.

In den Tagen vor der Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten am Sonntag wird in Kolumbien viel vom „Vermächtnis“ Uribes gesprochen, der das Land von 2002 bis zum August 2010 regierte, länger denn je ein Präsident zuvor.

Der Präsident selbst und seine Anhängerschaft feiern seine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, seine Sicherheitspolitik, vor allem das Zurückdrängen der Guerilla, die starke Senkung der Mordrate und der Fälle von Entführungen, die Demobilisierung der Paramilitärs … Bei näherem Betrachten kann man jedoch nur seiner Wirtschaftspolitik das Etikett erfolgreich umhängen, und das auch nur in makroökonomischer Hinsicht. Die Marginalisierung breiter Bevölkerungsteile hat sich wohl durch die Sozialhilfe der Regierung etwas verringert, doch strukturell haben sich deren Zukunftsaussichten nicht verbessert. Und trotz der angeblichen Demobilisierung der Paramilitärs ist die Zahl der Binnenflüchtlinge unter Uribe auf über vier Millionen Menschen geklettert, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung!

Mordrate gesenkt

Einer der Erfolge Uribes ist zweifellos auch, dass er die exzessive Mordrate im Land um 45 Prozent senken konnte – obwohl sie immer noch zu den höchsten Lateinamerikas zählt. Diese Abnahme bezieht sich jedoch nicht auf die politischen Morde. Der in der zweiten Juniwoche veröffentliche Jahresbericht des Internationalen Gewerkschaftsbundes zählt weltweit 101 im vergangenen Jahr ermordete GewerkschaftsaktivistInnen auf - 48 der Mordfälle, also fast die Hälfte, entfallen auf Kolumbien!

Die Liste der Skandale in der achtjährigen Amtszeit des Präsidenten Uribe ist derart lang, dass sie nicht einmal in Stichworten auf einer Zeitungsseite Platz fände.

Der größte Eklat der letzten Zeit war wohl der DAS-Skandal. Der DAS (Departamento Administrativo de Seguridad) ist der direkt dem Präsidenten unterstellte wichtigste Geheimdienst des Landes. 2004 wurde laut Ermittlungen innerhalb des DAS eine Sondereinheit gegründet, die G-3, deren Aufgabe es war, Kritiker der Regierungspolitik, AktivistInnen von Menschenrechtsvereinigungen und sozialen Bewegungen, Journalisten bis hin zu Mitgliedern des Obersten Gerichtshofs, zu überwachen und fallweise deren Namen paramilitärischen Gruppen zu übermitteln. DAS-Agenten ermittelten sogar gegen Personen und Organisationen in den USA und in Europa. Gegenwärtig stehen die drei letzten DAS-Direktoren wegen ihrer kriminellen Aktivitäten vor Gericht, ebenso drei hohe Funktionäre des Präsidentenamtes.

In Kolumbien sitzen Dutzende Abgeordnete im Gefängnis. Über 20 Parlamentarier wurden bereits wegen der sogenannten Para-Politik verurteilt, der Zusammenarbeit mit den rechten paramilitärischen Todesschwadronen. Gegen 85 weitere Abgeordnete laufen in dieser Angelegenheit Ermittlungen. Die meisten „Para-Politiker“ stammen aus dem Lager Uribes.

Niemand zweifelt daran, dass Juan Manuel Santos die Eckpfeiler der Uribe-Politik, des „Uribismo“, beibehalten wird. „Uribe geht, doch der kolumbianische Faschismus wird bleiben“, stellt der ecuadorianische Journalist und gute Kenner der Politik seines Nachbarlandes, Alberto Maldonado, lapidar fest. Vor drei Jahren bereits sagte der Provinzial der kolumbianischen Jesuiten, Francisco de Roux: „Auch wenn Uribe 2010 abtritt, wird der Uribismus und der mit ihm verbündete Paramilitarismus weiterleben, und zwar noch stärker als bisher.“ Roux gehört ebenso wie der Jesuit Javier Giraldo zu den vehementesten Menschenrechtsverteidigern und Kritikern der Regierung Uribe. Nachdem im vergangenen Mai an Hausmauern in Bogotá Graffiti aufgetaucht waren, die zur Ermordung von Pater Giraldo aufriefen, stellte sich der Provinzial in einem Kommuniqué offen vor ihn: „Angesichts der Kampagne wollen wir klarstellen, dass wir in ihm einen Menschen mit höchster Moral, einen äußerst ernsthaften Sucher der Wahrheit und einen unermüdlichen Kämpfer auf der Seite der Ausgeschlossenen sehen.“

Wahl der Kontinuität

Dass trotz der vielen Skandale und kriminellen Machenschaften in den acht Jahren Uribe-Präsidentschaft die kolumbianische Bevölkerung immer noch mehrheitlich für die Kontinuität des Uribismus stimmt, müsste Gegenstand einer umfassenden soziologischen Untersuchung sein. Fest steht, dass Álvaro Uribe Vélez ein begnadeter Demagoge ist und er mit seinen markigen Sprüchen und Sozialhilfen für die Armen die Sympathien der Bevölkerungsmehrheit gewinnen konnte.

Juan Manuel Santos (siehe unten) steht für die Fortsetzung des Uribismus. Und er wird wohl noch stärker als sein Vorgänger die Unterstützung der kolumbianischen Oligarchie genießen, die wohl Uribes Politik großteils unterstützte, doch den Sohn eines Landwirten und Drogenhändlers als Emporkömmling immer mit scheelen Augen betrachtete.

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