Komm, wir bauen einen Staat

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Am Busbahnhof in Pri stina, der Hauptstadt des Kosovo, herrscht Trubel wie jeden Abend. Familien besteigen Busse, Verwandte winken zum Abschied, einige weinen. Saim Rashica, ein Mann um die 30, erzählt einem dpa-Reporter: "Heute bin ich nur zum Verabschieden hier, aber nächste Woche werde ich auch fort sein. Was können wir denn tun?" klagt er: "Es gibt weder Arbeit noch Perspektive. Die Politiker kümmern sich doch nicht um uns. Die Regierung ist eine Null." Zwischen 50.000 und 60.000 Menschen sind seit Anfang Dezember aus dem Kosovo ausgewandert. Viele suchen in den EU-Staaten um Asyl an, in Österreich waren es allein im Jänner 1029. Die Chance, dass sie bleiben dürfen, ist verschwindend klein.

Österreich reagiert auf diese Situation mit doppelter Strategie. Die eine ist plump, verspicht aber schöne Fotos für den Boulevard: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner reist dieser Tage auf den Balkan, um die Bevölkerung persönlich davon abzuhalten, das Land zu verlassen. Die andere ist eleganter, wahrscheinlich auch wirkungsvoller, aber schwieriger zu transportieren: Über Entwicklungsarbeit vor Ort will man den Menschen den Auswanderungsdruck nehmen.

Wichtigster Faktor der Armutsbekämpfung

Darüber kann Peter Lamplot erzählen, der in der Sicherheitsakademie des Innenministeriums für Internationale Angelegenheiten zuständig ist. Regelmäßig fährt er in den Kosovo, um Polizeilehrer zu schulen. Im Jänner schloss er ein zweijähriges Projekt ab, das beim Aufbau einer Behörde half, die Rückkehrer unterstützt. Menschen, die ihr Glück im Ausland versucht haben, aber erfolglos heimkommen. Menschen zu denen Saim Rashica bald gehören könnte.

Die Arbeit mit den Beamten, die die Behörde führen sollen, ist nicht immer einfach: "Manche erwarten, dass wir ein Patentrezept haben, das alle Probleme löst", erzählt Lamplot, "es dauert, bis man Vertrauen entwickelt hat. Aber wenn uns das gelingt, wenn wir Möglichkeiten aufzeigen und Perspektiven geben können, dann bewirkt das etwas in jedem Menschen, mit dem wir zusammenarbeiten."

Finanziert wurde das Projekt aus dem Entwicklungstopf der Europäischen Kommission. Denn neben den "Entwicklungsklassikern", also dem Bauen von Brunnen, Schulen oder Krankenhäusern, setzt Entwicklungspolitik vermehrt auf einen neuen Sektor: Das Bauen von staatlichen Institutionen.

"Good Governance" heißt dieser Bereich, der auf Deutsch holprig mit "guter Regierungsführung" übersetzt wird. Das Konzept ist verhältnismäßig neu: Bis Ende der 1990er-Jahre galten die Entscheidungen von Regierungen als innenpolitische Angelegenheit, in die man sich nicht einmischen sollte. Doch entwicklungspolitische Misserfolge machten klar, dass freie Märkte ohne institutionelle Einbettung nicht funktionieren. "Good Governance ist vielleicht der wichtigste Faktor bei der Armutsbekämpfung", betonte der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Idee dahinter: Ein gut funktionierender öffentlicher Bereich gibt Sicherheit und ist die Grundlage für friedliches Zusammenleben.

Korrekter Rechnungshof, neue Gerichte

Szenenwechsel nach Ostafrika: Seit den frühen 80er-Jahren engagieren sich Österreicher in Uganda, erst als Unterstützer der Oppositionsbewegung gegen die Diktatur, später im Rahmen der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, die den Staat zu ihren Schwerpunktländern zählt. Die Zusammenarbeit wurde in den letzten Jahren nicht unbedingt leichter: Präsident Museveni, der seit bald drei Jahrzehnten an der Staatsspitze steht, regiert zunehmend autokratisch. Im Vorjahr verabschiedete das Parlament ein rigides Anti-Homosexuellen- Gesetz. Und vor zweieinhalb Jahren kam ein Korruptionsskandal an die Öffentlichkeit, der die Entwicklungsszene ins Mark traf: Zwölf Millionen Euro an Gebergeldern wurden aus dem Premierministeramt gestohlen. Ausgerechnet hier setzt Österreich einen Schwerpunkt auf Governance.

"Gerade wenn wir befürchten, dass es Korruption gibt, ist es wichtig, dort zu arbeiten", sagt Simone Knapp. Sie leitet in der Hauptstadt Kampala das Büro der Österreichischen Entwicklungsagentur: "Korrupt sind immer nur Einzelpersonen. Deshalb brauchen wir einen korrekten Mittelbau in den Ministerien, und starke Institutionen, die Aufklärung betreiben." Was auf den ersten Blick als Rückschlag erscheint, ist in Wahrheit ein Erfolg der Entwicklungsarbeit. Denn das umstrittene Anti-Homosexuellen-Gesetz wurde vom ugandischen Verfassungsgerichtshof gekippt. Und den Korruptionsskandal deckte der Rechnungshof auf -eine Institution, an deren Stärkung auch Österreich beteiligt war.

Noch weiter vorne muss die Entwicklungszusammenarbeit im Governance-Bereich in Bhutan ansetzen, dem ehemaligen Königreich im Himalaja. Erst 2008 wurde hier offiziell die Demokratie eingeführt: "Hier gibt es jede Menge Arbeit zu tun, um die Demokratie zu stärken -in den Institutionen und in den Köpfen der Menschen, für die es neu ist, dass sie sich einmischen können", weiß Christine Jantscher, seit drei Jahren Chefin des Auslandsbüros der Österreichische Entwicklungszusammenarbeit in Thimphu. Zur Zeit gibt es 45 registrierte zivilgesellschaftliche Organisationen im Land. Das ist nicht viel, aber immerhin um 30 Prozent mehr, als im letzten Jahr. Unterstützt werden die lokalen NGOs durch einen Fonds, in den auch Österreich einzahlt. "Bei Governance geht es nicht nur darum, die Regierenden zu stärken, sondern auch die Regierten," sagt Jantscher.

Auch dafür, dass die in Bhutan nun Zugang zu Gerichten haben, sorgen österreichische Gelder: Teil einer großen Justizreform war die Errichtung von eigenen Gerichtsgebäuden, damit Verhandlungen nicht -wie bisher -in Klosterfestungen stattfanden, wo Religion, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung zusammenkamen. "Vor 15 Jahren gab es im Gerichtssaal noch Peitschen, die meisten Richter hatten keine juristische Ausbildung. Heute haben alle Richter ein Masterstudium hinter sich", erzählt Jantscher: "Das sind Riesenschritte in Richtung internationale Standards."

Zurückhaltung und Feingefühl

International geht es auch bei AWEPA (Association of European Parliamentarians with Africa) zu, einer Organisation, die die Entwicklung Afrikas durch Dialog auf parlamentarischer Ebene vorantreiben will. Österreich unterstützt im Zuge dessen das Parlament in Mosambik in Südostafrika. SPÖ-Parlamentsabgeordnete Petra Bayr führt den Vorsitz der österreichischen AWEPA-Sektion und ist überzeugt: "Parlamente leisten eine Schlüsselfunktion bei der Armutsminderung. In Mosambik geht es dabei auch um die Stärkung der Provinz, Stadtplanung oder Grundstückskatasten - das sind handfeste Fragen."

Der Begriff Good Governance ist also eine Verkürzung eines vielschichtigen Prozesses, der vor allem eines will: Staaten dabei helfen, gut zu funktionieren. Aber wie sehr darf sich ein fremder Staat, dürfen sich ausländische Experten einmischen? Wie würde man in Österreichs Behörden und Ministerien reagieren, wenn eine Gruppe Amerikaner auftauche und erkläre, wie man es besser macht? "Die würden sich an den Kopf greifen", lacht Simone Knapp in Uganda: "Unsere Position hier muss deshalb allen klar sein: Wir sind Partner, nicht Eigentümer." Auch Christine Jantscher in Bhutan betont: "Wir können nichts neu erfinden, sondern nur die Stimmen stärken, die schon da sind." Und Peter Lamplot, gerade zurück aus dem Kosovo, berichtet: "Es kommt sehr darauf an, wie man spielt. Wer sich hinstellt und meint, er weiß genau, wie's funktioniert, dem wird nicht lange zugehört."

Es braucht also Feingefühl - und Frustrationstoleranz. Denn auch das weiß Peter Lamplot von seiner Arbeit im Kosovo: "Egal was wir tun -ob es erfolgreich ist, hängt davon ab, ob es die dortige Regierung dann mitträgt." In Kosovo sind das, glaubt man Saim Rashica vom Busbahnhof, zur Zeit Nullen. Eine ernüchternde Tatsache, die aber auch eine Kehrseite hat. Denn: Auch die beste Regierung kann nichts ausrichten, wenn ihre Behörden nicht gut funktionieren.

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