Konstruktiv subversiv

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Mit einem Symposium über internationale Solidarität feierte das Wiener "Institut für die Wissenschaften vom Menschen" sein 25-jähriges Bestehen.

Die Teilnehmerliste las sich wie ein "Who is who" der internationalen Politik und ihrer Wissenschaft: Bronislaw Geremek, Giuliano Amato, Joschka Fischer, Kurt Biedenkopf, Danuta Hübner, Leszek Balcerowicz, Michael Sandel, James Hoge, Shlomo Avineri, Timothy Garton Ash, Saskia Sassen, John Gray, Charles Taylor … Und wenn am Ende einer oder zwei nicht auf dem Podium erschienen, so blieben doch genug Praktiker und Theoretiker des "Good Governance" übrig, um ihrem Treffen Event-Charakter zu verleihen. Die obere Ausstellungshalle des Wiener Museums für Angewandte Kunst - eine sinnreiche Location, um über die Kunst des Möglichen zu sprechen - verwandelte sich in einen Think Tank, dessen Insassen sich die großen Probleme dieser Welt wie Federbälle zuspielten. Oder zumindest in eine Meisterklasse für Studenten der politischen Wissenschaften.

Hintersinnig war an dieser Konferenz manches, vom Datum ihrer Eröffnung, dem geschichtsträchtigen 9. November, bis zum Thema, das hieß: "Conditions for International Solidarity". Nicht allein, dass damit ein weites Diskussionsfeld eröffnet war. Das Thema verwies zugleich auf die Anfänge des "Instituts für die Wissenschaften vom Menschen" (IWM; s.u.), das die Konferenz aus Anlass seines 25-jährigen Bestehens einberufen hatte. Der polnische Philosoph Krzysztof Michalski hat das Institut in dem Jahr gegründet, als die Gewerkschaft Solidarno´s´c endgültig verboten wurde.

Wer löscht die Brände?

Die Solidarno´s´c kam aber nur am Rande vor, ebenso die einst viel besungene Solidarität der Arbeiterklasse. Beides sind nur noch historische Phänomene, vor die sich Probleme der Gegenwart und Zukunft schieben. Und davon gibt es genug, wie an diesem Wochenende im MAK zu lernen war: Klimakatastrophe, Energieknappheit, Armut, Migration, gescheiterte Staaten, Terrorismus, Verbreitung von Atomwaffen, Völkermord in Darfur … Wenn die verschiedenen Analysen und Ansätze, die im Laufe von drei Tagen vorgetragen wurden, sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen, dann auf den, dass die Welt des 21. Jahrhunderts an allen Ecken und Enden brennt, ohne dass die alten Löschsysteme, namentlich die UN, noch funktionieren.

Abgesehen davon reflektierten die Beiträge die verschiedensten Erfahrungen und Denkschulen. Der Wirtschaftswissenschaftler, ehemalige Präsident der polnischen Nationalbank und Finanzminister Leszek Balcerowicz geißelte jede Form von erzwungener Solidarität als unsolidarisch. Ziel seiner Attacke: der klassische Wohlfahrtsstaat. Freie Märkte würden die Menschen zum Kooperieren bringen und freiwillige Solidarität erst ermöglichen. Dagegen rief Kurt Biedenkopf, CDU-Politiker und einst Ministerpräsident von Sachsen, die gute alte soziale Marktwirtschaft in Erinnerung, die die Bedürfnisse nach ökonomischer Effizienz und Solidarität erfolgreich vermittelt habe, aber wegen der Globalisierung in der Bredouille sei. Man müsse, so Biedenkopf, internationale Institutionen schaffen, die in der Lage wären, Solidarität zu erzwingen. So wie früher der Nationalstaat.

Ganz anders ging Harvard-Professor Michael Sandel die Sache an, der sich das Heil weder von globalen Märkten noch von universalen Institutionen erwartet, sondern dafür plädierte, kleinräumige politische Gemeinschaften verschiedenster Art zu stärken. Nur auf dieser Ebene könnten die Menschen einen Bürgersinn entwickeln. Die EU-Kommissarin für regionale Förderung, Danuta Hübner, sah schließlich in der EU ein marktkonformes Modell von Solidarität verwirklicht. Solidarität und Eigeninteresse, meinte Madame Hübner, müssten sich nicht ausschließen. Balcerowicz, Biedenkopf, Hübner und Sandel sprachen auf einem Panel, das die Veranstalter "Markets and Solidarity" genannt hatten. Sein implizites Fazit könnte lauten, dass Solidarität ohne Markt heute anscheinend nicht mehr denkbar ist.

Transatlantischen Dialog bot ein Podium, das die beiden Ex-Außenminister Bronislaw Geremek und Joschka Fischer mit dem New Yorker Politologen Shepard Forman, der für Giuliano Amato eingesprungen war, und dem Editor der einflussreichen Zeitschrift Foreign Affairs, James Hoge, zusammenführte. Geremek forderte eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen und löste damit eine angeregte Diskussion über den Sicherheitsrat aus, dessen Struktur alle als unzeitgemäß empfanden. Forman warnte jedoch, dass eine bloße Erweiterung die großen Mächte nur dazu verleiten würde, den Sicherheitsrat zu umgehen. Hoge indes hofft, dass die gegenwärtige Krise "einen kreativen Prozess" auslöst, der - wie 1945 - neue Institutionen hervorbringt. Sodann gaben die Europäer den Amerikanern Tipps, wie sie ihr Image in der Welt verbessern könnten, zum Beispiel indem sie - nach polnischem Vorbild - 2008 eine andere Regierung wählen.

Nachdem sich diese Diskussion bereits vom Thema entfernt hatte, stellte das Podium am Sonntagmorgen den Nutzen des Solidaritätsbegriffs rundheraus infrage. Der israelische Politologe Shlomo Avineri stellte fest, dass ein Staat sich nur dann mit unterdrückten Völkern solidarisch zeigt, wenn in ihm eine beträchtliche Minderheit eines solchen Volkes lebt, die politischen Druck ausübt, so wie die Juden in den USA. Er leitete daraus die Forderung ab, eine "Lobby für die Schwachen" zu schaffen.

Für den in Oxford lehrenden Historiker Timothy Garton Ash hingegen kann Solidarität nur der Unteraspekt einer "Liberalen Weltordnung" sein, deren ideale Umrisse er mit knappen Strichen in die Luft zeichnete. Ihre Verwirklichung hänge - das war Garton Ash in emphatischem "Wir" vorgetragenen Überlegungen zu entnehmen - nicht zuletzt von den USA ab, die in Zukunft auf einseitige Aktionen verzichten müssten.

Historische Ausnahme EU

Diesen Optimismus teilte John Gray von der London School of Economics nicht. Gray erkennt in den letzten Jahren einen Trend zur klassischen Machtpolitik, der zumal von den aufstrebenden Großmächten China und Russland ausgehe. Die EU sei eine historische Ausnahme, ihre Methoden ließen sich nicht exportieren. In der Welt wachse die Zahl gescheiterter Staaten und damit von Regionen, wo Chaos herrscht. Angesichts dessen könne es nur noch darum gehen, ein "Minimum an Moral" zu verwirklichen, mit anderen Worten: das Schlimmste zu verhüten.

So schwankte der Zuhörer, was den Lauf der Welt angeht, zwischen Hoffnung und Pessimismus. Und vielleicht hat die Konferenz gerade dadurch das geleistet, was Ira Katznelson von der Columbia University als einzigartiges Merkmal des IWM lobte: subversiv und zugleich konstruktiv zu sein. Denn mit der Erkenntnis, dass die Zukunft offen ist, lag der Ball am Ende beim Zuhörer: Letztlich hängt es von ihm selbst ab, ob die Welt solidarischer wird oder nicht.

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