Krieg in der Ukraine: Das Opfer in der "Pflicht"?
Unlautere Zugeständnisse an Russland verletzten die Würde des ukrainischen Volkes dauerhaft, meint der Philosoph Peter Strasser. Über riskante Fragen, noch riskantere Forderungen und ethische Grenzlinien.
Unlautere Zugeständnisse an Russland verletzten die Würde des ukrainischen Volkes dauerhaft, meint der Philosoph Peter Strasser. Über riskante Fragen, noch riskantere Forderungen und ethische Grenzlinien.
Es ist der 2. Jänner 2023. Gerade kam die Nachricht, dass ein Kinderheim in der Ukraine beschossen worden sei. Versehentlich, wie die russische Seite betont, welche während des ganzen Silvesters ihre Angriffe auf die sogenannte kritische Infrastruktur in Kiew und Umgebung mit unverminderter Intensität fortsetzte. Aber gerade die Brutalität, mit der das Militär operiert, kann als Anzeichen einer Ermüdung verstanden werden. Soll der Endzweck der grausamen Übung lauten: Haben wir nicht endlich genug?
Natürlich darf eine solche Frage erst gar nicht gestellt werden. Dies wäre schon ein Zugeständnis, das vom Gegner, der ukrainischen Militärführung, die sich entschlossener denn je gibt, strategisch ausgenützt werden könnte: Der überfallene, geschundene David ist dabei, dem russischen Goliath erfolgreich die Stirn zu bieten. Aber die Frage ist unabweisbar, sie wird allerorten gestellt, auch in der EU, generell im Westen, der sich – unter Führung der USA und der NATO – immer unwilliger dazu aufrafft, durch Sanktionen und Waffenlieferungen in einer wirtschaftlich äußerst angespannten Zeit immer mehr an teuren Ressourcen bereitzustellen.
Die insgeheime Stimmungslage
Hinzu kommt, dass in der Bevölkerung – bei anhaltender Empörung über Putins „Spezialoperation“, welche die Welt an den Rand eines dritten Weltkriegs zu bringen droht – die aktive Solidaritätsbereitschaft gegenüber der Ukraine schwindet. Bei steigender Energieknappheit und steigenden Lebenshaltungskosten, bis hin zur Armutsgefährdung vieler Menschen im eigenen Nahebereich, ist es nur verständlich, dass die westlichen Politiker insgeheim auf ein Ende des Konflikts hoffen – und sei es ein Ende mit Schrecken, weil mit unlauteren Zugeständnissen an den Aggressor Russland.
Es ist der 2. Jänner 2023, die Süddeutsche Zeitung protokolliert online: Hans-Lothar Domröse, der ehemalige Bundeswehr- und NATO-General, geht davon aus, dass in diesem Frühsommer die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine zumindest ein vorübergehendes Ende finden. „Das wäre der Moment für Waffenstillstandsverhandlungen“, gefolgt von Gesprächen zu einem Friedenskompromiss. Aber wer soll diese Gespräche führen – und wie? Als mögliche Vermittler brachte Domröse UN-Generalsekretär Guterres, den indischen Präsidenten Modi oder den türkischen Präsidenten Erdoğan ins Spiel, „wobei sich niemand wirklich aufdrängt“.
Schon diese kurzen Bemerkungen zur Kriegslage und Friedenshoffnung am Beginn des neuen Jahres lassen die Komplexität erahnen, in die sich – man muss schon sagen – fast die ganze Welt hineinmanövriert hat. Es geht ja nicht nur um die Frage, welcher Mittel es bedürfte, um zu einem Waffenstillstand und, anschließend, einem einigermaßen haltbaren Frieden zu kommen.
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