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Kriegsreste

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Wie ist es zu dieser unverständlichen Ungleichheit der Besteuerung gekommen?

Ein Teil der Doppelverdienerbegünstigung reicht schon in die Kriegszeit zurück, als der Staat Interesse daran hatte, auch die verheirateten Frauen zur Arbeit in den Rüstungsbetrieben zu gewinnen. Um diesen auch einen steuerlichen Anreiz zur Aufnahme einer entlohnten Beschäftigung zu bieten, wurde der Grundsatz der Haushaltsbesteuerung durch die Ausnahmebestimmung des 19 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung durchbrochen. Demnach hat die Zusammenrechnung der Einkünfte der Ehegatten bezüglich jener Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu unterbleiben, welche die Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb bezieht. Da durch die herrschende Arbeitslosigkeit der Beweggrund für diese Ausnahmebestimmung weggefallen ist, hat auch die Ausnahme ihren Sinn verloren, ja sogar ins Gegenteil verkehrt. Die Aufhebung dieser Ausnahmebestimmung würde nicht nur zur Wiederherstellung der steuerlichen Gerechtigkeit etwas beitragen, sondern sicherlich auch zur Beseitigung des wirtschaftlich unerwünschten Doppelverdienertums.

Aber nicht nur diese kriegswirtschaftliche Ausnahmebestimmung hat zur steuerlichen Begünstigung des Doppelverdienertums beigetragen, sondern auch eine Bestimmung des Artikels X aus dem Steueränderungsgesetz 1951, wonach bis zur Aenderung des geltenden Lohnsteuertarifs ein Freibetrag von monatlich 147 S vor Anwendung der Lohnsteuertabelle vom lohnsteuerpflichtigen Einkommen in Abzug gebracht werden kann.

Diese Bestimmung diente einer Milderung der Progression, die infolge der inflationistischen Aufblähung der Einkünfte sonst untragbar geworden wäre. Durch diese Bestimmung wurde der Progressionssatz aber nur für jeden Verdiener, nicht für jeden Verbraucher gemildert, weil der Freibetrag nicht für jede Person des Familienstandes gegeben wurde, sondern nur für jene Familienmitglieder, welche selbst Lohneinkünfte erwerben konnten. Das doppelt verdienende Ehepaar genießt somit den Freibetrag doppelt, oder — anders ausgedrückt — der kinderlose Alleinverdiener, der sein Einkommen mit der einkommenslosen Ehefrau teilen muß, kommt nur zur Hälfte in den Genuß der Progressionsermäßigung und der Familienvater mit drei Kindern nur zu einem Fünftel. Wenn der kinderlose Doppelverdiener den Freibetrag nicht hätte,- würde die Lohnsteuer für ihn und seine mitverdienende Ehefrau nicht je 81.80 S, sondern je 107.40 S (statt rund 7 Prozent nun rund 9 Prozent vom ProKopf-Einkommen) betragen. Oder — anders ausgedrückt — wenn der kinderlose Alleinverdiener den Freibetrag auch für seine einkommenslose Ehefrau in Anspruch nehmen könnte, so würde ihm dies die Lohnsteuer von 404 S auf 350.60 S (das sind rund 14,6 Prozent gegen vorher rund 17 Prozent) ermäßigen. Dem Familienvater mit drei Kindern würde sich die Lohnsteuer um mehr als die Hälfte ermäßigen, nämlich von 253.60 S auf 110.60 S, wenn ihm der Freibetrag für jede Person seiner Familie zustünde.

So hat also der Freibetrag gemäß Artikel X

des Steueränderungsgesetzes 1951 — weil er den unversorgten Familienmitgliedern in ungerechter Weise verweigert worden war — mit einem Schlag zwei unerwünschte Nebenwirkungen gezeitigt. Denn er hat erstens das Doppelverdienertum steuerlich noch mehr begünstigt, als es vorher schon war, und er hat zweitens die prozentmäßige steuerliche Belastung der Familien mit Kindern neuerlich verschlechtert. .

Und die „Moral von der Geschieht“: Eben deswegen, weil Familien mit unversorgten Kindern ein zusätzliches Einkommen brauchen würden, nämlich wegen der erhöhten Zahl der Haushaltangehörigen, kann die Mutter einer solchen Familie einem Nebenverdienst nicht nachgehen, denn sie hat ja als Hausfrau und Mutter einen großen Haushalt zu versorgen — und eben deswegen, weil kinderlose Ehepaare einen zusätzlichen Verdienst nicht brauchen würden, nämlich wegen der kleinen Zahl der Haushaltans;c-hörigen, kann die kinderlose Ehefrau einem zusätzlichen Verdienst nachgehen und damit das Haushalteinkommcn erhöhen. Und das wird steuerlich, noch dazu so weitgehend, begünstigt?

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