Erich Reiter, der Beauftragte für Strategische Studien im Verteidigungsministerium, zur Verknüpfung von Spieltheorie und militärischer Analyse und der möglichen Rolle Österreichs in der EU-Sicherheitspolitik.
Die Furche: Worin sehen Sie den Vorteil, wenn man Reinhard Seltens Spieltheorie mit sicherheitspolitischen Expertenurteilen kombiniert?
Erich reiter: Wichtig ist, dass Sicherheitsexperten ihren Regierungen mögliche sicherheitspolitische Entwicklungen rechtzeitig darlegen können. Und das ist mit dieser Methode möglich Das Hauptproblem der EU ist ja, dass sie zu spät in die Krisen und Konflikte einsteigt. Ganz im Gegenteil, man versucht Krisen so lange wie möglich zu negieren. Mit dieser Methode könnte man sich jedoch kontinuierlich auf mögliche Entwicklungen vorbereiten. Und wenn die EU besser vorbereitet ist, dann haben auch ihre späteren Entscheidungen mehr Qualität.
Die Furche: Wo kann diese Methode eingesetzt werden?
Reiter: Eigentlich überall. Lassen Sie mich ein Beispiel bringen: Wir haben mit diesem spieltheoretischen Modell die Situation im Kosovo untersucht. Unser Ergebnis war, dass es zu keinen wirklich ernsten Konflikten kommt, solange eine NATO-geführte Truppe dort stationiert ist. Bei einer EU-geführten Truppe schaut die Sache anders aus, da die von den Albanern weniger akzeptiert wird. Ich habe dieses Ergebnis bei einer Tagung in Deutschland präsentiert. Da steht ein US-amerikanischer Militärstratege auf und sagt, er arbeite an einem Papier, das die US-Präsenz im Kosovo erklären soll. Nach meiner Analyse wisse er, warum die weiterhin notwendig sei. Das war das Größte, was ich an österreichischer Politikbeeinflussungsmöglichkeit erlebt habe. Allein ein solcher Moment ist alle Zeit und Mittel, die wir in diese Methode investiert haben, wert.
Die Furche: Wird diese Methode auch anderswo bereits eingesetzt?
Reiter: Überraschenderweise nicht. Ich habe mit vielen sicherheitspolitischen "Think tanks" auf der ganzen Welt zu tun, aber ich weiß von nirgendwo, dass diese Methode angewandt wird.
Die Furche: Könnte Österreich - auch im Hinblick auf eine Heeresreform - hier einen speziellen Beitrag im europäischen Kontext leisten?
Reiter: Schon zu Zeiten der rot-schwarzen Koalition hat es in Österreich einen Ansatz gegeben, europa- und weltweit sicherheitspolitische Soft Ware und wissenschaftliches Know How für das Krisen- und Konfliktmanagement zu erarbeiten. Das könnte tatsächlich ein wichtiger Beitrag Österreichs in der europäischen Sicherheitspolitik sein. Entscheidend dafür wäre es aber, dieses Fach- und Methodenwissen zu institutionalisieren, ein Zentrum für Krisen- und Konfliktmanagement zu schaffen. Dort könnte man sich permanent mit Fragen der Erkennung und der Entwicklung von Krisen beschäftigen.
Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.
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