Kritik am Müllofen-Boom

Werbung
Werbung
Werbung

Müllverbrennung ist im Kommen, jedenfalls in Österreich. Wien will den größte Müllofen Österreichs bauen. Auch die anderen Bundesländer setzen auf Verbrennen - und dabei spricht so viel gegen diese Technik.

Im niederösterreichischen Zwentendorf entsteht eine Anlage mit einer Kapazität von 300.000 Tonnen im Jahr. Anfang 2004 soll sie ebenso in Betrieb gehen wie die im kärntnerischen Arnoldstein geplante Anlage. Im Raum Kundl ist eine zentrale Müllverbrennung für Tirol geplant und die Kapazität des Welser Müllofens soll auf das Vierfache gesteigert werden. In jedem Fall geht es um Investitionen in Milliardenhöhe.

Was spricht da plötzlich so für die Müllverbrennung? Vor allem, dass sie das Abfallvolumen drastisch reduziere, heißt es: minus 90 Prozent. Das entlaste die überquellenden Deponien. Außerdem seien die Rückstände aus der Verbrennung reaktionsarm und daher ungefährlich. Aufgewertet wurde die Müllverbrennung außerdem auch dadurch, dass die EU sie als eine Form der Erzeugung erneuerbarer Energie und damit als förderungswürdig qualifizierte.

Die Umweltschützer sind entsetzt. Die Zeiten, in denen Müllvermeidung zum obersten Prinzip erhoben worden war, scheinen passé. Denn die Millionen-Tonnen-Kapazitäten der Müllverbrenner werden ausgelastet werden müssen. Schon sinkt der Anteil der Pfandbehälter. Einweggebinde überschwemmen den Markt. Es sieht so aus, als nähmen die Entscheidungsträger in Sachen Müll Abschied von bisher propagierten Prinzipien.

Und dabei ist die von den Müllöfen ausgehende Umweltbelastung ja unübersehbar und gut dokumentiert - zuletzt in der im April erschienen "Greenpeace"-Studie "Incineration and Human Health". Sie bietet einen Überblick über den Stand des Wissens auf diesem Sektor.

Da spricht eigentlich nichts für den neuen Frühling der Müllverbrennung. So wird zunächst mit dem verbreiteten Irrtum aufgeräumt, man bringe Abfälle durch Verbrennung weitgehend zum Verschwinden. Auf diesem Weg verschwindet Materie nun einmal nicht, sondern sie verändert nur ihre Erscheinungsform. Die gefährlichen Substanzen, die im angelieferten Material enthalten sind, landen dann, oft in veränderter Zusammensetzung, in der Schlacke, im Filterkuchen, in den Abgasen. Letztere verteilen sie dann großräumig.

Und noch etwas: Im Müllofen findet eine unüberblickbare Zahl von Reaktionen statt. Manche chemischen Verbindungen werden in der Hitze aufgebrochen, andere bilden sich neu, etwa in der Phase der Abkühlung der Gase. Ein Großteil der entstehenden Stoffe sind gar nicht erfasst, ja überhaupt bekannt. Rund 200 solcher Verbindungen führt die Studie immerhin an, darunter: Dioxine, Furane, polychlorierte Biphenyle, polyaromatische Kohlenwasserstoffe, und, und ... Einiges davon steht auf der roten Liste der im Mai in Kraft getretenen, internationalen POP-Konvention zur Bekämpfung langlebiger, organischer Schadstoffe. Wie ist dieser Vertrag mit der Müllofen-Renaissance zu vereinbaren?

Dioxinproduzent Nr. 1

Ziemlich eindeutig sind die Ergebnisse in Sachen Dioxin: Die Hausmüllverbrennung sei eine der wesentlichen Quellen dieses Ultragiftes in den achtziger und frühen neunziger Jahren, verantwortlich für 40 bis 80 Prozent der Belastung in den Industrieländern, bestätigen einschlägige Arbeiten. Selbst neue Anlagen würden den strengeren EU-Richtlinien nicht immer gerecht, hält die Studie fest.

Dabei ist folgendes zu bedenken: Diese Werte sind das Ergebnis von punktuellen Messungen während einiger Stunden. Misst man aber den Ausstoß der Abgase kontinuierlich über Wochen hinweg, so zeigt sich, dass die Punkt-Messungen den Dioxin-Ausstoß deutlich unterschätzen. Beim An- und Abfahren der Maschinerie und bei Störfällen, die bei dem uneinheitlichen Brennstoff Müll nicht selten sind, kommt es zu den größten Emissionen.

Und noch etwas: Bei der Beurteilung der Toxizität der Abgase werden nur einige wenige Parameter gemessen. Das Gros der Abgase geht ungeprüft durch den Rauchfang. Dieses Gebräu enthalte aber eine Reihe von Stoffen, die mindestens ähnlich gefährlich wie Dioxin sind, halten die Autoren fest. Allerdings habe es technische Fortschritte gegeben, räumt sie ein: Der Schwermetallgehalt der Abgase von Müllverbrennungsanlagen sei deutlich verringert. Die neueste Filtertechnik habe die gemessene Luftbelastung auf ein Zehntel verringert.

Probleme bereite aber nach wie vor die Partikelemission. Derzeit entwichen 70 Prozent oder mehr der inhalierbaren Partikel unter 2,5 Mikrometer. Und gegen die ultrafeinen Partikel (unter 0,1 Mikrometer) sei die Technik derzeit überhaupt machtlos. Da diese Partikel aber tief in die Lungen eindringen können, stellen sie eine beachtliche Gesundheitsgefährdung dar. Übrigens sähe die neue EU-Richtlinie nicht einmal Grenzwerte für diese Partikelemissionen vor.

Toxisch seien aber nicht nur die Abgase sondern auch die Schlacke und die Filterrückstände - die übrigens nicht, wie behauptet zehn, sondern 45 Prozent des Ausgangsvolumens der Abfälle ausmachen sollen. Das sei nicht unproblematisch, wanderten diese festen Rückstände doch auf Deponien, aus denen die Gifte dann langfristig ausgewaschen werden. Selbst die Stabilisierung der Rückstände mit Zement sei keine Lösung. So werde das Eindringen der langlebigen Gifte in den Lebensraum nur verzögert. Wo die Schlacken aber im Bau (vor allem von Straßen und Wegen) verwendet würden, könne es - wie Untersuchungen in Newcastle ergaben - zu sehr hohen lokalen Schwermetall- und Dioxinbelastungen kommen.

Was nun die Gesamtbelastung anbelangt, zitiert Greenpeace eine kürzlich fertiggestellte Untersuchung des "National Research Council" für die US-Bundesregierung: "Langlebige, die Luft belastende Stoffe wie Dioxine, Furane und Quecksilber können über weite Gebiete verfrachtet werden - weit über den lokalen Raum hinaus, ja selbst über die Grenzen des Landes, von dem sie ausgehen ..."

Erhöhte Krebsrate

Hat die Müllverbrennung nun aber negative Gesundheitsfolgen? Das ist relativ schwer nachzuweisen. Untersuchungen an Arbeitern in der Müllverbrennung lassen - auch wenn deren Ergebnisse nicht einheitlich sind - jedenfalls erkennen, dass diese Gruppe unter einer hohen Dioxin- und Schwermetallbelastung leidet. Bei Reinigungsarbeiten sei der Arsen-, Cadmium-, Blei- oder Nickelgehalt der Luft so hoch, dass sie die Filterungskapazität der Atemschutzgeräte übersteige. Die wenigen Studien über die Folgen dieser Belastung zeigten zwar kein einheitliches Bild, sie ließen jedoch eine erhöhte Lungen-, Magen- und Speiseröhrenkrebs-Sterblichkeit erkennen.

Untersuchungen über die Folgen der Müllöfen für Menschen, die in der Nähe solcher Anlagen leben, konzentrierten sich vor allem auf das Auftreten von Krebs und Atemwegerkrankungen. Die Bilanz: Kein einheitlicher Befund bei Atemwegerkrankungen, jedoch viele Belege für eine erhöhte Krebssterblichkeit - sogar bei Kindern. Hinweise auch auf eine veränderte männliche Fertilität, die zu weniger männlichen Geburten führen dürfte. Auch wurden Missbildungen bei Kindern beobachtet.

Diese Ergebnisse widersprächen Risiko-Studien, die den Müllverbrennungsanlagen in den achtziger und neunziger Jahren fast durchwegs Harmlosigkeit bescheinigt hätten, stellen "Greenpeace"-Autoren fest. Viele dieser Arbeiten hätten nämlich nur auf das Einatmen von Giftstoffen abgestellt, jedoch die Wirkung, die von der Aufnahme kontaminierter Nahrung ausgeht, ebenso vernachlässigt wie das Aufnehmen der Gifte über die Haut. Neue Untersuchungen zeigten jedoch, dass gerade von der Nahrung der Großteil (über 90 Prozent) der Belastung ausgehe.

Viele Wissenslücken

Ausführlich werden die Risiko-Studien kritisiert: Sie beruhten auf einer Unzahl von Annahmen: über die Entstehung gefährlicher Stoffe, deren Verteilung im Raum, deren Akkumulation in den Organismen, über Wahrscheinlichkeiten der Auslösung von Krankheiten ... Das meiste davon werde irgendwie geschätzt, weil eben das entsprechende Wissen fehle. Insbesondere wisse man sehr wenig über die Zusammensetzung der Abgase, die Verträglichkeit dieser Unzahl von Stoffen, über deren Zusammenwirken und Bedrohlichkeit für verschiedene Kategorien von Menschen. Eines stünde jedenfalls fest: Besonders gefährdet sind Kinder im Mutterleib und Säuglinge.

"Greenpeace" zitiert den "National Research Council Report": "...Außerdem basieren diese Daten im Allgemeinen auf ganze wenigen Abgas-Messungen für jeden Schadstoff. Damit ist es ungewiss, ob solche Emissionsdaten so angemessen und vollständig den Beitrag der Müllverbrennung zur Umweltbelastung beschreiben, dass sich Gesundheitsauswirkungen abschätzen lassen."

Sollte die gut dokumentierte "Greenpeace"-Studie wirklich, wie sie behauptet, den Stand des Wissens in der Frage widergeben, kann man sich nur wundern. Wie konnte es zu dem Müllofen-Boom kommen? Wie kann man in einer Zeit, in der die Grundbelastung der Umwelt ohnedies so hoch ist und es gut funktionierende Alternativen gibt, das Verbrennen forcieren? Müllvermeiden, hohe Recycling- und Wiederverwendungsquoten, die mechanisch-biologische Müllverwertung sind zwar bewährte Zugänge, sie werden jedoch der Konkurrenz der gepushten, müllhungrigen Verbrennungsanlagen nicht standhalten.

Incineration and Human Health

Von Michelle Allsopp, Pat Costner and Paul Honston, University of Exeter, UK

Greenpeace International, Keizersgracht 176, NL-1016 Amsterdam.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung